Tiere für die Erzeugung von Nahrungsmitteln zu nutzen hat eine jahrtausendalte Geschichte. Doch die gesellschaftlich bislang in Kauf genommenen Schäden durch die moderne Tierhaltung für den massenhaften Konsum von Produkten tierischen Ursprungs werden zunehmend als Risiko gesehen.
Ergebnisse aus der Forschung zum Klimaschaden durch Tiernutzung, zur Verunreinigung der Gewässer durch Gülle und zu Gesundheitsgefahren durch Antibiotika in der Tiermast stören den gedankenlosen, sorgenfreien Genuss. Fleisch, Wurstwaren, Milchprodukte und Eier werden für langsam aber stetig breiter werdende Bevölkerungskreise problematisch.
Nahezu kein Tag vergeht, an dem nicht irgendein Massenmedium auf die Risiken und Nebenwirkungen dieser Produkte hinweist. Meist enden die Beiträge mit dem Hinweis: Essen Sie weniger und dafür qualitativ hochwertigere Nahrungsmittel, die von Tieren stammen, die unter Gesichtspunkten des Tier- und Umweltschutzes besser gelebt haben als industriell üblich.
Doch es geht auch anders: Schon jetzt liegen Erzeugnisse in den Theken von Fleischereifachgeschäften, Supermärkten und Discountern, die mit einem Tierwohl-Label ausgezeichnet sind. Anders als bei Massenware werden dadurch tiergerechtere Lebensbedingungen für Hühner, Schweine, Rinder oder Fische garantiert.
Nicht zu schweigen von der schnell wachsenden Zahl von Bioprodukten tierischer Herkunft. Noch anspruchsvollere Haltungsbedingungen, noch schonendere Behandlungen im Krankheitsfall und ein noch pfleglicherer Transport von Tieren in der Landwirtschaft sind bei Bioprodukten offensichtlich machbar.
Bio-Fleisch kostet erheblich mehr
Der Lebensmittelhandel sucht verstärkt nach Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem Deutschen Tierschutzbund, Pro Vieh oder Vier Pfoten, die es ermöglichen, Tierisches als Nahrungsmittel in Verkehr zu bringen, das moralisch besser verantwortet werden kann als übliche Ware.
Zur Person
Professor Franz-Theo Gottwald lehrt und forscht zu Agrar- und Bioethik an der Berliner Humboldt-Universität. Er leitet seit 1987 die Schweisfurth Stiftung in München. (Foto: Schweisfurth Stiftung)
Diese genügt zwar meistens den Mindestanforderungen, die der Gesetzgeber an Erzeuger und Verarbeiter hat, sowie dem Lebensmittelstandard. Aber dem Anliegen, dass es den Tieren zu Lebzeiten verantwortbar und ganzheitlich gut geht, wird bei den meisten – nicht speziell geprüften – Waren nicht entsprochen.
Produkte aus Bio-Landwirtschaft haben bei Frischfleisch und Fleisch- oder Wurstwaren bislang einen vergleichsweise geringen Marktanteil. Dieser liegt im unteren einstelligen Prozentbereich, zum Beispiel bei gut zwei Prozent für Fleisch (ohne Geflügel) und gut drei Prozent für Fleischwaren und Wurst. Im Vergleich dazu sind die Anteile ökologischer Landwirtschaft bei Eiern mit 14 Prozent und bei Milch mit neun Prozent erheblich höher.
Das liegt nicht zuletzt an den relativ großen Preisunterschieden zwischen konventionellen und Bio-Produkten. So lag 2017 der Kilopreis für Bio-Schweinefleisch bei 3,81 Euro Schlachtgewicht, während als Preis für konventionelles Schweinefleisch 1,64 Euro Schlachtgewicht aufgerufen wurde. Bio-Schweinefleisch war also um den Faktor 2,3 teurer.
Bei Rindfleisch war der Unterschied deutlich geringer. Jungbullenfleisch aus Bio-Haltung war im selben Jahr mit 4,47 Euro pro Kilo Schlachtgewicht nur 16 Prozent teurer als Jungbullenfleisch aus konventioneller Haltung mit 3,87 Euro.
Die Zahlen belegen, dass es für die Landwirtschaft einen erheblichen Mehraufwand bedeutet, für Tierwohl und Tiergesundheit, aber auch einen besseren Umwelt- und Klimaschutz zu sorgen. Andererseits ist die Zahlungsbereitschaft für diese Maßnahmen bei den Verbrauchern begrenzt. Laut Studien sind Verbraucher bereit, gut 30 Prozent mehr für Tierschutz zu bezahlen. Vor diesem Hintergrund übersteigt der typische Mehrpreis für Bio die Zahlungsbereitschaft der durchschnittlichen Käufer.
