Gabriela Cabana
Gabriela Cabaña, Anthropologin aus Santiago de Chile. (Foto: privat)

An meinem letzten Tag in Santiago geht es auf dem Parallelgipfel zur COP 25 den ganzen Tag um die Energiewende in Südamerika. Es gibt teils überraschende Vorschläge für Großprojekte, wie etwa Sonnenenergie in der Atacama-Wüste auszubauen und Stromleitungen auch in Nachbarländer von Chile zu legen.

Doch immer wieder taucht in Diskussionen die Frage auf, wohin die Entwicklung der südamerikanischen Länder gehen soll und welche Auswirkungen auf die soziale Gerechtigkeit das hat, wer also von den alten und neuen Industrien profitiert.

Mehr noch als in Europa wird hier darüber nachgedacht, ob "Grünes Wachstum" überhaupt möglich und richtig ist und wie umweltverträglich die angebliche "grüne Energie" ist. Kritik gibt es an fast allem, was als erneuerbarer Energieträger infrage kommt: an Bioenergie aus Plantagen und Monokulturen, am Bau von Megastaudämmen, am Abbau von Lithium.

Daher frage ich die Umweltschützerin und Anthropologin Gabriela Cabaña, die aus Santiago stammt und an der London School of Economics ihre Doktorarbeit über die chilenische Energiewende schreibt, was ihr als Lösung der Energiewende vorschwebt.


Carola Rackete: Gabriela, welche Energiequellen nutzt Chile im Moment?

Gabriela Cabaña: Hauptsächlich nutzen wir fossile Energieträger, 40 Prozent unserer Energie kommen aus Kohlekraftwerken, danach folgt Erdgas und erst danach die erneuerbaren Energien wie Wasserkraft. Darunter ist erst ein ganz kleiner Teil Solar- und Windenergie.

Wie könnte in Chile die Energiewende aussehen?

 

In diesem Jahr hat Präsident Piñera beschlossen, dass die Kohlekraftwerke bis 2040 abgeschaltet werden. Das erscheint vielen vernünftig, aber in Wirklichkeit reicht das nicht aus angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise. Wir müssen unseren Verbrauch fossiler Energieträger viel, viel früher reduzieren, 2030 wäre ein angemesseneres Ziel.

Wir reden in Chile viel darüber, Kohle zu reduzieren, aber das reicht nicht, wir müssen fossile Energieträger insgesamt reduzieren, dazu gehört auch das Erdgas, das der Staat gerne als Brückentechnologie nutzen möchte. Ich halte das für eine falsche Lösung, weil wir uns komplett von fossilen Energieträgern abwenden müssen.

Die Frage ist, wie wir eine wirkliche Energiewende schaffen können und nachher saubere Energie haben und nicht wieder von einem anderen fossilen Energieträger abhängig sind.

In Argentinien und Chile wird immer mehr Lithium abgebaut, etwa für die Batterien elektrisch angetriebener Autos. Ist das ein Weg in eine "grüne" Energieform?

Die großen Salzwüsten im Norden, in denen das Lithium lagert, erstrecken sich über Chile, Argentinien und Bolivien. In Chile denken viele, wenn sie von der Energiewende hören, das kann doch kein großes Problem sein, wir haben viel Lithium, das können wir verkaufen, und wir haben viel Sonne, also können wir Solarenergie nutzen. Sie vergessen dabei, dass auch die Produktion von Solarpaneelen ressourcenintensiv ist und zum Beispiel viele seltene Erden benötigt.

Carola Rackete

wurde im Juni dieses Jahres weltweit bekannt, als die Kapitänin der "Sea-Watch 3" Flüchtlinge im Mittelmeer rettete und trotz Verbots einen italienischen Hafen anlief.  Für Klimareporter° spricht sie mit Akteuren des "Peoples' Summit" in Santiago de Chile, der parallel zum Weltklimagipfel in Madrid stattfindet und Klimagerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. 

In Wahrheit ist es so, dass der Lithiumabbau das Ökosystem der Salzwüsten zum Tode verurteilt. Deswegen sind die Anwohner in dieser Region auch oft gegen solche Industrien. Sie organisieren sich, um die Projekte von ihrer Heimat fernzuhalten, denn sie haben Sorge, dass sie, wie schon häufig in der Geschichte der Rohstoffindustrie in Chile, zum Verlust ihrer Landrechte und zur Vertreibung führen.

Dieser Extraktivismus zerstört nicht nur die Ökosysteme, die Energie kann auch nicht wirklich "grün" sein, wenn Umweltaktivisten, die gegen solche Industrien protestieren, ermordet werden, wie es etwa beim Widerstand gegen Wasserkraftwerke schon geschehen ist.

Du hast in einem Vortrag über Degrowth als Lösung des Energieproblems gesprochen. Viele in Europa meinen, dass Länder, die sich noch entwickeln müssen, Wachstum brauchen und Degrowth oder "Postwachstum" für sie nicht infrage kommt. Wie siehst du die Situation in Chile?

Natürlich kommt die ursprüngliche Idee aus Europa, dort habe ich auch das erste Mal davon gehört. Aber Wachstumskritik sollte man nicht erst ab einem bestimmten Einkommensniveau äußern. Es ist eine Kernfrage, wie wir unser Wirtschaftssystem organisieren.

Auch hier in Südamerika streben wir Systeme an, die energieintensiv sind und auf Konsum abzielen, oft von Dingen, die gar nicht notwendig sind. Wir machen also dieselben Fehler wie Europa. Degrowth ist eine Einladung, darüber nachzudenken, warum wir Wachstum brauchen und ob der Preis, den wir dafür bezahlen, die Zerstörung des Klimas und der Ökosysteme, nicht einfach zu hoch ist.

Also ist für mich eine Frage der Energiewende, wie wir gleichzeitig den Gedanken durchsetzen, dass wir weniger Energie verbrauchen und weniger Güter produzieren und nutzen. Weniger Konsum von materiellen Gütern, aber mehr von anderen Dingen: Zeit etwa, um sie für soziale Kontakte innerhalb der Familie oder der Gesellschaft zu verbringen.

Degrowth ist für mich also eine Systemkritik, die man für alle Länder anwenden kann, obwohl das natürlich für die unterschiedlichen Regionen und Länder auf unterschiedliche Weise geschehen muss. Aber sinnlosen Konsum muss man überall kritisieren.

Alle Beiträge zur Klimakonferenz in Madrid und zum Alternativgipfel in Santiago finden Sie in unserem COP-25-Dossier.