Die Atomkraftwerke Hinkley Point A und B, über den Bristolkanal aufgenommen.
Hinkley Point A und B sind stillgelegt, Hinkley Point C wird immer teurer. (Bild: Joe Golby/​Shutterstock)

Großbritannien war einst ein Vorreiterland der Atomenergie. Im Oktober 1956 ging hier das erste Kernkraftwerk in einem westlichen Land ans Netz.

Nach einem starken Ausbau bis 1995 ist die britische AKW-Flotte wegen Abschaltungen inzwischen stark geschrumpft. Die Regierung in London will laut einer aktuellen Ankündigung mit dem "größten Ausbau der Kernkraftkapazitäten seit 70 Jahren" gegensteuern. Ob das angesichts der hohen Kosten neuer Reaktoren realistisch ist, halten Fachleute allerdings für fraglich.

In Großbritannien werden derzeit noch neun AKW-Blöcke an vier Standorten betrieben. Von der historisch maximal erreichten Kapazität von 15.700 Megawatt ist inzwischen mehr als die Hälfte wieder stillgelegt worden. Im Jahr 2023 betrug der Atomstrom-Anteil nur noch 15 Prozent.

Aktuell ist sogar rund die Hälfte der noch laufenden Blöcke ausgefallen und produziert keinen Strom. Die Rektoren gingen laut dem Betreiber, dem französischen Energiekonzern EDF, aufgrund technischer Probleme unplanmäßig vom Netz, und das mitten im Winter.

Die jetzt von der Regierung in London verkündete Atomkraft-"Roadmap" sieht vor, die aktuelle Gesamtkapazität von rund 6.000 Megawatt bis 2050 auf 24.000 Megawatt hochzufahren, also zu vervierfachen.

Neben der derzeit im Bau befindlichen Doppel-AKW-Anlage Hinkley Point C im Südwesten Englands und dem geplanten Neubau Sizewell im Südosten wird geprüft, ob ein drittes großes AKW errichtet werden soll, das nach den Angaben Strom für sechs Millionen Haushalte liefern könnte. Der Standort dafür ist noch offen.

Des Weiteren plant London den Bau von Klein-AKW, sogenannten Small Modular Reactors (SRM). Aktuell läuft ein Wettbewerb, in dem das beste und preiswerteste Modell dafür ermittelt werden soll.

Der britische Premierminister Rishi Sunak sagte zur Begründung der AKW-Ausbaupläne, die Nuklearenergie sei das "perfekte Gegenmittel gegen die Energieherausforderungen, denen Großbritannien gegenübersteht – sie ist grün, langfristig günstiger, und sie wird die britische Energiesicherheit langfristig garantieren".

EDF will Abschaltung älterer Reaktoren verschieben

Auf den Bauzeitverzug und die Kostenexplosion beim Bau von Hinkley Point C geht London in der Roadmap nicht direkt ein. Es heißt darin nur, der Bauherr EDF solle sich verstärkt um das Projekt kümmern, damit dort noch in diesem Jahrzehnt Strom produziert werden kann.

Hinkley Point C sollte nach dem ursprünglichen Plan jetzt schon am Netz sein. Nach aktuellem Stand wurde die Inbetriebnahme nun aber auf den Juni 2027 (Block C1) respektive Juni 2028 (C2) verschoben.

Die Regierung Sunak lässt sich von den hohen Kosten der Atomkraft-Strategie offenbar nicht beeindrucken. Wie teuer sie für die Stromkunden respektive die Steuerzahler wird, hatte unlängst eine Berechnung des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR) deutlich gemacht.

Danach werden die Kosten für den von Hinkley Point C erzeugten Strom zum geplanten Start 2027 deutlich höher als umgerechnet 15 Cent pro Kilowattstunde liegen – und damit weit über dem Markt-Strompreis und auch über den Vergütungen, die für Ökostrom gezahlt werden.

IWR-Direktor Norbert Allnoch sagte zu den Perspektiven der Atomkraft auf der Britischen Insel, möglicherweise spielten Kostenerwägungen hier nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Nagelprobe komme mit der noch nicht erfolgten Investitionsentscheidung für Sizewell C.

"Private Investoren sind vermutlich außen vor, es sei denn der Staat übernimmt die finanziellen Risiken komplett", sagte Allnoch gegenüber Klimareporter°. Das gelte wahrscheinlich auch für die Mini-AKW.

Der Experte verwies darauf, dass in den USA ein SMR-Vorzeigeprojekt des Unternehmens Nuscale nach einer Kostenexplosion wegen fehlender privater Investoren gescheitert ist. Das zeige, "dass nur staatliche Stellen solche Atomkraftwerke bauen können und dann auch die Risiken übernehmen müssen".

 

AKW-Betreiber EDF prüft unterdessen, die in diesem Jahrzehnt noch geplante Abschaltung von vier älteren Reaktoren um zwei oder mehr Jahre zu verschieben, um "die drohende Lücke in der britischen Kernenergieversorgung gegen Ende des Jahrzehnts zu schließen", wie der britische Guardian berichtet. Das könnte laut IWR darauf hindeuten, dass Hinkley Point C noch später als jetzt geplant fertig wird.

Ob es möglich ist, die Abschaltung der Alt-AKW zu verschieben, hängt maßgeblich vom Zustand der Graphitkerne dieser gasgekühlten Reaktoren und von den darin festgestellten Rissen ab. EDF will die Entscheidung zur Verlängerung bis Ende des Jahres treffen. Die Kosten für diese Maßnahmen und für längere Laufzeiten beim neueren Reaktor Sizewell B sollen umgerechnet 1,5 Milliarden Euro betragen.