Windpark in Hessen: Die erneuerbaren Energien müssen viel schneller und viel stärker ausgebaut werden, sagt Volker Quaschning. (Foto: Angela Rohde/​Shutterstock)

Klimareporter°: Herr Quaschning, in Deutschland liegt der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch erst bei 20 Prozent. Beim Strom kommen die Erneuerbaren auf knapp die Hälfte. Wie schnell ist eine Vollversorgung zu schaffen?

Volker Quaschning: Das hängt davon ab, wie schnell wir das wollen. Das hat man bei Tesla gesehen. Da hat es von der Idee bis zum fertigen Werk rund zwei Jahre gebraucht.

Wenn es dagegen zehn Jahre dauert, um ein Windrad zu bauen, dann werden wir für 100 Prozent Öko-Energie noch 100 Jahre brauchen. Nötig ist in der Energiepolitik also Tesla-Tempo, dann ist eine Vollversorgung in allen Sektoren bis 2035 noch machbar.

Die Bundesregierung plant 100 Prozent Ökostrom für 2035 und generelle Klimaneutralität 2045. Reicht das aus, um die Pariser Klimaziele zu erreichen?

Ganz klar: Nein. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, hat das globale CO2-Restbudget auf Deutschland heruntergebrochen. Ergebnis: Wenn wir das 1,5-Grad-Limit einhalten wollen, müssen wir bis 2030 klimaneutral werden, und um wenigstens deutlich unter zwei Grad zu bleiben, ist 2035 das Ziel. Mit 2045 werden wir die Vorgaben des Paris-Abkommens nicht einhalten können.

Dabei ist Deutschland mit 2045 im weltweiten Vergleich doch ein Vorreiter.

Richtig. Aber das hilft ja nichts. Wenn viele andere auf vier Grad Erwärmung zusteuern und Deutschland auf etwa zwei, ist weder das eine noch das andere zielführend. Wir können uns nicht hinter anderen Ländern verstecken, weil die noch schlechter sind als wir. Einer muss vorangehen und die anderen mit seinem guten Beispiel überzeugen. Wir müssen einfach loslegen.

Das bisherige Trödel-Tempo hat uns ja in noch ganz andere Probleme geführt, siehe Ukraine-Krieg. Die Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas ist nicht nur wegen des Klimas ungesund.

Was muss geschehen, um auf den Paris-Pfad zu kommen?

Das Konzept zum Ökostrom-Ausbau, das die Bundesregierung nun mit dem "Osterpaket" vorgelegt hat, ist gut – es hätte nur vor zehn Jahren kommen müssen. Eigentlich müssten wir dasselbe nochmal obendrauf legen.

Hinzu kommt: Bei der Verkehrswende geschieht kaum etwas, und auch bei der Wärmewende hapert es. Man kann nicht weiter Benziner und Diesel zulassen sowie neue Öl- und Gasheizungen einbauen und nur den Strom grün machen. Nötig ist ein Aus für neue Verbrenner noch vor 2025 und ein sofortiges Einbauverbot für fossile Heizungen.

E-Autos und eine echte Verkehrswende sowie Wärmepumpen zur Hausheizung in gedämmten Gebäuden sind die richtigen Alternativen.

Foto: Silke Reents

Volker Quaschning

ist Professor für Regenerative Energie­systeme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Sein kürzlich erschienenes Buch "Energie­revolution jetzt" steht auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Was genau müsste am Osterpaket noch geändert werden?

Wie gesagt, eigentlich müssten die Ökostrom-Ausbauziele noch einmal verdoppelt werden. Freilich kann man die Solar- und Windprojekte nicht aus dem Hut zaubern. Deswegen sollte die Regierung alles daransetzen, dass die Ziele in den nächsten vier, fünf Jahren tatsächlich erreicht werden, und dann muss sie alles noch einmal hochfahren.

