Auffliegende Kraniche, im Hintergrund Bäume und Berge
Die Bestände des Kranichs haben in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Insgesamt sinkt aber die Zahl der Vogelbrutpaare. (Foto: Andreas Trepte/​Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Herr Weyland, am Montag wird der Weltbiodiversitätsrat seine Einschätzung zum weltweiten Zustand um die Artenvielfalt vorlegen. Was erwarten Sie von dem IPBES-Bericht?

Raphael Weyland: Der IPBES-Bericht wird wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse liefern, wie es um die Biodiversität und Artenvielfalt weltweit bestellt ist. Schon jetzt ist absehbar, dass der Bericht ein Alarmsignal sein wird und wir uns in einer Biodiversitätskrise befinden. Umfassendes Umsteuern in allen Politikbereichen ist dringend nötig.

Wir hoffen, dass der Bericht dazu beiträgt, ein größeres Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit der Lage zu schaffen, denn bisher wird in der Öffentlichkeit die Biodiversitätskrise weit weniger wahrgenommen als die Klimakrise, und selbst bei dieser wird dann zu wenig gehandelt.

Der Nabu lädt regelmäßig zu Aktionen ein, bei denen Bürger verschiedene Arten zählen. Schrumpft die Vielzahl der Arten auch hierzulande so massiv, wie es die vorab bekannt gewordenen Details des IPBES-Berichts befürchten lassen?

Vögel gehören zu den am besten untersuchten Lebewesen. Die Daten zu Beständen und Populationsentwicklungen sind also – im Vergleich zu anderen Tiergruppen wie etwa Insekten – ziemlich gut. Die großen Vogelzählaktionen des Nabu beschränken sich aber auf die Vögel in besiedelten Räumen und bilden daher nur einen Teilaspekt der Vogelwelt Deutschlands ab. Zumindest in den letzten eineinhalb Jahrzehnten scheinen die Vogelbestände im Siedlungsraum stabil, allerdings mit großen Unterschieden von Art zu Art.

Die großen Verlierer sind Gebäudebrüter und Insektenfresser wie Mauersegler und Mehlschwalbe, von denen jeweils nur noch gut die Hälfte der Bestände vom Beginn der Zählungen im Jahr 2005 übrig ist.

Raphael Weyland
Foto: privat

Zur Person

Raphael Weyland leitet das Nabu-Büro in Brüssel. Er ist Rechtsanwalt und arbeitet vor allem zum EU-Umweltrecht und dessen Vollzug. Sein juristisches Referendariat absolvierte er unter anderem beim Bundes­umwelt­ministerium und bei der Europäischen Kommission.

Von den dramatischen Verlusten einzelner Arten einmal abgesehen, wie steht es insgesamt um die heimische Vogelwelt?

Nach dem letzten offiziellen Bericht der Bundesregierung zum Zustand der Vogelwelt aus dem Jahr 2013 ist die Zahl der Vogelbrutpaare in Deutschland allein zwischen 1998 und 2009 um 15 Prozent gesunken. Es gibt ein echtes Vogelsterben in Deutschland.

Allerdings verläuft die Entwicklung teilweise gegenläufig: Es nehmen genauso viele Vogelarten zu wie ab. Die Zunahmen betreffen vor allem sehr seltene Vogelarten. Das erklärt die gelegentlichen Jubelmeldungen, wenn die Bestände von besonders seltenen Arten wie Kranich, Seeadler oder Wanderfalke wieder steigen. Durch gesetzliche Regelungen und die Einrichtung von Naturschutzgebieten können diese seltenen Arten geschützt werden.

Das Festlegen von Schutzgebieten kann den Schutz einzelner Arten also helfen?

Ja, aber zugleich sieht es bei den Vogelarten, die man eigentlich in großer Zahl flächendeckend im Land erwarten würde, extrem schlecht aus. Bei den Vogelarten, die eigentlich überall in der sogenannten Normallandschaft vorkommen sollten, findet das Artensterben statt – in den vergangenen zwei Jahrzehnten sind beispielsweise Stare, Spatzen oder Buchfinken drastisch verschwunden.

