Klimaziele hin, Ökoziele her: Im nordhessischen Hebenshausen soll bester Ackerboden mit 15 Meter hohen Lagerhallen bebaut werden, auf einer Fläche größer als der Ort selbst.

"Beete statt Beton" steht auf dem Holzschild auf dem Acker. Man sieht es schon von der schmalen Straße aus, die in den Ort Hebenshausen führt, 20 Kilometer südlich von Göttingen. Ein buntgestreiftes Zirkuszelt haben junge Aktivisten hier aufgebaut, es gibt Schlafplätze, eine Camp-Küche.

Weiter hinten wachsen in frisch geharkter Erde kleine Salat-, Fenchel- und Mangoldpflanzen. Die Protestaktion, die hier läuft, ist auf Dauer angelegt. Ein "zweites Hambach", so wie im Rheinischen Braunkohlerevier, sollte es werden.

Doch für die Besetzung des Ackers im nordhessischen Werra-Meißner-Kreis, auf dem ein Investor eines der größten Logistikzentren Europas hochziehen will, gibt es nun bloß noch eine Schonfrist. Das Protestcamp könnte polizeilich geräumt werden – heiße Zeiten in dem vorher so beschaulichen Flecken.

Hebenshausen ist ein altes Straßendorf mit rund 500 Einwohnern, umgeben von sanften Hügeln, Feldern und Wiesen. Eine Kirche, Fachwerkhäuser, ein kleines Neubaugebiet, eine Bäckerfiliale, gut geführte Bauernhöfe, Kühe auf der Weide. Mit einem Wort: idyllisch.

Riesiges "Sondergebiet Logistik" geplant

Eigentlich. Denn die im Bundesgebiet zentrale Lage im Dreiländereck von Hessen, Niedersachsen und Thüringen sowie die schnell erreichbaren Autobahnen A7 und A38 sind der Grund dafür, dass der Ort nun plötzlich unschöne Nachrichten produziert.

Die Gemeinde Neu-Eichenberg, zu der Hebenshausen gehört, will auf einer rund 80 Hektar großen Fläche das "Sondergebiet Logistik" bauen, das Jobs in der strukturschwachen Region schafft, aber eben auch jede Menge Verkehr erzeugt, Lärm und Abgase bringt und besten Ackerboden versiegelt. Und da es damit nun ernst wird, eskaliert der Konflikt.

Die Ideen für die erhoffte Wohlstands- und Jobmaschine in Deutschlands Mitte sind schon fast 20 Jahre alt. Die großen Parteien SPD und CDU waren dafür, 2004 erfolgte ein Bürgerentscheid, der mit 63 Prozent pro Logistikzentrum ausging. Dann herrschte Funkstille. Das Thema schien gestorben.

Flächenfraß

Der Flächenverbrauch in Deutschland schreitet trotz hehrer Umweltziele voran. Pro Tag verschwinden etwa 65 Hektar Boden unter Straßen, Gebäuden und Parkplätzen.

Offizielles Ziel der Bundesregierung ist es, den Flächenverbrauch bis 2030 auf weniger als 30 Hektar zu senken und bis spätestens 2050 auf "netto null".

Bis 2018 ein Immobilienentwickler, die Dietz AG aus dem südhessischen Bensheim, mit dem Eigentümer, dem Land Hessen, einen Kaufvertrag über das Gelände abschloss – allerdings unter Vorbehalt. Seither ist es mit der Ruhe in dem Ort vorbei.

Das kann sich die "Bürgerinitiative für ein lebenswertes Neu-Eichenberg", die einige Alt -und Neubürger gründeten, um den Logistikpark noch zu stoppen, als Erfolg zuschreiben. Die Dimensionen des Projekts sind so manchem wohl erst durch die Aktionen der BI aufgegangen.

Rund 15 Meter hohe Hallen sollen auf einem Gebiet stehen, das größer sein wird als der Ort Hebenshausen selbst, umgerechnet etwa 115 Fußballfelder groß. Hunderte Laster werden Tag für Tag über die neue Zufahrtstraße rollen, dazu kommt die nächtliche Beleuchtung auf dem Gelände.

Gutes Ackerland soll verschwinden

Besonders bringt die Aktiven auf, dass in Zeiten von Klimawandel und Artenschwund so viel gutes Ackerland unter der Anlage verschwinden wird.

"Und das ausgerechnet in der Ökolandbau-Modellregion Nordhessen, die die Landkreise zusammen mit der schwarz-grünen Landesregierung ausgerufen haben", sagt BI-Mitglied Antonia Ley, die im benachbarten Witzenhausen Öko-Landbau studiert und in Hebenshausen im "Dorfgarten"-Projekt arbeitet. Hessen, daran erinnert sie, hat angekündigt, den Flächenverbrauch drastisch zu reduzieren. "Das passt nun wirklich nicht zusammen."

