Bei der Protestdemo vor der Glencore-Hauptversammlung spricht Hilda Arrieta vom Frauennetzwerk El Paso (rechts): Der Konzern missachte die Rechte der lokalen, meist indigenen Gemeinschaften. (Bild: Laura König)

"Solidarity with the Yukpa. No more Glencore", skandieren etwa 30 Aktivist:innen vor dem Eingang zum Theater Casino im schweizerischen Zug, dem diesjährigen Veranstaltungsort der Aktionärsversammlung von Glencore. Sie demonstrieren an der Seite einer kolumbianischen Delegation für die Rechte indigener Gemeinschaften.

Einer von ihnen ist Juan Pablo Gutierrez, Menschenrechtsaktivist und Delegierter der Yukpa, einer indigenen Völkergruppe aus Kolumbien. Er will das Unternehmen mit der "sozialen Realität" seiner Heimat konfrontieren: "Das Paradies, in dem wir lebten, wurde durch die Kohlegruben zu einer echten Hölle."

Laut dem kolumbianischen Verfassungsgericht ist sein Volk unmittelbar vom Aussterben bedroht. Gutierrez selbst überlebte zwei Mordanschläge von paramilitärischen Gruppen. Er fordert von Glencore die Schließung der Kohlebergwerke, die Rückgabe des Landes an die indigenen Gemeinschaften und Wiedergutmachung.

Als weltweit führender Rohstoffkonzern fördert und handelt Glencore Rohstoffe wie Aluminium, Kupfer, Kohle und Öl, aber auch Agrarprodukte. Die Minen befinden sich verteilt über den Globus, unter anderem im Norden Kolumbiens.

In der Region Guajira betreibt der Konzern den größten Steinkohletagebau Südamerikas. Mit 690 Quadratkilometern ist der Tagebau "El Cerrejón" sechsmal so groß wie die Stadt Paris. Hunderte Gemeinden von Wayúu-Indigenen, Afrokolumbianer:innen und Kleinbäuer:innen sind von der Kohlegrube betroffen, insgesamt über 300.000 Menschen.

Zwei weitere Tagebaue, La Jagua und Calenturitas, sind seit 2020 stillgelegt und befinden sich in der Region Cesar, wo die Yukpa leben.

Für Glencore hingegen ist die Kohle ein lukratives Geschäft. "2022 war unser bestes Geschäftsjahr", verkündet Konzernchef Kalidas Madhavpeddi zu Beginn der Hauptversammlung. Mit einem Jahresumsatz von 256 Milliarden US-Dollar verzeichnet Glencore den höchsten Umsatz aller Bergbauunternehmen weltweit.

Seit der Erdgaskrise und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist der Import kolumbianischer Kohle nach Europa sprunghaft angestiegen. Laut Statistischem Bundesamt importierte Deutschland 2022 knapp vier Millionen Tonnen mehr Steinkohle aus Kolumbien als im Vorjahr – eine Verdreifachung der Menge in nur einem Jahr. 

Wo bleibt die Entschädigung für die lokale Bevölkerung?

Weder von der Steinkohle selbst noch von den Konzerngewinnen profitiert die lokale Bevölkerung. Nach Angaben der Deutschen Menschenrechtskoordination Kolumbien (MRKK) zählen die Kohleregionen Cesar und La Guajira zu den ärmsten Regionen Kolumbiens, besonders betroffen sind afrokolumbianische und indigene Gemeinschaften.

Hinzu kommen laut MRKK gravierende Umweltschäden, lebensbedrohlicher Trinkwassermangel, verschmutzte und gesundheitsschädliche Luft durch Kohlefeinstaub, Einschüchterung und exzessive Gewalt bei Zwangsumsiedlungen.

Juan Pablo Gutierrez im Gebäude. (Bild: Laura König)

Damit konfrontiert Juan Pablo Gutierrez Glencores Aktionär:innen, als die Fragerunde der diesjährigen Aktionärsversammlung eröffnet wird: "Sie machen sich mitschuldig an dem Völkermord, der uns bevorsteht, wenn Sie nichts tun. Es geht hier um Leben oder Tod für die gesamte Menschheit."

Gutierrez betont, dass indigene Gemeinschaften nur vier Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, sich aber 80 Prozent der verbleibenden Biodiversität auf ihren Gebieten befindet.

Der Yukpa-Delegierte bleibt mit seinem Anliegen nicht allein. Sie kommen aus Kolumbien, Peru, Australien und Kanada: Menschenrechts-Aktivist:innen, Gewerkschaftler:innen und Mitglieder von NGOs.

Sie alle haben dieselben Fragen: Wie entschädigt Glencore die entstandenen Schäden für die lokale Bevölkerung? Wann beginnt der Dialogprozess mit den betroffenen Gemeinden, um sich darüber zu einigen?

Und immer wieder der Vorwurf: Glencore missachte die Rechte der lokalen, meist indigenen Gemeinschaften und der Beschäftigten in den Kohlegruben. Die wiederkehrenden, kurzen Antworten des Glencore-Chefs: "Wir respektieren die Rechte der indigenen Völker." Oder: "Wir tun alles, was wir können."