Vor allem verschwinden die Vogelarten der Agrarlandschaft. Der spezielle Bestandsindex für Agrarvogelarten in Deutschland hat zwischen 1970 und 2014 um 55 Prozent abgenommen. Wir haben also nicht einmal mehr die Hälfte der Feldvögel, die es vor 44 Jahren gab.

Was sind die Gründe für diese massiven Einbrüche?

Das passiert, wenn Vögel keinen geeigneten Lebensraum und nicht mehr genügend Nahrung finden. Viele Vögel füttern ihre Jungen mit proteinreicher Insektennahrung. Und auch bei den Insekten gibt es einen deutlichen Artenschwund.

Der seit Jahrzehnten anhaltende Insektenrückgang, von dem bisher in erster Linie seltenere und spezialisierte Arten betroffen waren, wird inzwischen vor allem für allgemein häufige und verbreitete Arten beobachtet. 2017 haben renommierte Forscher aus Krefeld festgestellt, dass wir über die letzten 27 Jahre einen Verlust von mehr als 75 Prozent Biomasse an Fluginsekten haben.

Welche Maßnahmen sind notwendig, um das Schrumpfen der Bestände einzudämmen?

Wir brauchen schleunigst eine Wende hin zu umwelt- und naturverträglicher Land- und Forstwirtschaft. Der letzte IPBES-Regionalbericht für Europa hat festgestellt, dass die Intensivierung der Landnutzung eine der Hauptursachen des Biodiversitätsverlustes ist.

Bürgerwissenschaft für Vogel- und Insektenschutz

Zweimal im Jahr lädt der Naturschutzbund mit der "Stunde der Wintervögel" und der "Stunde der Gartenvögel" Bürgerinnen und Bürger ein, die heimischen Vögel zu zählen und so dazu beizutragen, den Bestand zu dokumentieren. Die Ergebnisse stellt der Nabu auf seiner Website zusammen. Die nächste Mitmachaktion findet am kommenden Wochenende statt.

Beim "Insektensommer" geht es darum, die Insekten zu zählen. Damit will der Nabu auf die enorme Bedeutung von Insekten aufmerksam zu machen. 

Diese Intensivierung und Monotonisierung der Landwirtschaft wiederum ist auf die EU-Agrarpolitik zurückzuführen, denn Subventionen werden überwiegend per Gießkanne als Flächenprämie verteilt. Das führt auch zu verstärktem Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln und zur Zerstörung der Vielfalt und Kleinteiligkeit der Landschaft. Was fehlt, ist hingegen eine echte Naturschutzfinanzierung, um dauerhafte Schutz- und Pflegemaßnahmen zu honorieren.

Außerdem muss Deutschland das EU-Umweltrecht und allem voran die FFH- und Vogelschutzrichtlinie der EU, aber auch die Wasserrahmenrichtlinie oder die Nitratrichtlinie besser umsetzen. Hierfür sind Schutzgebietsverordnungen mit rechtlich verbindlichen Ge- und Verboten nötig. Darüber hinaus braucht es Pläne mit konkreten Erhaltungsmaßnahmen, die dann auch durchgeführt werden. Die Politik muss den Schutz der Arten endlich ernst nehmen.

Bekenntnisse, warum es wichtig ist die Arten zu schützen, gibt es zuhauf. Tut die Politik nicht genug? 

Nicht in dem Maße, wie es notwendig wäre. Seit längerer Zeit bewegt sich in Deutschland nicht viel beim Insektenschutz. De facto blockiert das Bundeslandwirtschaftsministerium konkrete Vorschläge, die das Umweltministerium im Oktober vorgelegt hatte. Von Bundeskanzlerin Merkel ist dazu kein Wort zu hören.

Der vorgesehene Zeitplan der Bundesregierung, bis Mitte dieses Jahres ein Aktionsprogramm zum Insektenschutz zu verabschieden, ist keinesfalls zu halten. Weiterer Forschungsbedarf darf keine Entschuldigung für Untätigkeit sein.

Wir fordern Julia Klöckner deshalb auf, jetzt endlich konkrete Vorschläge für den Umbau der Agrarpolitik im Sinne eines besseren Insekten- und Biodiversitätsschutzes vorzulegen. Diese Schritte sind längst überfällig und zwingend erforderlich. Hoffentlich wird der Warnschuss des IPBES-Berichts endlich von der Politik erhört, bevor es zu spät ist!

Anzeige