Sogar McDonald’s übt sich im Umweltschutz
Daraus folgt, dass nicht allein die Verbraucher für den Mehraufwand an Tiergerechtheit aufkommen können, sondern auch der Staat Anreize für Verbesserungen geben muss, beispielsweise durch Stallbauförderungen und einen Stallbau-Tüv. Zudem muss die Politik mehr staatliche Beratung für Nutztierhalter gewährleisten.
In der Pflicht stehen aber auch Futtermittelhersteller, Stallbauer und Transportunternehmen. Auch die großen Verarbeiter müssen etwas tun – also in Deutschland Westfleisch, Vion, Tönnies und Wiesenhof beim Fleisch sowie die Vielzahl großer Molkereiunternehmen wie DMK, Friesland Campina oder Arla.
Diese Unternehmen haben sich selbst verpflichtet, dafür zu sorgen, dass in den Ställen ihrer landwirtschaftlichen Lieferanten bessere Lebensbedingungen herrschen. So hat zum Beispiel die DMK Group als größte deutsche Molkereigenossenschaft mit ihrem "Milkmaster"-Programm dafür gesorgt, dass ihre Milchlieferanten die Haltungsbedingungen in Richtung eines gesteigerten Tierwohls und einer umweltgerechten Produktion weiterentwickeln. Wesentliche Verbesserungen werden mit Aufzahlungen auf den Milchpreis den Milchbauern direkt honoriert.
In der Systemgastronomie finden sich ebenfalls nachahmenswerte Programme, die den Tieren zugutekommen. Zu nennen wäre etwa das "Best Beef 2.0"-Programm von McDonald’s. Hier erhalten die liefernden Landwirte für Verbesserungen im Haltungs- und Gesundheitsmanagement direkte Zuschläge. Dabei werden das Platzangebot, das Tier-Liegeplatz-Verhältnis, der stetige Zugang zu Kuhbürsten, Weidegang und Abkalbebox genauso in die Honorierung einbezogen wie die Nutzungsdauer des Einzeltiers, von dem Teile im Burger landen.
In der Außerhausverpflegung schließen beispielsweise Unternehmenskantinen wie bei der Linde AG besondere Verträge mit Lieferanten, die ihre Schweine auf Stroh halten. Sie zeigen damit ihre Bereitschaft Landwirte zu unterstützen, die es ihren Tieren besser als normal gehen lassen wollen.
Drei Aufgaben für die Politik
Es ist viel in Bewegung bei der Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Produkten tierischen Ursprungs. Doch die Politik muss mehr Anreize schaffen, um den Wandel zu unterstützen.
Erstens sollte sie konsequent die bestehenden Tierschutz-Regelungen durchsetzen und Mängel in der Vollzugskontrolle beheben. Dabei sollten Tierschutzvorgaben auch dort eingeführt werden, wo sie bisher fehlen, beispielsweise für Puten. Vorhandene Tierschutzvorgaben sollten auf ihre Weiterentwicklung geprüft und gegebenenfalls verschärft werden. Diese Verschärfung muss begleitet werden durch ein – noch zu entwickelndes – Finanzierungskonzept, um die Mehrkosten einer tiergerechteren Produktion aufzufangen.
Die Politik sollte sich zweitens für die Einführung einer verpflichtenden Kennzeichnung der Haltungsbedingungen auf Fleischprodukten – ähnlich wie für Eier – auf Bundes- und EU-Ebene einsetzen. Diese würde den Verbrauchern eine verlässliche Orientierung geben und eine informierte Kaufentscheidung für tierwohlgerechtere Produkte ermöglichen.
Gegenüber der zurzeit von den großen Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels mit der "Initiative Tierwohl" eingeführten Deklaration der Haltungsformen für Frischfleischprodukte hätte eine auf nationaler und idealerweise europäischer Ebene rechtlich verankerte Deklaration den Vorteil, dass sie harmonisiert ist und dass sie für Verbraucher glaubwürdig und dauerhaft verlässlich zu finden ist.
Drittens sollte das angekündigte staatliche Tierwohllabel möglichst schnell eingeführt werden. Bisher liegen Kriterien für die Schweinehaltung vor, die Anfang 2019 mit verschiedenen Interessenvertretern diskutiert wurden. Wichtig ist, dass die Kriterien anspruchsvoll sind, dass Anbieter gewonnen werden, die ihre Erzeugnisse entsprechend zertifizieren lassen, damit sie beim Einkauf zu finden sind – und dass das Tierwohllabel dann im Rahmen einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne bekannt gemacht wird.