Dampfendes Kohlekraftwerk Niederaußem in Bergheim bei Köln
Block D des Braunkohlekraftwerks Niederaußem ging nach über 50 Jahren vom Netz. Zwei Blöcke von 1974 sollen bis 2029 weiterlaufen, ein weiterer Block bis 2038. (Foto: Dirk Jansen/​Wikimedia Commons)

Jetzt wird es wirklich ernst mit dem deutschen Kohleausstieg per Gesetz. Seit Jahresbeginn sind Kohlekraftwerke mit insgesamt mehr als 5.000 Megawatt Leistung nicht mehr am Netz, davon fast 4.800 Megawatt Steinkohle.

Hinzu kommt Block D des Braunkohlekraftwerks Niederaußem mit rund 300 Megawatt, den der Betreiber RWE bereits Mitte Dezember vom Netz nahm. Der Uralt-Block im Rheinland war 1968 in Betrieb gegangen und wurde zum 31. Dezember endgültig stillgelegt, wie Medien berichteten.

Auch die kompletten 4.800 Megawatt Steinkohle, die im Herbst in der ersten Stilllegungsauktion der Bundesnetzagentur den Zuschlag erhielten, gingen "bereits zum 1. Januar 2021 vom Netz und nicht erst im Laufe des Jahres", erklärte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums auf Nachfrage.

Die Steinkohle-Anlagen würden sich "ohne CO2-Emissionen zu verursachen" zunächst in eine Sicherheitsbereitschaft begeben und dann im Laufe des Jahres endgültig stillgelegt werden.

Sicherheitsbereitschaft bedeutet, dass die Blöcke bei Bedarf wieder angefahren werden können, sofern die Bundesnetzagentur eine stabile Stromversorgung gefährdet sieht.

Wann wie viel Megawatt von Netz gehen, ist dabei klimapolitisch nicht so entscheidend wie die Frage, wie viel an CO2-Emissionen am Ende real eingespart wird.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte sich vor Weihnachten mit einer Zahl hervorgewagt. Alle jetzt per Gesetz stillgelegten Kohleblöcke hätten 2019 "noch über zehn Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen verursacht", gab Schulze an – mit der unterschwelligen Botschaft, so viel CO2 würde dann auch dank der Stilllegungen eingespart.

"Stark gerundet und teilweise geschätzt"

Die erste Frage ist, wie die Ministerin zu den zehn Millionen Tonnen kommt. Die Emissionen der jetzt vom Netz gehenden Steinkohleanlagen für das Jahr 2019 habe man "stark gerundet und teilweise geschätzt", erklärt ein Ministeriumssprecher. Viele Datengrundlagen lägen nur für 2018 abschließend vor und in den letzten Jahren seien die Emissionen auch sehr schwankend gewesen.

"Wir haben uns angeschaut, wie viel die jetzt vom Netz gehenden Blöcke in den letzten Jahren emittiert haben, und haben dann für das Jahr 2019 eine Rundung beziehungsweise Schätzung vorgenommen beziehungsweise auf die vorliegenden Schätzungen des Umweltbundesamtes zurückgegriffen", erläutert der Sprecher.

Nach den so gewonnenen Daten emittierten einige der betreffenden Steinkohleblöcke 2019 gar kein oder nur wenig CO2, wie das Heizkraftwerk Jülich, das Kraftwerk Höchst sowie die Kraftwerke der Zuckerfabriken Warburg und Brottewitz.

Jeweils etwa ein bis zwei Millionen Tonnen emittierten danach im Jahr 2019 das Steag-Kraftwerk Walsum, das Kraftwerk Bremen-Hafen, das Uniper-Kraftwerk Heyden sowie die RWE-Kraftwerke ​Westfalen/Hamm und Ibbenbüren.

Zu Hochzeiten stießen allein die beiden RWE-Anlagen zusammen jährlich zwischen sieben und acht Millionen Tonnen CO2 aus – die meiste Zeit des Jahres 2019 erzeugten sie aber offenbar keine Kilowattstunde.

Moorburg steuert größten CO2-Brocken bei

Alles in allem kommt das Umweltministerium auf rund 12,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen, die die Steinkohleblöcke und der Braunkohleblock in Niederaußem 2019 verursacht haben – und die "werden jedenfalls 2021 nicht mehr emittiert", wie der Sprecher betont.

Angesichts der rechnerisch möglichen 12,5 Millionen Tonnen begibt sich Ministerin Schulze mit ihrer öffentlichen Angabe von "über zehn Millionen Tonnen" CO2-Emissionen für 2019 also erstmal auf die sichere Seite. So genau weiß man es ja nicht.

Die desolate Marktlage für die Kohleverstromung führt allerdings dazu, dass nur zwei wirklich "große Brocken" in der ersten Ausstiegs-Runde dabei sind: bei der Steinkohle das Hamburger Vattenfall-Kraftwerk Moorburg mit rund fünf Millionen Tonnen CO2 sowie der genannte Braunkohle-Block in Niederaußem mit 2,5 Millionen Tonnen. Bei der Steinkohle steuert Moorburg allein fast 50 Prozent zur Emissionsmenge bei.

Und das betrifft noch die Lage 2019. Im Jahr 2020 ging nach Angaben der AG Energiebilanzen der Einsatz von Steinkohle in Kraftwerken zur Strom- und Wärmeerzeugung um 26 Prozent zurück, also um mehr als ein Viertel.

In welchem Umfang die CO2-Emissionen von Anlagen, die bei der Erzeugung sowieso schon vor sich hindümpelten, im vergangenen Jahr weiter gesunken sind, lässt sich schwer beurteilen, zumal hier auch Pandemiefolgen hinzukommen. Mehr CO2 ist es sicher nicht geworden, eher deutlich weniger.

Nur erhalten die Steinkohle-Betreiber eben für die Stilllegung  ihrer oft ohnehin stillstehenden Anlagen 317 Millionen Euro Entschädigung. Polemisch ausgedrückt: Die Steuerzahler blechen hunderte Millionen für – klimapolitisch gesehen – Schrott.

Kohle wird wohl nur durch Gas ersetzt

Und klar ist auch: Die implizite Botschaft aus dem Bundesumweltministerium, dass "über zehn Millionen Tonnen" nicht mehr emittiert und damit in der CO2-Bilanz für 2021 eingespart würden, geht so nicht auf.

Das würde nur klappen, wenn der Kohlestrom entweder durch sinkenden Stromverbrauch oder durch erneuerbare Stromerzeugung "ersetzt" würde. Beides ist für dieses Jahr nicht zu erwarten.

2020 war der Stromverbrauch nur coronabedingt rückläufig – zugleich gab es auch einen stärkeren Einsatz von Erdgas in der Stromerzeugung. Und ob nach der schwachen EEG-Novelle in diesem Jahr die Erzeugung von Ökostrom weiter zulegt, bleibt ebenfalls abzuwarten.

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