Blaue Dächer einer Einfamilienhaussiedlung von oben betrachtet.
Reihenhaus-Siedlung: Grüne Wiesen zu versiegeln beraubt den Boden seiner CO2-Speicherfähigkeit – auch dann, wenn dafür andere Flächen entsiegelt werden. (Foto: Blake Wheeler/​Unsplash)

Es ist paradox: Grund und Boden ist eine Ressource, die nicht vermehrbar ist. Trotzdem wird mit ihr besonders sorglos umgegangen. Der Mensch nutzt bereits gut 70 Prozent der eisfreien Oberfläche der Erde, Tendenz steigend.

"Es gibt nicht mehr viel Puffer", warnt Stefan Petzold, Referent für Siedlungsentwicklung beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). "Ungefähr drei Viertel der Fläche, die – etwa aufgrund ihrer geografischen Gegebenheiten – überhaupt infrage kommt, werden bereits genutzt."

Wenn in Brasilien unberührter Regenwald abgebrannt wird, um dort Viehfutter anzubauen, vergrößert sich die Fläche durch menschlichen Einfluss. Wenn Reihenhaussiedlungen, Logistikzentren oder Straßen gebaut werden, wo vorher Äcker oder Wiesen waren, findet hingegen eine Umnutzung statt.

Letzteres ist meistens in dicht besiedelten Ländern wie Deutschland der Fall. Wir werden immer mobiler, wohnen zunehmend allein, kaufen im Internet ein. Dafür brauchen wir mehr Straßen, Wohnungen, Logistikzentren. In den vergangenen 60 Jahren hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche hierzulande mehr als verdoppelt.

Derzeit werden rund 65 Hektar täglich verbraucht, das sind 237 Quadratkilometer pro Jahr. Von der Größe der Fläche her rangiert das zwischen Duisburg und Frankfurt am Main. Der Nabu hat ebenfalls eine anschauliche Zahl parat: Pro Minute wird in Deutschland eine Fläche in der Größenordnung eines Grundstücks für ein Einfamilienhaus verbraucht.

Fläche verschwindet nicht. Doch wo Land "verbraucht" wird, wird in der Regel Boden zerstört: Knapp die Hälfte der Siedlungs- und Verkehrsflächen in Deutschland sind bebaut, asphaltiert oder gepflastert – sprich: versiegelt. "Jede Baumaßnahme betrifft unmittelbar den Boden. Je nach Intensität der baulichen Veränderungen verliert der Boden komplett oder teilweise seine wertvollen Funktionen", heißt es dazu beim Umweltbundesamt.

Petzold erklärt: "Bei einer Vollversiegelung kommen überhaupt kein Wasser, kein Sauerstoff und keine Nährstoffe mehr in die Erde. Die Organismen, die dort leben, werden nicht mehr versorgt und sterben ab." So verschwindet Boden für den Nahrungsmittelanbau, als Lebensraum für Pflanzen und Tiere – und als Kohlenstoffspeicher.

Einmal versiegelter Boden nimmt kein CO2 mehr auf

Generell spielt Landnutzung eine wichtige Rolle im Klimasystem. Änderungen wirken sich lokal, regional und global aus. Die Zusammenhänge zeigt der im August erschienene Sonderbericht des Weltklimarates IPCC über Klimawandel und Landsysteme eindrücklich auf.

Versiegelter Boden nimmt kein Wasser mehr auf und absorbiert mehr Wärme. Wo also viel Fläche versiegelt ist, ist es wärmer. Daher sind die Temperaturen in Städten und ihrem Umfeld höher als im grünen Umland – die Wissenschaft spricht vom urbanen Hitzeinsel-Effekt. Laut IPCC liegt dieser Effekt weltweit im Jahresmittel zwischen 0,2 und 2,6 Grad Celsius.

Nach einem Gewitter: Ein Auto fährt durch eine überflutete Straße in Berlin.
Straße in Berlin: Dass sich bei Starkregen das Wasser auf den undurchlässigen Flächen staut, passiert tendenziell häufiger. (Foto: Susanne Schwarz)

Außerdem bildet sich weniger Grundwasser. Starkregen führt dann schneller zu Hochwasser, weil er nicht versickern kann. Regional kann Bodenversiegelung Extremereignisse beeinflussen.

