Übergewinnabschöpfung: Großer Aufwand, geringer Nutzen. (Bild: Napaporn Leadprathom/​Shutterstock)

Gemessen an der Aufregung, ja Panik, die sie vor ihrer Geburt verursachte, nahm das Ableben der Erlösabschöpfung Ende Juni kaum jemand zur Kenntnis.

So richtig Fahrt hatte die Debatte um die Abschöpfung von Übergewinnen aufgenommen, als das Bundeskanzleramt und mehrere Ministerien sich Anfang November vergangenen Jahres auf sogenannte Eckpunkte für "Entlastungsmaßnahmen Gas und Strom" einigten.

Die "Eckpunkte" beruhten auf einer EU-Notfallverordnung gegen die damalige, vor allem durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiepreiskrise.

Wer sich nicht mehr erinnert: Im zweiten Halbjahr 2022 durchbrach der Haushaltsstrompreis für eine Kilowattstunde die 40‑Cent-Grenze. Industriestrom verteuerte sich um bis zu 70 Prozent. Dagegen sollte die Strompreisbremse helfen. Die will Wirtschaftsminister Habeck jetzt auch gern bis ins Jahr 2024 verlängern, zusammen mit der Gaspreisbremse.

Um einige der Milliarden, die die Strompreisbremse kostet, wieder hereinzuholen, ermöglichte die EU-Verordnung, Übergewinne am Strommarkt abzuschöpfen. Diese waren vielen Erzeugern in den Schoss gefallen. Die Preise an der Strombörse waren seit Kriegsbeginn durch die Decke gegangen, weil das russische Erdgas zur Stromerzeugung nach und nach wegfiel.

Die "Eckpunkte" folgten der EU-Vorgabe auch bei der Auswahl der preislich abzuschöpfenden Stromtechnologien. Betroffen waren erneuerbare Energien, Kernkraft, Erdöl, Müll und Braunkohle. Ausgenommen waren Speicher, Steinkohle, Erdgas und Biomethan.

Tatsächliche Einnahmen werden erst später bekannt

Gelten sollte die Abschöpfung zunächst sogar rückwirkend ab September 2022 und dann zehn Monate bis Juni 2023. Die "Eckpunkte" schätzten die möglichen Gesamteinnahmen auf einen "zweistelligen Milliardenbetrag" – das wären also mindestens zehn Milliarden Euro gewesen, im Schnitt eine Milliarde pro Monat.

Im Gesetzgebungsverfahren wurde zunächst die rückwirkende Geltung einkassiert. Die Abschöpfung galt nun erst ab Dezember 2022 und damit nur für sieben Monate. Das reduzierte schon mal die Einnahmen.

Wie groß diese tatsächlich sind, wird das Bundeswirtschaftsministerium erst zwischen Mitte und Ende August beziffern können, erklärt eine Sprecherin auf Nachfrage. Betroffene Stromerzeuger haben ihre Zahlungen, die sich aus dem ersten Abrechnungszeitraum von Dezember 2022 bis März 2023 ergeben, bis zum 15. August zu leisten. Dann brauche man noch eine kurze Zeit zur Aufbereitung, erläutert die Sprecherin.

Von Anfang an war dabei klar: Ein Großteil des Geldes wird von Erzeugern erneuerbarer Energien kommen. Bei ihnen ist die Spanne zwischen den Kosten und den hohen Krisen-Strompreisen am größten.

Das Wirtschaftsministerium schätzte allein für 2022 die Übergewinne der Erneuerbaren-Energien-Anlagen auf rund 18 Milliarden Euro. Gesetzlich werden davon 90 Prozent abschöpft. Daraus ergeben sich sogar mögliche Einnahmen von monatlich 1,35 Milliarden Euro allein aus erneuerbarer Erzeugung.

Auch milder Winter und Gaseinsparung senkten Strompreise

Tatsächlich aber werden die Einnahmen im Dezember 2022 nur bei etwa 270 Millionen Euro liegen. Das ergaben jedenfalls kürzlich veröffentlichte Berechnungen des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE).

Ein Grund für die deutlich geringeren Erlöse im Dezember ist für den Branchenverband der im Monatsverlauf gestiegene Anteil erneuerbaren Stroms. Die erste Dezemberhälfte sei durch sehr niedrige Temperaturen, erhebliche Probleme in den französischen Atomkraftwerken und daraus resultierendem Stromabfluss nach Frankreich geprägt gewesen, erläuterte BEE-Präsidentin Simone Peter. Auch habe in der ersten Monatshälfte der Anteil erneuerbaren Stroms nur bei 25 Prozent gelegen.

