Ein Kran hebt eine Windturbine mit der Aufschrift Vestas neben einem Windrad-Turm in die Höhe, im Vordergrund schauen drei Arbeiter in Montur und mit Helm zu.
Windrad-Bau im südrussischen Gebiet Rostow 2019 – heute ziehen sich Unternehmen wie die dänische Vestas aus Russland zurück. (Foto: Alexander Koslow/​Shutterstock)

Russland hat die Energiewende immer als Bedrohung für sein Wirtschaftswachstum betrachtet und darüber nur im Zusammenhang mit Außenpolitik diskutiert. Erst in den letzten zwei Jahren änderte sich das ein wenig.

Russland ratifizierte das Pariser Klimaabkommen und setzte sich CO2-Neutralität bis 2060 zum Ziel. Im Fernen Osten startete das Experiment, die Region Sachalin bis Ende 2025 CO2-neutral zu machen – andere Regionen sollten gegebenenfalls folgen, womöglich ein nationales Emissionshandelssystem entstehen.

Allerdings sahen alle diese Ziele nur auf dem Papier gut aus. Das erste nationale Klimaziel Russlands im Rahmen des Paris-Abkommens sah einen erheblichen Anstieg der Emissionen bis 2030 vor. Die Klimaneutralität bis 2060 sollte vor allem durch die CO2-Bindung in russischen Wäldern erreicht werden. Ein nationales Emissionshandelssystem, sollte es jemals eingeführt werden, würde wahrscheinlich bei extrem niedrigen CO2-Preisen stehenbleiben.

Den erneuerbaren Energien wurde ein sehr bescheidener Platz eingeräumt. Die entsprechenden Förderprogramme waren darauf ausgelegt, bis 2035 landesweit nicht mehr als drei Prozent des Stroms durch Photovoltaik und Windkraft zu erzeugen. Weltweit liefern diese beiden Technologien heute schon über zehn Prozent des Stroms.

Fast alle russischen Solar- und Windenergieanlagen wurden für den Strom- und Kapazitätsgroßhandelsmarkt errichtet, und zwar nach 2013, als das nationale Erneuerbaren-Fördersystem für diesen Markt in Kraft trat. Bislang wurden 3.600 Megawatt Solar- und Windkapazität im Großhandel in Betrieb genommen, was 1,5 Prozent der gesamten installierten Kapazität und 0,6 Prozent der russischen Stromerzeugung entspricht.

Auf den Endkunden-Strommärkten waren die erneuerbaren Energien aufgrund fehlender Amortisationsgarantien noch weit weniger erfolgreich.

Erneuerbare Energien – große Wasserkraftwerke bleiben hier außen vor – waren in Russland lange Zeit zu teuer, weil es reichlich billigen konventionellen Strom gibt und das Land nur über begrenzte Erfahrungen im Erneuerbaren-Bereich verfügt. Doch allmählich wurden sie auch in Russland wettbewerbsfähiger.

Zu Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine war der Strom aus neuen Solar- und Windkraftanlagen preislich mit dem aus neuen Kohle- und Gaskraftwerken vergleichbar. 2025 sollte Windstrom billiger sein als die heutigen Großhandelspreise für Strom.

Investoren gehen, Ausschreibungen sind gestoppt

Mit dem Ausbruch des Krieges hat sich die Entwicklung der erneuerbaren Energien in Russland verkompliziert. Zwei von drei Akteuren auf dem russischen Windenergiemarkt – die finnische Fortum und die italienische Enel – haben ihre neuen Investitionsprojekte gestoppt. Enel beabsichtigt, das Land innerhalb weniger Monate zu verlassen. Die dänische Firma Vestas, die in Russland Windradflügel für Fortum-Projekte hergestellt hat, will sich ebenfalls zurückziehen.

Ausschreibungen für Photovoltaik- und Windprojekte wurden in diesem Jahr gestrichen, und wahrscheinlich werden sie auch 2023 nicht stattfinden. Viele Unternehmen, die erneuerbare Energien in Russland bezogen haben oder dies vorhatten, haben ihre Aktivitäten eingefroren oder bereits beschlossen, sich zurückzuziehen.

Große energieintensive Stromverbraucher haben das Energieministerium gebeten, das staatliche Förderprogramm für erneuerbare Energien einzustellen. Der I-REC-Standard für internationale Herkunftsnachweise hat seine Arbeit in Russland eingestellt.