Auch die langfristigen Klimafolgen sind groß: Versiegelter Boden kann keinen Kohlenstoff aus der Atmosphäre mehr aufnehmen, was oft unterschätzt wird. Der Erdboden enthält mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre und die gesamte Vegetation der Erde zusammen. Nur die Ozeane sind ein noch größerer Kohlenstoffspeicher. Den meisten Bodenkohlenstoff gibt es in Mooren, gefolgt von Grünland und Böden in nicht bewirtschafteten Wäldern.

Organische Substanz im Boden besteht etwa zur Hälfte aus Kohlenstoff. Dieser wird vor allem von Pflanzen geliefert. Sie entziehen der Atmosphäre durch Fotosynthese Kohlendioxid und bauen es in ihre Zellstrukturen ein. Abgestorbene Pflanzenteile landen im Boden und werden dort von Bodenorganismen zu Kohlenstoff ab- und umgebaut.

Wo Wälder und Wiesen den Städten weichen müssen, wird dieser Mechanismus zerstört. Der IPCC-Bericht sagt es klar: "Die Urbanisierung verändert das Vorkommen von Bodenkohlenstoff und seine Beständigkeit."

Zwei Faktoren verschärfen das Problem: Fläche ist nicht vermehrbar. Und wenn Boden einmal versiegelt ist, ist er unwiederbringlich verloren. Zwar ist eine Entsiegelung möglich. Zur Bildung lebendigen Bodens braucht es jedoch Jahrtausende.

"Woanders zu entsiegeln ist keine Lösung"

Um der Zerstörung hierzulande Einhalt zu gebieten, hat die Bundesregierung sich im Klimaschutzplan 2050 das Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar am Tag zu reduzieren. Das ist weniger als halb so viel wie jetzt und auch wie im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre – und damit offensichtlich unerreichbar.

Die Regierung hofft nun, es bis 2030 zu schaffen. Bis 2050 soll eine Flächenkreislaufwirtschaft und damit ein Netto-Null-Verbrauch erreicht sein. Das entspricht dem EU-Ziel.

Netto-Null-Verbrauch ist allerdings nicht mit Bodenschutz gleichzusetzen, sondern bedeutet lediglich, "dass jede Neuversiegelung ausgeglichen werden muss, indem Boden an anderer Stelle entsiegelt wird", sagt Nabu-Experte Petzold.

Grüne Wiesen zu versiegeln und im Gegenzug bereits genutzte Flächen im Innenbereich zu entsiegeln, sei aber keine Lösung. "Boden erneuert sich zwar, aber das ist ein Prozess, der extrem lange dauert. Aufgrund der heutigen klimatischen Situation sind viele Böden überhaupt nicht wiederherstellbar und gehen in ihrer Einmaligkeit für immer verloren."

Abgesehen von der Frage, welche Art von Boden ver- beziehungsweise entsiegelt wird, passiert generell viel zu wenig, um dem Ziel der Flächenkreislaufwirtschaft näher zu kommen. Zwar gibt es Fortschritte: Laut Umweltbundesamt (UBA) lag der Flächenverbrauch vor der Jahrtausendwende noch bei 129 Hektar pro Tag und hat sich seither deutlich verlangsamt. Doch für die notwendige Reduktion seien viele weitere, aufeinander abgestimmte Maßnahmen erforderlich.

Mehr Flächenverbrauch mit Paragraf 13b

Die Bundesregierung will erklärtermaßen den Flächenverbrauch bis 2030 halbieren, hat aber 2017 eine Änderung des Baugesetzbuchs vorgenommen, die dieses Ziel konterkariert.

Paragraf 13b erlaubt den Bau von Wohnhäusern im Außenbereich – dort, wo in der Regel unversiegelter Boden ist – im vereinfachten Verfahren. Dabei muss die Öffentlichkeit nicht beteiligt, kein Ausgleich geschaffen und keine Umweltprüfung vorgenommen werden. Voraussetzung ist, dass es sich um Wohnbebauung handelt, sich diese an eine vorhandene zusammenhängende Bebauung anschließt und das Gebiet maximal 10.000 Quadratmeter groß ist.

Die Paragraf-13b-Regelung läuft Ende dieses Jahres aus, könnte aber verlängert werden. Die beim Bundesbauministerium eingerichtete Baulandkommission hat im Juli eine Verlängerung bis Ende 2022 empfohlen. Umweltbehörden und -verbände halten das für falsch.

Die Präsidentin des Umweltbundesamts, Maria Krautzberger, wie auch Beate Jessel, die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz, werben dafür, den Paragrafen auslaufen zu lassen. Stichproben sowie Daten aus Bayern und Brandenburg zeigten, dass der Paragraf primär von kleinen Gemeinden genutzt werde und überwiegend Einfamilienhäuser gebaut würden. Der Mangel an Wohnraum in den großen Städten werde so nicht behoben.