In der zweiten Dezemberhälfte sei der Grünstrom-Anteil dann aber auf fast 60 Prozent gestiegen, so Peter. Das habe das Preisniveau um mehr als die Hälfte gegenüber den ersten beiden Dezemberwochen gesenkt.

Sinkende Strompreise bedeuten weniger Übergewinne und dann auch weniger Abschöpfung. Dieser Mechanismus begann Anfang 2023 so richtig zu wirken.

Von Januar bis Juni dieses Jahres werde, so die BEE-Prognose, die Abschöpfung bei den Erneuerbaren dann nur noch rund 20 Millionen Euro erbringen. Das stehe in keinem Verhältnis mehr zum bürokratischen Aufwand und zu den Auswirkungen der Abschöpfung auf die Geschäfte mit direkten Stromlieferverträgen, den sogenannten PPA, kritisiert Simone Peter.

Dass die Erlöse in diesem Jahr mutmaßlich so gering ausfallen, hat nicht nur mit der Preiswirkung der Erneuerbaren zu tun. Hilfreich war vor allem auch der milde Winter mit einem entsprechend niedrigen Gasverbrauch, noch verstärkt durch die Wirkung der hohen Gaspreise.

Von Oktober 2022 bis April 2023 verbrauchte Deutschland fast ein Fünftel weniger Gas als im Schnitt der Jahre zuvor. Die Gasspeicher blieben gut gefüllt und der auf Gasbasis hergestellte Strom wurde wieder preiswerter. In der Folge sank auch der Strompreis an der Börse von 25 Cent pro Kilowattstunde im Dezember auf acht Cent im Mai.

Später Start der Abschöpfung ließ viele Übergewinne liegen

Mit den Einnahmen aus der Abschöpfung sollte, das war ja die Ursprungsidee, auch ein Teil der Kosten für die Strompreisbremse gedeckt werden. Für diese wurden bis Mitte Juni rund 7,8 Milliarden Euro ausgeschüttet, teilt das Bundeswirtschaftsministerium dazu auf Anfrage mit.

Endgültige Zahlen könnten auch hier noch nicht genannt werden, weil bis Ende August noch Änderungen und Korrekturen möglich seien, teilt die Behörde weiter mit.

Die privaten Haushalte kommen mit niedrigen Abschöpfungen in eine bessere Situation. Sinkende Strompreise bedeuten in der Regel mehr Wettbewerb zwischen den Anbietern und mehr Tarif-Auswahl.

Die Strompreisbremse hätte den Kilowattstundenpreis für Haushalte ohnehin nur auf 40 Cent gedrückt – egal, wie hoch die Abschöpfung ausgefallen wäre.

Bei der Abschöpfung rächt sich in gewisser Weise der späte Start im Dezember. Denn unbestritten ist: Im Jahr 2022 verzeichneten viele Stromerzeuger, ob konventionell oder erneuerbar, enorme "Windfall-Profits", leistungslose Gewinne.

 

Verfassungsbeschwerde wird aufrechterhalten

Auch wenn die politische Debatte um die Erlösabschöpfung abklingt, vor Gericht bleibt sie weiter Thema. Trotz der offenbar geringen Summe bleibt es bei der Verfassungsbeschwerde gegen die Erlösabschöpfung, erklärt Lichtblick-Sprecher Ralph Kampwirth gegenüber Klimareporter°.

Die Beschwerde hatte das Ökostrom-Unternehmen im vergangenen März zusammen mit zwei Dutzend Betreibern von Solar-, Wind- und Biomassekraftwerken in Karlsruhe eingereicht.

Bei der Klage gehe es nicht in erster Linie um die abgeschöpfte Summe, sondern um den von der Regierung gewählten Mechanismus, erläutert Kampwirth. Dieser schöpfe nicht wie eine Steuer am Ende der Wertschöpfung aus dem erwirtschafteten Geld einen Teil für die Allgemeinheit ab, sondern greife in die Erlösstruktur von Unternehmen ein. Das sei mit dem deutschen Finanz- und Steuersystem nicht vereinbar, betont der Lichtblick-Sprecher.

"Mit einer seriösen und verlässlichen Industriepolitik hat das, was die Bundesregierung mit der extrem bürokratischen Erlösabschöpfung angerichtet hat – inklusive der Unterstellung fiktiver Erlöse – auf jeden Fall nichts zu tun", sagt Kampwirth. Hier gehe es um eine finanzrechtliche Grundsatzfrage unabhängig von der Wirksamkeit des Instruments.

Es könnte gut sein, dass die gerichtliche Entscheidung über die Grundsatzfrage noch einmal für Aufregung sorgt.