All dies zusammen wirft den russischen Erneuerbaren-Sektor um viele Jahre zurück.

Seit März 2021 ist es auch in Russland möglich, überschüssigen Strom ins Netz einzuspeisen, und zwar in Form von Mikro-Solaranlagen auf Hausdächern und gewerblichen Anlagen. Wegen des komplizierten Verfahrens für den Netzanschluss und der niedrigen Preise für die eingespeiste erneuerbare Energie haben sich jedoch bisher nur etwa 50 Prosumer beteiligt.

Außerdem sind die Kosten für den Anschluss von Kleinstkraftwerken an das Netz seit Juli dieses Jahres erheblich gestiegen, was eine weitere Einspeisung durch Prosumer praktisch unmöglich macht. Derzeit ist der Netzanschluss bis zu 82-mal teurer als vor dem Juli, 2024 soll er bis zu 136-mal teurer sein.

Gleichzeitig werden die Mikrokraftwerke in Russland höchstwahrscheinlich bald zum Schutz vor Instabilität gefragt sein, allerdings wie bisher in einem autonomen Modus.

Für asiatische Unternehmen wenig interessant

Zwar versucht Russland zurzeit, seine wirtschaftlichen Beziehungen nach Osten neu auszurichten. Wenn der Krieg weitergeht, wird es jedoch schwierig sein, Investitionen und Technologien aus dem Osten anzuziehen – im Gegensatz zum Handel mit verbilligten fossilen Brennstoffen.

Abgesehen von logistischen, finanziellen und regulatorischen Zwängen gibt es auch Reputationsrisiken, die große asiatische Unternehmen kaum auf sich nehmen werden, um auf dem winzigen russischen Erneuerbaren-Markt Fuß zu fassen.

Eine einfache Tatsache ist, dass die installierte Kapazität von Solar- und Windenergieanlagen in China im Jahr 2021 bereits 635.000 Megawatt betrug. Das ist fast 40-mal mehr als das, was Russland bis 2035 installieren wird – falls die derzeitigen Pläne umgesetzt werden.

Jede ernsthafte Diskussion über die Weiterentwicklung des russischen Erneuerbaren-Sektors setzt also das Ende des Krieges voraus. Gleichzeitig geben die jüngsten tragischen Ereignisse der globalen und vor allem der europäischen Energiewende und Energieunabhängigkeit definitiv Auftrieb, und zwar aus drei Gründen.

Erstens durch die explodierenden Preise für fossile Brennstoffe, die die erneuerbaren Energien noch wettbewerbsfähiger machen. Zweitens durch höhere Energieeffizienz und mehr Einsparungen, die durch teures Öl und Gas angereizt werden. Drittens durch die sinkende Bereitschaft vieler Energieimporteure, auf die unsicheren und geopolitisch abhängig machenden fossilen Brennstoffe zu setzen.

Den Beitrag in russischer Sprache finden Sie hier.

Wie diese Artikelserie entstand

Im August 2021 begannen unabhängige Journalist:innen und Expert:innen sich in einem Projekt der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) mit der Frage zu befassen, wie Russland das Pariser Klimaabkommen einhalten und zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise finden kann. Das Land ist weltweit einer der größten Emittenten von Treibhausgasen, seine Ökonomie ist eng mit der Nutzung fossiler Brennstoffe verbunden. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine löste zudem eine scharfe Debatte aus, welche Rolle das Land in der internationalen Klima-Gemeinschaft noch einnehmen kann.

Grafik: Links ein Wärmekraftwerk mit rauchenden Schornsteinen und dampfenden Kühltürmen, rechts ein Nadelwald und ein großes Windrad – dazu der Schriftzug: Wie steht es um die Klimapolitik in Russland?
Illustration: Kristin Rabaschus

Klimareporter° möchte zu dieser Debatte beitragen und veröffentlicht im Rahmen des DGO-Projekts entstandene Texte in einer Beitragsserie.

Aufgrund der Repressalien, denen Journalist:innen und Expert:innen seitens der russischen Regierung ausgesetzt sind, werden einige Texte unter Pseudonym veröffentlicht.

Klimareporter° arbeitet dabei neben der DGO mit weiteren Organisationen zusammen, darunter Stiftungen wie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Aufgrund der schwierigen Situation für demokratisch orientierte Organisationen in Russland können nicht alle Unterstützer:innen öffentlich genannt werden. Beteiligt sind auch weitere Medien wie DW Russland und das Journalistennetzwerk N-Ost.

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