Erleichtertes Bauen im Außenbereich

Naturschutzverbände kritisieren, Paragraf 13b habe einen regelrechten Bauboom "auf der grünen Wiese" ausgelöst. In Baden-Württemberg etwa stieg der Flächenverbrauch von 3,5 Hektar pro Tag im Jahr 2016 auf 7,9 Hektar im Jahr 2017. Der dortige Nabu-Landesverband sieht als Hauptursache das vereinfachte Verfahren.

Zur Empfehlung der Baulandkommission sagte Nabu-Präsident Olaf Tschimpke: "Der 'Zersiedelungs-Paragraf 13b' des Baugesetzbuches gehört abgeschafft. Er verstärkt nur die Zerstörung siedlungsnaher Lebensräume und Landwirtschaftsflächen. Einfamilienhäuser lösen nicht die Wohnungsnot." Ähnlich äußerte sich der Umweltverband BUND und urteilte: "Die Baulandkommission ist auf dem ökologischen Auge blind."

Gegen die Novelle gibt es auch eine Beschwerde bei der EU-Kommission: Die Gesellschaft für die Prüfung der Umweltverträglichkeit hat sie im September 2017 eingereicht, weil sie in Paragraf 13b einen Verstoß gegen die Vorgaben der Strategischen Umweltprüfung (EU-Richtlinie 2001/42) sieht. Über die Beschwerde ist noch nicht entschieden.

Ein Instrument zur Steuerung ist das Baugesetzbuch – aber das wirkt durch seinen Paragrafen 13b kontraproduktiv (siehe Kasten).

Innen- vor Außenentwicklung, Instandsetzung statt Neubau, Leerstände verringern, Bauen in Baulücken und auf bereits versiegelten Flächen: Wo die Prioritäten liegen müssen, um Flächenverbrauch einzuschränken, ist seit Langem bekannt.

Besonders großes Potenzial wird in der Nachverdichtung gesehen. In Frankfurt am Main geht Planungsdezernent Mike Josef davon aus, dass fast die Hälfte des aktuellen Bedarfs von fast 40.000 zusätzlichen Wohnungen durch Nachverdichtung gedeckt werden könnte – vor allem durch Aufstockung und Ausbau von Dachgeschossen, aber auch durch Ergänzungsbauten in einzelnen Siedlungen.

Das ist die Theorie. In der Praxis bereiten der Denkmalschutz oder die Statik der Gebäude Probleme – oder die Bewohner, die Lärm, Dreck und steigende Mieten befürchten, da Eigentümer die Nachverdichtung gerne mit Modernisierungen verbinden.

Autos blockieren Städte

Stadtplaner warnen zudem davor, Grünflächen zu versiegeln und Frischluftschneisen zuzubauen, die gerade in Zeiten steigender Temperaturen wichtig für das Klima in der Stadt sind.

UBA-Präsidentin Maria Krautzberger will den benötigten Platz vor allem durch Umnutzung gewinnen: "Der Autoverkehr benötigt unverhältnismäßig viel Raum in den Städten", erklärt sie. Das langfristige Ziel müsse sein, stattdessen auf Radverkehr, öffentliche Verkehrsmittel und Carsharing zu setzen und beispielsweise Parkplätze besser zu nutzen.

Ihre Behörde fordert außerdem, Instrumente zu überdenken, die dem Flächenschutz zuwiderlaufen. "Dies gilt selbst dann, wenn sie in der Bevölkerung äußerst populär sind", schreibt das UBA und nennt als Beispiele die Pendlerpauschale und die Förderung von Eigenwohnraum wie früher die Eigenheimzulage und heute das Baukindergeld.

Auch eine Reform der Grundsteuer, Veränderungen bei der Grunderwerbsteuer oder die Schaffung einer Bauland-Ausweisungs-Umlage oder einer Neuerschließungsabgabe könnten laut UBA helfen.

Die Zeit, über die besten Maßnahmen zu streiten, ist aber schon abgelaufen. Um die globalen, europaweiten und nationalen Klimaziele zu erreichen, muss die Bundesregierung auch beim Bodenschutz unverzüglich handeln.

Die Autoren des IPCC-Sonderberichts lassen keinen Zweifel: "Alle untersuchten modellierten Pfade, welche die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius oder weit unter zwei Grad Celsius begrenzen, erfordern landbasierte Minderung und Landnutzungsänderung."

 

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