Porträtaufnahme von Valeska Morales.
Valeska Morales beim Gegengipfel in der chilenischen Hauptstadt Santiago. (Foto: Carola Rackete)

Immer wieder höre ich auf dem Parallelgipfel in Santiago Berichte von Menschen, die an Orten leben, die auf Spanisch zona de sacrificio genannt werden, "Opferzone".

Es sind Orte in Südamerika, an denen die Verschmutzung durch die Industrie besonders schlimm ist, sodass Luft- und Wasserqualität zumeist beide stark beeinträchtigt sind.

Darüber spreche ich heute mit Valeska Morales, die im Norden von Chile in der Provinz Huasco lebt und sich in der Gruppe "Resueltas del Valle" (die Entschlossenen im Tal) engagiert.

Die 33-Jährige erklärt, dass der Norden Chiles nach Modellrechnungen am stärksten unter der Wasserknappheit durch die Klimakrise leiden wird. Gleichzeitig mobilisiert die Region aber auch gegen die Verursacher der Klimakrise, etwa energieintensive Gold- und Kupferminen.


Carola Rackete: Valeska, die Atacama im Norden von Chile ist die trockenste Wüste der Welt. Wie spürt man da den Klimawandel?

Valeska Morales: Der Klimawandel ist bereits da, wir spüren ihn seit Jahren. Ich lebe in Copiapó in der Provinz Huasco. Das ist im Norden von Chile, die Region der größten Bergwerke in Chile. Unser Wasser kommt aus den Bergketten der Anden ins Tal.

Von den drei Provinzen in der Atacama-Region haben zwei den Wassernotstand ausgerufen, die Flüsse sind komplett ausgetrocknet. Das hat auch damit zu tun, dass die Minen viel Wasser verbrauchen. Das Tal von Huasco ist die grüne Grenze der Atacama. Wenn das Tal trocken wird, breitet sich die Wüste aus.

Es gibt viele Regionen in Chile, in denen es an Wasser mangelt, und das wird nur noch schlimmer. Vor allem 2015 war es lange trocken, und als es dann regnete, hat das Regenwasser die Chemikalien aus den Minen ins Tal gewaschen, das Wasser war verschmutzt. Juristisch aufgearbeitet wurde das nicht.

Wir leben in einer Opferzone, unsere Krebsraten sind höher als anderswo. In der Provinz Huasco gibt es fünf Kohlekraftwerke, vor allem Frauen und Kinder haben dort Krebs, dort kommen mehr Kinder krank zur Welt als anderswo. Manchmal, wenn man morgens in Copiapó aus dem Haus geht, brennt einem die Luft in der Kehle, so schmutzig ist sie. Das ist heute die Realität im Norden Chiles.

Wieso ist die Verschmutzung durch die Industrie so stark?

Es ist eben die Region der größten Minen. Die Bergwerke halten sich zwar an die Umweltschutzrichtlinen, aber die sind lächerlich schwach. Die Firmen leisten viel Lobbyarbeit, zahlen Geld unter der Hand, schreiben teilweise selbst die Richtlinien vor, die dann im Parlament abgesegnet werden.

Die konservativen Abgeordneten sind im Regelfall mit der Wirtschaft verstrickt und schaffen daher sehr durchlässige Regularien. Deshalb gibt es heute die ganzen sozialen Probleme. Die Korruption der Politiker ist real.

Es gibt viele Beispiele, etwa die Mine Pascua-Lama der kanadischen Firma Barrick Gold auf über 4.500 Metern Höhe. Die nächstgelegenen Gletscher Toro 1, Toro 2 und Esperanza haben durch die Arbeiten an dem zwischenzeitlich gestoppten Bergbauprojekt zwischen 50 und 70 Prozent ihres Volumens verloren. Die Landwirte im Tal haben jetzt viel weniger Wasser.

Carola Rackete

wurde im Juni dieses Jahres weltweit bekannt, als die Kapitänin der "Sea-Watch 3" Flüchtlinge im Mittelmeer rettete und trotz Verbots einen italienischen Hafen anlief.  Für Klimareporter° spricht sie mit Akteuren des "Peoples' Summit" in Santiago de Chile, der parallel zum Weltklimagipfel in Madrid stattfindet und Klimagerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. 

Es gibt außerdem Pläne einer japanischen Firma für eine neue Goldmine in den Bergen. Die Regierung verlangt mittlerweile, dass die Firmen Leitungen bauen, die das Wasser aus Meerwasserentsalzungsanlagen an der Küste bis in 3.000 Meter Höhe bringen, damit für den Bergbau nicht ausschließlich Gebirgswasser verwendet wird. Aber auch dieses Wasser wird, nachdem es in den Minen genutzt wurde, verdreckt durch unsere Täler fließen. 

Wie kann man bei so vielen Problemen die Leute mobilisieren?

Es gab 2002 den Plan der Firma Agrosuper, die größte Schweinefarm Südamerikas in Huasco zu bauen, aber die Bevölkerung hat lange dagegen protestiert und das Projekt verhindert. Das war historisch für uns, denn wir haben gesehen, dass wir mit Mobilisierung etwas erreichen können.

Die Region von Copiapó stellt sich dem Extraktivismus klar entgegen. Wir machen viele Infoveranstaltungen, erklären immer wieder, dass wir ohne Wasser nicht leben können. In Copiapó muss man das Wasser kaufen, weil es in Chile komplett privatisiert ist.

Das Wasser aus dem Hahn kann man aber sowieso nicht trinken, es ist mit Mineralien verseucht. Das allein ist schon schrecklich. Aber weil alles so furchtbar ist, kommt genau daher auch die Motivation, etwas dagegen zu tun. Es gibt viele Organisationen, die hier seit 20 Jahren arbeiten, besonders Frauen sind engagiert, gut informiert und organisiert.

Ich habe Hoffnung, dass unsere Arbeit Früchte tragen wird, dass die Leute verstehen, was vor sich geht, und sich etwas ändert.

Was braucht es konkret, um die Umweltzerstörung aufzuhalten, etwa in der neuen Verfassung, die jetzt in Chile ausgearbeitet werden soll?

Die Politik muss sich ändern. Die Standards für den Umweltschutz sind zu niedrig. Die Gesundheit der Bevölkerung sollte der wichtigste Punkt sein. In der neuen Verfassung sollte es Rechte für die Natur an sich geben, so wie in Bolivien.

Außerdem Rechte für die indigene Bevölkerung, vor allem die Anerkennung ihrer Landrechte. Sie kämpfen seit 500 Jahren dafür, aber sie haben sich noch nicht durchgesetzt. Und als Feministin sind für mich natürlich Frauenrechte grundlegend.

Alle Beiträge zur Klimakonferenz in Madrid und zum Alternativgipfel in Santiago finden Sie in unserem COP-25-Dossier.