Auf schriftliche Nachfrage heißt es von Unternehmensseite: "Glencore ist bestrebt, die Achtung der Menschenrechte zu gewährleisten. Im Falle nachteiliger Auswirkungen sorgen wir für die nötigen Schritte, um Abhilfe zu schaffen."

Richard Solly, Koordinator der NGO London Mining Network, wendet sich noch während der Fragerunde schockiert an den Präsidenten: "Ich habe noch nie an einer Aktionärsversammlung teilgenommen, bei der die Mitglieder betroffener Gemeinschaften derart unangemessene Antworten auf ihre Fragen erhalten haben." Darauf erntet er Beifall aus den Reihen der Aktionär:innen.

Nur vereinzelt werden Fragen zum zukünftigen Geschäft von Glencore gestellt. Zum Ende der Versammlung spricht sich eine langjährige Aktionärin für das Unternehmen aus: "Glencore ist ein ausgezeichnetes Unternehmen. Ich weiß, was sie leisten in der Welt. Vielen Dank". Darauf erhält sie ebenso lauten Applaus einiger Aktionär:innen.

In der anschließenden Abstimmung wird der Antrag, der eine stärkere Offenlegung des Kohlegeschäfts fordert, mit knapp 70 Prozent der Stimmen abgelehnt.

Kohleabbau ohne Konsulationen

Juan Pablo Gutierrez hatte nicht mit einer so starken Präsenz lokaler Gemeinschaften und NGOs in Zug gerechnet, wie er nach der Versammlung erklärt. Für ihn und viele der Kritiker:innen ist die Aktionärsversammlung deshalb ein Erfolg. "Wir haben es geschafft, die Schattenseite des Unternehmens offenzulegen. Das ist ein Sieg für die lokalen Gemeinschaften", erklärt Gutierrez.

Auch Hilde Arrieta vom Frauennetzwerk El Paso geht gestärkt aus der Versammlung heraus, obwohl sie unzufrieden mit den Antworten ist. "Es ist schön zu sehen, dass ich nicht allein bin", erklärt sie.

Arrieta ist Afrokolumbianerin und damit Nachfahrin ehemaliger Sklaven. Sie lebt nur einen Kilometer vom Tagebau Calenturitas entfernt. Früher lebte ihre Gemeinschaft von der Landwirtschaft. Dann begann Glencore Steinkohle abzubauen, ohne die Anliegergemeinden vorher zu konsultieren, erzählt Arrieta.

Dabei haben indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften Sonderrechte in Kolumbien: Auf ihrem Land darf kein Projekt ohne ihre Zustimmung durchgeführt werden.

Der Kohlestaub sorgte dafür, dass die Pflanzen nicht mehr richtig wachsen konnten. Besonders die Frauen hatten plötzlich keine Arbeit mehr. Sie mussten nun vom Bergbau leben. Bis Glencore 2020 über seine lokale Tochtergesellschaft Prodeco die Grube Calenturitas schließen ließ.

Laut dem Gewerkschaftler Luis Fernando Ramirez Miranda verloren die 7.000 Minenarbeiter ihren Job, ohne dafür entschädigt zu werden. Viele von ihnen seien wegen Atemwegserkrankungen heute arbeitsunfähig. Es kam zu einem Anstieg von Prostitution und Bandenkriminalität.

 

"Bei allen Problemen, die Glencore in 25 Jahren geschaffen hat, müssen Arbeiter vor Gericht kämpfen, um dafür entschädigt zu werden", erklärt er. Wer das versuche, müsse mit Morddrohungen rechnen.

Nach Angaben des Unternehmens gibt es für die verbliebene und größte Kohlemine Cerrejón ein Team, das zusammen mit den betroffenen Gemeinden "Ausgleichsmaßnahmen für soziale und kulturelle Auswirkungen" vereinbare. Die über 1.700 Projekte spiegelten dabei die Vorschläge der Gemeindevertreter wider, so Glencore.

Stephan Suhner von der Arbeitsgruppe Schweiz–Kolumbien bezweifelt, dass dieser Dialog auf Augenhöhe stattfindet. "Es ist so unfair, wenn eine Firma mit Dutzenden von Anwälten erscheint und mit einer Gemeinschaft, die wenig Schulbildung hat, über die Zukunft verhandelt."

Suhner fordert von dem Unternehmen, die Menschen zu respektieren, ihre Anliegen ernst zu nehmen und in einen vertrauensvollen Dialog einzutreten.

Diesen Dialog vermissen bisher auch die Mitglieder der betroffenen Gemeinden, das haben sie alle an diesem Freitag deutlich gemacht. Sie fordern, dass ihr Mitspracherecht beachtet wird und sie für die Folgen des Kohleabbaus entschädigt werden.

Bis dahin wird ihr Kampf um Gerechtigkeit weitergehen, wie Juan Pablo Gutierrez unterstreicht: "Wir haben alles verloren, außer die Hoffnung. Wir kämpfen weiter, bis die Sonne untergeht."

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