Jährlich um 1,3 Prozent sind die energiebedingten CO2-Emissionen in den vergangenen fünf Jahren gestiegen. Um einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern, müssen die Emissionen aber jedes Jahr um mindestens 3,5 Prozent sinken – bis 2050 und darüber hinaus.
Aus Sicht von Irena, der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien, braucht es deshalb eine Kehrtwende bei der Energieproduktion. Mit einem massiven Ausbau erneuerbarer Energien und einem stärkeren Einsatz von erneuerbarem Strom in den Sektoren Verkehr, Wärme und Industrie lassen sich mehr als drei Viertel der energiebedingten Emissionen vermeiden. Das geht aus einer Zukunftsprognose hervor, die die Erneuerbaren-Agentur mit Sitz in Abu Dhabi heute beim "Berlin Energy Transition Dialogue" vorgelegt hat.
Dafür muss die Transformation des weltweiten Energiesystems erheblich beschleunigt werden. "Die Energiewende gewinnt an Fahrt, sie muss aber noch schneller werden", sagte Irena-Generaldirektor Francesco La Camera bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Bis 2050 könnten die erneuerbaren Energien wie Photovoltaik und Windkraft bis zu 86 Prozent des weltweiten Bedarfs decken – auch dann, wenn die Nachfrage nach Energie stark steigt.
Die wichtigste Energieform wäre dann künftig Strom mit einem Anteil von 50 Prozent am Endenergieverbrauch, heute sind es 20 Prozent. Vor allem weil im Jahr 2050 weltweit rund eine Milliarde Elektroautos auf den Straßen fahren könnten und Strom auch zum Heizen von Gebäuden und zur Produktion von Wasserstoff eingesetzt würde, könnte sich der Bruttostromverbrauch laut Bericht verdoppeln.
Warum die Erneuerbaren-Agentur nicht mit einer hundertprozentig erneuerbaren Stromversorgung im Jahr 2050 rechnet, erklärte Irena-Mitarbeiter Dolf Gielen in Berlin mit dem massiv steigenden Energiebedarf weltweit.
Demgegenüber hatte die Technische Universität im finnischen Lappeenranta gemeinsam mit dem Expertennetzwerk Energy Watch Group errechnet, dass eine vollständige Stromerzeugung aus Erneuerbaren bis 2050 erreichbar ist. Auch die kalifornische Stanford University hatte konkrete Fahrpläne vorgelegt, wie 139 Staaten bis 2050 ihren gesamten Energiebedarf auf erneuerbare Energien umstellen können.
Die Energiewende lohnt sich ökonomisch
Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ist sich ebenfalls sicher, dass die Transformation schneller gelingen kann, als sie die Irena mit der jetzt veröffentlichten Roadmap vorschlägt. "Eine Vollversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien ist sogar schon 2030 möglich, eine Komplettversorgung mit erneuerbaren Energien in allen Energiesektoren 2050", sagt Claudia Kemfert gegenüber Klimareporter°. Voraussetzung sei, dass ab sofort nicht mehr in fossile, sondern nur noch in erneuerbare Energien investiert werde.
Laut Irena liegen derzeit Pläne für Investitionen bis 2050 über 95.000 Milliarden US-Dollar im Energiesektor vor. Mit zusätzlichen Investitionen von 15.000 Milliarden Dollar könnte der Übergang in ein dekarbonisiertes Energiesystem möglich werden. Bis 2050 entsprächen die gesamten Investitionen in ein erneuerbares Energiesystem damit jährlich zwei Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts.
"Zwei Prozent sind noch immer eine Menge Geld", sagte Irena-Chef La Camera. Aber diese Investitionen stünden vermiedenen Gesundheitskosten, Energiesubventionen und Klimaschäden gegenüber, sodass es wirtschaftlich mehr als lohnend sei, die Erneuerbaren auszubauen. "Jeder Dollar, der für die Energiewende ausgegeben wird, zahlt sich drei- bis siebenfach aus", so La Camera.
Die Essenz des Reports: Die Energiewende lohnt sich ökonomisch, sie schafft Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. "Die Erneuerbaren-Branche ist ein wirtschaftliches Kraftwerk", sagte die Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, Simone Peter. Mehr als 10,3 Millionen Arbeitsplätze seien hier weltweit bereits geschaffen worden, fünfmal mehr als in der Kohleindustrie. "Bis 2030 könnte die Zahl der Jobs auf 24 Millionen weltweit ansteigen", sagte die Verbandschefin.
Allerdings sind die Fortschritte bei der Transformation in ein erneuerbares Energiesystem noch ungenügend. Bei den energiebedingten CO2-Emissionen, der Nachfrage nach fossilen Brennstoffen und der Energieeffizienz verläuft die Entwicklung laut dem Irena-Report "nicht in der richtigen Spur". Hier müsse die Politik ansetzen und beispielsweise Effizienzstandards fördern, fossile Subventionen stoppen, den Bau von neuen Kohlekraftwerken unterbinden und klimaschädliche Emissionen mit einer Abgabe belegen.
Durchwachsen beurteilt der Report den Stand beim Umbau des Gesamtsystems in Richtung (regenerativen) Strom, beim Anteil der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch sowie bei der Stromerzeugung. Während es beim weltweiten Zubau der Photovoltaik, beim Umstieg auf Elektrofahrzeuge oder beim Einsatz von sogenannten intelligenten Stromzählern im Privatbereich Fortschritte gebe, verlaufe der Ausbau der Windkraft oder des Agrosprit-Einsatzes im Verkehr noch nicht zufriedenstellend.
"Die Welt im Jahr 2050 hängt von den Energieentscheidungen ab, die wir heute treffen", appellierte La Camera an die anwesenden Politiker in Berlin. Die Mobilisierung von Investitionen, um die Energiewende zu beschleunigen, sei von entscheidender Bedeutung.
"Investment in neue Erdgas-Infrastruktur zahlt sich nicht mehr aus"
Die Energiewende-Konferenz findet noch bis morgen in Berlin statt. Es werden mehr als 2.000 Teilnehmer aus 50 Ländern erwartet. Eröffnet wurde die Konferenz von Außenminister Heiko Maas (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).
"Wir müssen erkennen, dass der Übergang zu einem erneuerbaren Energiesystem mit vielen Zwischenschritten verbunden ist", sagte Altmaier. Das Abschalten von fossilen Kraftwerken sei ein wichtiger Schritt. "Damit die Energieversorgung eines Tages auf Erneuerbaren beruhen kann, brauchen wir neue Gaskraftwerke", so Altmaier weiter.
Allerdings ist der Ausbau fossiler Infrastrukturen umstritten, auch wenn es um das flexibel einsetzbare Erdgas geht. Kritiker warnen vor Lock-in-Effekten: Sind die Gaskraftwerke erst gebaut, werden sie so lange wie möglich betrieben und verhindern so die zügige Transformation zu erneuerbaren Energien.
"Wenn wir die Klimaziele von Paris erreichen wollen, sollten wir nicht in neue fossile Gaskraftwerke investieren, sondern besser in erneuerbare Energien", sagt Claudia Kemfert vom DIW. Investitionen in Gaskraftwerke genau wie in Kohlekraftwerke vor 15 Jahren seien "stranded investments" – Investitionen, die sich nicht mehr auszahlen.
Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Kuratorium von Klimareporter° an.