Solar- und Windenergie haben bekanntermaßen den Nachteil, dass sie fluktuieren – Stichwort Dunkelflaute. Wie kann ein Industrieland wie Deutschland solche Situationen überstehen?

Die Speicher müssen parallel zu Sonne und Wind ausgebaut werden. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten. Darunter stationäre Speicher in den Häusern, ebenso die Batterien der Elektroautos und natürlich Langzeitspeicher, die mit Wasserstoff oder Methan arbeiten, die sogenannte Power-to-Gas-Technologie.

Das funktioniert auch in Zeiten, in denen wegen großräumiger stabiler Hochdrucklagen wochenlang nur wenig Windkraft zur Verfügung steht?

Ja. Wir können die bisherigen Erdgasspeicher dafür nutzen, deren Kapazität sehr groß ist. Die reicht aus, um mehrere Wochen zu überbrücken. Ein völliger Ausstieg aus Erdgas im Strombereich macht daher trotz Ukraine-Krieg keinen Sinn. Einen Teil der Speicher und Netze wird man, wie beschrieben, weiter brauchen. Wir müssen in den sauren Apfel beißen und übergangsweise aus anderen, auch nicht sehr demokratischen Staaten wie Katar Erdgas besorgen.

Aber parallel müssen Einsparung und der Ausbau der Ökoenergien forciert werden.

E-Autos und Wärmepumpen erfordern große Mengen zusätzlichen Strom. Ein normaler Haushalt verdoppelt damit seinen Elektrizitätsverbrauch mindestens. Wo sollen diese Mengen herkommen? Und verkraften die Elektrizitätsnetze das überhaupt?

Der Strom kommt aus zusätzlichen Solaranlagen und Windrädern. Das muss man beim Ausbau mit einplanen. Die bisher von der Bundesregierung vorgesehenen Mengen werden nicht ausreichen, hier müssen Habeck und Co nachsteuern.

Wie ein Energiesystem ohne Fossile aussehen kann

2035 soll der Strom in Deutschland erneuerbar sein, zehn Jahre später die gesamte Energie. Damit das klappt, muss sich einiges ändern: bei den Stromnetzen, bei unserem Stromverbrauch, bei den Kraftwerken, bei unseren Heizungen. Was konkret passieren muss, beschreibt Klimareporter° in dieser Serie.

Die Themen der weiteren Teile:

  • 100 Prozent Ökostrom
  • Biogas statt Erdgas gegen die "Dunkelflaute"
  • Strom aus Wasserstoff statt aus Erdgas?
  • zentrale Großspeicher und dezentrale Heimspeicher
  • Vor-Ort-Versorgung mit mehr Effizienz und Suffizienz
  • Klimakonzepte für die Wärmeversorgung

Zudem kommt es darauf an, den Ökostrom auch dort zu produzieren, wo er gebraucht wird. Also auch in Bayern, wo die Landesregierung unter Markus Söder den Ausbau der Windkraft immer noch bremst.

Es gibt enorme Einsparpotenziale für Energie in allen Sektoren, von Gebäuden über Haushalte bis Industrie. Die werden bisher viel zu wenig genutzt, obwohl sie die Ausbau-Notwendigkeiten stark verringern könnten. Keine Chance, das zu ändern?

Darüber reden wir seit 30 Jahren. Deutschland ist ein reiches Land, in dem die Energiekosten auf der Jammer-Skala weit oben stehen, aber auf der Handlungs-Skala weit unten. Die Kosten tun vielen nicht richtig weh, und dann wird mit Energie weiter geaast, obwohl es nicht notwendig wäre.

Zudem werden Einsparungen oftmals durch höheren Lebensstandard wieder aufgefressen – wie etwa durch SUV und größere Wohnflächen.

Vielleicht ändert sich das ja einmal, wenn sich die Werte in unserer Gesellschaft ändern. Immer mehr, immer größer, immer schneller – das ist ja nicht der Weisheit letzter Schluss.

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