Porträtaufnahme von Ralf Schmidt-Pleschka.
Ralf Schmidt-Pleschka. (Foto: Lichtblick)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Ralf Schmidt-Pleschka, Koordinator für Energie- und Klimapolitik beim Hamburger Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Schmidt-Pleschka, die Grünen wollen Lastenräder mit einem Zuschuss von 1.000 Euro fördern. Jetzt wird die Kaufprämie hitzig diskutiert. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Ralf Schmidt-Pleschka: Ich verstehe die Aufregung nicht. Gestern erst habe ich auf dem Weg zu einem Termin ein Lastenrad mit einem großen Aufkleber "Gefördert durch das Bundesumweltministerium" gesehen. Fand ich prima.

Das Programm gibt es doch längst schon. Es ist absolut sinnvoll, es auszuweiten. Den Innenstädten wird es eine ganze Reihe unnötiger Autofahrten ersparen.

Wer hitzig diskutieren möchte, sollte sich lieber das Dienstwagenprivileg vornehmen, über das immer noch Tausende spritfressender SUVs mit unseren Steuermitteln subventioniert werden.

Der weltweite Stromverbrauch und damit die CO2-Emissionen des Energiesektors stiegen im ersten Halbjahr dieses Jahres und liegen sogar fünf Prozent höher als im ersten Halbjahr 2019, also vor der Pandemie. Das geht aus einer Studie der britischen Denkfabrik Ember hervor. Woran hapert es international?

Wir sollten uns nichts vormachen. Nur weil alle Welt über den Klimaschutz redet, ändert sich noch nichts. Das gilt übrigens auch für Deutschland, wo die Treibhausgasemissionen gerade wieder deutlich über das Klimaziel von 2020 ansteigen.

Natürlich tut sich was beim Klimaschutz, aber den Schalter haben wir noch lange nicht umgelegt. Das zeigt auch eine Analyse der US-Organisation Oil Change International, die gerade ergeben hat, dass die zwölf größten Zentralbanken, darunter die in Deutschland, nach wie vor die Nutzung klimaschädlicher fossiler Energien unterstützen.

Der politische Diskurs dreht sich zurzeit vor allem um die Klimaziele. Das rettet uns aber nicht. Es muss um Maßnahmen gehen, und zwar sehr schnell. Der letzte IPCC-Bericht zeigt doch in aller Deutlichkeit, dass es schon fünf nach zwölf ist.

Daran muss sich die nächste Bundesregierung messen lassen, aber auch die Klimakonferenz im November in Glasgow. Kleine Fortschritte reichen nicht, es braucht einen Durchbruch, damit wir so bald wie möglich aus den fossilen Energien aussteigen.

Das Sofortprogramm der Bundesregierung für den Gebäudesektor reicht nicht aus, um die gesetzlich vorgegebenen zwei Millionen Tonnen CO2 einzusparen, urteilt der Expertenrat für Klimafragen. Wo wären denn schnelle Emissionsminderungen im Gebäudesektor überhaupt möglich?

Oje, das ist keine einfache Frage, da muss ich etwas ausholen. Klar, der Gebäudesektor ist wahrscheinlich die härteste Nuss beim Klimaschutz. Die Regierung stellt zwar sehr viel öffentliches Geld für die energetische Sanierung bereit, doch viel davon verpufft. Im Moment scheitern wir an einer widersprüchlichen Politik, die nicht vorrangig den CO2-Reduktionszielen folgt, sondern den Interessen der Wohnungswirtschaft und der fossilen Energiewirtschaft.

Ein Beispiel dafür ist, dass die Mieter neben den Sanierungskosten jetzt auch noch die CO2-Preise für die Brennstoffe bezahlen sollen. So wird Klimaschutz unvermeidlich gegen soziale Belange ausgespielt.

Genauso kontraproduktiv ist, dass immer noch Erdgasheizungen gefördert werden und bis 2026 sogar noch neue Ölheizungen eingebaut werden dürfen. Das ist blanker Irrsinn, wenn man bedenkt, dass die CO2-Emissionen aus dem Gebäudebereich bis 2030 um über 40 Prozent sinken sollen und wir bis 2045 komplett aus den Fossilen aussteigen müssen.

Die Liste der Verfehlungen ist aber noch länger. So arbeiten wir bei der energetischen Sanierung mit Effizienzstandards, die Einsparungen vor allem auf dem Papier bringen. Kontrollen gibt es nicht einmal ansatzweise und aussagekräftige Energieausweise wurden von der Wohnungswirtschaft schon vor geraumer Zeit erfolgreich verhindert. Letztlich bleibt der tatsächliche Energiestandard im Gebäudebestand intransparent.

Meiner Meinung nach ist der Effizienzpfad im Gebäudesektor gescheitert. Wir müssen dringend umdenken. Im Mittelpunkt der Klimastrategie muss die CO2-Senkung stehen. Statt für jedes Bauteil die energetischen Eigenschaften zu bewerten, brauchen wir eine transparente Klimabilanz für das ganze Gebäude, am besten gleich für Gebäudegruppen und Quartiere.

Effizienz ist ein wichtiger Baustein, aber Klimaneutralität gibt es nur mit erneuerbaren Energien, nicht allein mit dicken Dämmstoffpaketen. Das muss die neue Leitlinie sein. Die neue Regierung muss schleunigst aus dem Gebäudeenergiegesetz ein wirksames Gebäude-Klimaschutzgesetz machen.

Am Donnerstag hat das Oberverwaltungsgericht Münster den Bebauungsplan des Steinkohlekraftwerks Datteln 4, auf dem die immisionsrechtliche Genehmigung fußt, für unwirksam erklärt. Das Kraftwerk steht an falscher Stelle und ist weniger als 500 Meter von Wohngebäuden entfernt. Wie bedeutsam ist dieses Urteil?

Was die Kläger geschafft haben, ist großartig – Gratulation für den Riesenerfolg. Dass der Bebauungsplan jetzt für nichtig erklärt wurde, dürfte sich auch auf die Betriebsgenehmigung auswirken. Aber als Nichtjurist bin ich lieber vorsichtig mit rechtlichen Einschätzungen.

Auf jeden Fall muss der politische Eiertanz um dieses klimaschädliche und überflüssige Kohlekraftwerk jetzt aufhören. Datteln 4 gehört entschädigungslos stillgelegt. Dass der Block gegen das einvernehmliche Votum der Kohlekommission und trotz des Kohleausstiegsgesetzes überhaupt in Betrieb gehen konnte, war schon das reinste Stück aus dem Tollhaus.

Das Gericht in Münster hat mit seinem Urteil Datteln-Fans wie Armin Laschet oder Peter Altmaier den Stecker gezogen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Diese Woche hat Lichtblick den Solarcheck 2021 veröffentlicht. Ich hätte nicht geglaubt, wie groß auch hier die Lücke zwischen Reden und Handeln ist. Auf Deutschlands Dächern bleibt viel zu viel Platz leer. Die neu installierte Photovoltaik-Fläche erreicht in den 14 größten deutschen Metropolen durchschnittlich nicht einmal ein Drittel der neuen Dachflächen.

Die Energiewende ist also immer noch nicht in den Städten angekommen. Um das zu ändern, führt wohl kein Weg an einer bundesweiten Solarnutzungspflicht vorbei. 

Fragen: Sandra Kirchner

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