"Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv." Das war der Schlachtruf, mit dem die ersten Anti-Atom-Aktivisten in den 1970er Jahren ihren Kampf gegen die im Jahrzehnt zuvor eingeführte neue Energieform begannen.
Ein Kampf, der zunächst aussichtslos erschien. Die Brennpunkte waren Wyhl, der geplante AKW-Standort in Baden, und Gorleben in Niedersachsen, wo ein nationales "Nukleares Entsorgungszentrum" samt Endlager entstehen sollte.
Ein halbes Jahrhundert danach steigt Deutschland endgültig aus der Atomkraft aus. Die letzten drei AKW gehen vom Netz. Das ist, auch wenn Wirtschaftsverbände und in der Politik Union, FDP und AfD das Gegenteil behaupten, ein Anlass zur Freude.
Die Atomkraft war nie die Heilsbringerin, als die sie zu Beginn hochgejazzt wurde, erst in den USA, dann auch hierzulande. Nach den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki hieß es: "Atoms for Peace", so US-Präsident Eisenhower in seiner berühmten Rede vor den Vereinten Nationen.
Als Wiedergutmachung für die Atombombenabwürfe sollte die Welt mit zivilen "Uranmaschinen" beglückt werden. Es hieß, Elektrizität würde so billig werden, dass es sich nicht mehr lohnen würde, Stromzähler laufen zu lassen.
Diese und andere, noch viel groteskere Versprechungen wurden nie wahr. Der Anteil der Atomkraft am weltweiten Endenergieverbrauch beträgt zwei Prozent, die Endlagerfrage ist fast nirgends gelöst, und zur Rettung des Weltklimas taugt die Kernenergie auch nicht, weil viel zu teuer und zu langsam im Ausbau.
Die Anti-Atom-Bewegung, gerade in Deutschland, hat zwei große Verdienste. Sie hat das Trugbild vom "Restrisiko" entlarvt, mit dem die AKW-Protagonisten den Bau der Reaktoren rechtfertigten. Und sie hat grob fahrlässige Fehlentscheidungen bei der Atommüll-Entsorgung aufgedeckt und verhindert.
Dafür gebührt ihr höchstes Lob. Die Politik sollte es den Kämpen des Widerstands, die sich "x-tausendmal quer" stellen mussten und darüber grauhaarig geworden sind, auch einmal ganz deutlich aussprechen.
Unglaubliche Fehler, bewusste Täuschung
Atomkraftwerke können Katastrophen auslösen. Das war schon zu Beginn des "Atomzeitalters" bekannt. Kaum zu glauben, dass Politiker Kraftwerke mit solch hohem Risikopotenzial als Lösung der Energieprobleme überhaupt in Betracht zogen und durchsetzten – hierzulande anfänglich sogar gegen den Widerstand der Stromkonzerne. Sie nahmen bewusst in Kauf, dass es zu einem "Super-GAU" mit der Verseuchung großer Regionen und vielen Opfern kommen kann.
Die heute irrwitzig anmutende Lösung für dieses "Restrisiko", das bei Weitem nicht so klein war wie behauptet: Man baute die AKW etwas weiter weg, aufs Land, nicht in Großstädte. Und man schaffte Jodtabletten für den Katastrophenschutz an.
Bei der Atom-Endlagerung gab es ähnlich unglaubliche Fehler und bewusste Täuschungen der Öffentlichkeit: das Abkippen von Müllfässern in das löchrige Asse‑II-Bergwerk, das nun abzusaufen droht, und die Auswahl des geologisch ungeeigneten Salzstocks Gorleben.
Heute, wo der Ausstieg da ist, wird über diese Hintergründe kaum mehr gesprochen. Die Voll- und Beinahe-Atomkatastrophen von Windscale-Sellafield (1957), Harrisburg (1979), Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) sind zu Unrecht in der Erinnerung verblasst.
Dabei hat es schwere Störfälle und gefährliche Fehlbedienungen nicht nur dort, sondern auch hierzulande in den 60 Jahren des AKW-Betriebs immer wieder gegeben, etwa in Gundremmingen, Biblis, Brunsbüttel. Zu einem Super-GAU kam es zum Glück nie, dabei war er nie ausgeschlossen.
Die Kanzler-Physikerin Angela Merkel (CDU) begriff das sofort, als die Reaktoren in Fukushima explodierten. Sie revidierte den Ausstieg aus dem Ausstieg, den sie kurz vorher auf Druck der Stromkonzerne vollzogen hatte. Sieben Reaktoren gingen sofort vom Netz. Für den Rest wurde ein neuer Abschaltplan beschlossen. Alle Parteien trugen das mit, voran die FDP unter ihrem damaligen Chef Guido Westerwelle.
Die gleichen politischen Kräfte
Und nun? Wieder verkehrte Welt. Die drei Parteien, die damals den Ausstieg 2.0 mit dem Argument Super-GAU-Risiko anführten, CDU, CSU und FDP, fordern, ihn erneut zurückzunehmen oder die Reaktoren zumindest betriebsbereit zu halten.
Diesmal dienen Putins Ukraine-Krieg und die Energiekrise als Argument. Aber auch der Klimaschutz durch die angeblich CO2-freie Energiequelle – was die Atomkraft gar nicht ist, weil Uranabbau und -verarbeitung, Abriss und Endlagerung Treibhausgase freisetzen.
Schon ein Umstand sollte zu denken geben: Es sind genau jene politischen Kräfte, die nach 2010 den in Schwung gekommenen Ausbau der erneuerbaren Energien abwürgten und die fossile Abhängigkeit Deutschlands verlängerten. Ohne diese Verzögerung wäre Putins Drohpotenzial viel kleiner.
Diesen Stimmen zu folgen, hieße, den ersten Fehler mit einem zweiten korrigieren zu wollen, der Wiederbelebung einer Risikotechnologie.
Die Zukunft gehört nicht der Atomkraft, sondern den erneuerbaren Energien und der effizienteren Energienutzung. Deutschland tut gut daran, diesen Weg beschleunigt weiter zu beschreiten. Es könnte damit ein Vorbild abgeben für jene anderen EU-Länder, die ihr Heil weiter im Atom suchen. Und es dort nicht finden werden.