Ein wenig traurig war's am Ende für die drei deutschen Rest-AKW schon: Ab November letzten Jahres speisten sie ein Viertel bis ein Drittel weniger Strom ins Netz ein, als ihre Leistung eigentlich hergegeben hätte. Im Januar kamen wegen Wartung auch noch Stillstände hinzu.
Der atomare Ersatz von Erdgas und Kohle hielt sich im Winter denn auch in Grenzen: Der Erdgasverbrauch sank von November 2022 bis April 2023 um nur 2,2 Terawattstunden, das sind 0,3 Prozent des deutschen Jahresverbrauchs. Das errechnete jetzt die Energieberatungsfirma Enervis in einer Analyse für die Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy und die Umweltorganisation Greenpeace.
Laut der Untersuchung ergibt sich ein nur marginaler Klima-Effekt: Fossile Kraftwerke erzeugten wegen der zusätzlichen AKW-Laufzeit rund 2,4 Terawattstunden weniger, was einer CO2-Reduktion um 1,5 Millionen Tonnen entspricht. Zum Vergleich: 260 Millionen Tonnen CO2 emittierte die gesamte Energiewirtschaft im Jahr 2022.
Auch der preisentlastende Effekt des Atomstroms war laut der Analyse gering. Durch die Laufzeitverlängerung um dreieinhalb Monate bis Mitte April ging der Strompreis um 0,2 Cent je Kilowattstunde zurück. Vorher hatte Atomstrom keinen zusätzlichen Preiseffekt, weil die Stromhändler das Auslaufen der AKW seit Langem eingepreist hatten.
Die Versorgung wäre auch ohne die drei AKW gesichert gewesen, sagt Hauptautor Tim Höfer von Enervis. Für den Fall der Fälle hätten ausreichend Gaskraftwerke bereitgestanden.
Strom, den hier keiner so recht braucht, geht in den Export. Die Laufzeitverlängerung der AKW führte dazu, dass sehr viel mehr Strom in die Nachbarländer exportiert wurde, erläutert Höfer.
Reservebetrieb heute noch weniger sinnvoll als 2011
Auch übers ganze Jahr 2022 wäre der Atomstrom für eine ausgeglichene Strombilanz nicht gebraucht worden. Letztes Jahr erklomm der deutsche Stromexport mit 27,5 Terawattstunden ein neues Hoch. Die deutschen AKW erzeugten in dem Jahr 32,8 Terawattstunden.
Bilanziell liefen die Atomkraftwerke also 2022 fast ausschließlich für den Export, rechnet jetzt auch eine Analyse der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) vor.
Für die Zukunft sehen die Atomkritiker auch wenig Chancen für lebensverlängernde Maßnahmen an den AKW – beispielsweise, diese weiter betriebsbereit zu halten, wie es FDP und Union fordern.
Ein solches In-Reserve-Halten der AKW sei schon beim Ausstiegsbeschluss 2011 diskutiert worden, sagt der langjährige Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. Schon damals habe sich die Industrie aber für den schnellen Rückbau entschieden.
Dabei seien die Kraftwerke vor zwölf Jahren noch ganz anders einsatzfähig gewesen, so Smital. Ein Reservebetrieb erschien damals noch eher als ein gangbarer Weg. Heute dagegen sei dies technisch ausgeschlossen, eine "nicht vorhandene Option", betont der studierte Kernphysiker.
"Man braucht nicht jede Kilowattstunde"
Das Pro-Atom-Argument, in der aktuellen Krise werde jede Kilowattstunde gebraucht, kann Smital ebenfalls wenig beeindrucken. "Man braucht nicht jede Kilowattstunde", sagt er. Denn jede Kilowattstunde, die sich im Stromsystem "festkralle" und erneuerbare Energien verdränge, schade diesen und dem künftig flexiblen Stromsystem – und somit letztlich auch dem Klimaschutz.
Auch für Carolin Dähling von Green Planet Energy war die Laufzeitverlängerung ein "schlechter Deal". Ähnlich wie Smital ist sie froh, dass mit dem Abschalten der AKW ein "Riesenklotz" aus dem Stromsystem genommen wurde, der nicht zur variablen Erzeugung von Wind und Sonne passe.
Künftig sollte sich Deutschland nicht mehr mit veralteten Debatten aufhalten, betont Dähling. Es stehe ein "historischer Kraftakt" beim Ausbau der Erneuerbaren bevor, darüber sei zu sprechen. "Hätten wir die Zeit für die ganze Debatte über die Laufzeitverlängerung für den Ausbau der Eneuerbaren genutzt, wären wir schon ein ganzes Stück weiter", sagt die Energieingenieurin.
Greenpeace-Experte Smital räumt seinerseits ein, dass sich Deutschland klimapolitisch in einer "schwierigen Situation befindet". Es gebe viel aufzuholen, weil man durch eine falsche konservative Energiepolitik zehn bis zwölf Jahre verloren habe.
Möglicherweise war die Abschaltung der AKW noch eine vergleichsweise einfache Übung in der Energiewende, jedenfalls, was die letzten drei Anlagen betraf.