Plakate und Transparente an Hauswänden und Gartenzäunen zeigen, dass das Thema die Bürger aufwühlt. Die Gegner outen sich mit "Logistikgebiet, bleib uns vom Acker", die Befürworter, allerdings etwas weniger zahlreich, mit "Sondergebiet Logistik Neu-Eichenberg: Für einen starken Werra-Meißner-Kreis".

Auch Befürworter des Logistikzentrums hängen Transparente auf.

Die BI hat Bürgerversammlungen aufgemischt, in denen es früher eher zahm zuging, sie hat mehrere Demos organisiert, und als die jungen Leute von der "Aktionsgruppe Acker bleibt" vor einem Monat zur Platzbesetzung anrückten, war man natürlich begeistert. "Das hat uns noch mehr Aufmerksamkeit gebracht", sagt BI-Sprecherin Anja Banzhaf.

Bis zu 25 Frauen und Männer campieren seither auf dem Acker und werben dort für alternative Konzepte wie Ökolandbau und grünen Tourismus. An einem Wochenende im Mai seien sogar 100 Leute dagewesen, wird berichtet. "Es gab Musik, Filmvorführungen, und aus dem Ort haben sie uns Kuchen gebracht."

Der Konflikt in Neu-Eichenberg ist eine Neuauflage des alten Kampfes zwischen Ökonomie und Ökologie – diesmal aber vor dramatisch verschärfter Kulisse. Was ist wichtiger? Gut gefüllte Gemeindekassen und neue Jobs oder der Schutz von Klima und Natur, bei dem die Experten sagen, fünf vor zwölf ist schon vorbei.

Boomender Online-Handel als Logistik-Turbo

Vor allem der Verkehrssektor läuft in der CO2-Bilanz völlig aus dem Ruder, hier besonders der Lkw-Transport. Gleichzeitig boomt der Online-Versand, der Haupt-Turbo für mehr Lkw-Touren – und wohl der Grund dafür, dass das totgeglaubte Hebenshausen-Projekt reanimiert werden soll.

Bürgermeister Jens Wilhelm (SPD) sagt, er habe Verständnis für die Kritiker, räumt auch ein, dass Logistik-Hallen und Lkw-Touren Belastungen bringen. Aber er müsse auch an die wirtschaftliche Entwicklung seiner Gemeinde denken, Spielräume für Investitionen öffnen, Arbeitsplätze in der Region sichern.

Gerade jetzt, wo im nahen Witzenhausen ein Getriebehersteller dichtmacht, bei dem 200 Leute Arbeit hatten. Das Dietz-Projekt könne laut Investor 2.000 Jobs bringen, sagt Wilhelm. "Das ist die Zahl, die im Raum steht."

Projekt spaltet die Gemeinde tief

Der Bürgermeister gibt offen zu: Das Logistikzentrum spaltet seine Gemeinde inzwischen tief. "Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt." Sicher ist der SPD-Mann nicht, dass unter den Bürgern die Mehrheit dafür noch immer steht. "Auf jeden Fall wäre sie deutlich kleiner."

Trotzdem will Wilhelm das Projekt weiter vorantreiben. Kippe es, blieben Planungs- und Erschließungskosten von fast anderthalb Millionen Euro an der Gemeinde hängen, sagt er. Nach dem Votum im Gemeindeparlament noch in diesem Monat kann im Oktober mit dem Bau begonnen werden, schätzt Wilhelm.

Der Protest gegen das Großprojekt hat auf dem Feld seine Zelte aufgeschlagen, doch nun droht die polizeiliche Räumung. (Fotos: Joachim Wille)

Der Investor indes betrachtet die Entwicklung mit zunehmendem Unmut. "Wir warten auf Entscheidungen des Landes Hessen", sagt Vorstandschef Wolfgang Dietz gegenüber Klimareporter°. In dem Kaufvertrag seien diverse Bedingungen enthalten, die das Land und die Gemeinde erfüllen müssten, bevor der Vertrag überhaupt in Kraft treten könne. "Stand heute haben wir keine Information darüber, ob das Land diese Vertragsbedingungen erfüllen wird."

Die Hessische Landgesellschaft (HLG), zurzeit noch Eigentümerin der Ackerflächen, ließ den Besetzern inzwischen mitteilen, sie könnten bis zum Gemeinderatsbeschluss bleiben. Neben einer Räumung gebe es ja auch die Möglichkeit, das Problem in Gesprächen mit den Aktivisten vor Ort zu lösen, erläuterte HLG-Geschäftsführer Gerald Kunzelmann. Auf jeden Fall spreche man sich eng mit der Landesregierung ab.

Zuständig ist hier übrigens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir – ein Grüner und bekennender Klimaschützer.

Anzeige