Die Staats- und Regierungschefs der G20 haben gerade noch mal die Kurve gekriegt. Bis kurz vor Schluss ihres Gipfels in Osaka, der am heutigen Samstag zu Ende gegangen ist, sah es in Sachen Klimaschutz mau aus: Gastgeber Japan hatte das Thema in seinem Entwurf einer Abschlusserklärung nur ganz am Rande mit einer wässrigen Formulierung erwähnt.
Jetzt haben zumindest 19 der 20 mächtigsten Staaten der Welt ihr Bekenntnis zum Paris-Abkommen erneuert. Die USA, die das Abkommen verlassen, ließen sich davon ausnehmen.
Der G20-Gipfel zeigt die größte Schwachstelle der globalen Klimapolitik. Das Paris-Abkommen beruht auf freiwilligen Selbstverpflichtungen der Staaten und deren Einhaltung. Als einziges Mittel, das durchzusetzen, kennt es gegenseitigen politischen Druck der Staaten untereinander. Das ist eine wackelige Angelegenheit.
Auch bei den Klimaverhandlungen in Bonn in den vergangenen zwei Wochen war das zu sehen. Mehrere Knackpunkte der Konferenz blieben ungeknackt, weil eine Handvoll Staaten mit starker fossiler Wirtschaft es so wollte.
It's power, stupid!
Unter anderem liegt das an dem Machtgefälle zwischen den Staaten. Die Länder des Südens, die kaum zur Klimakrise beigetragen haben und trotzdem am stärksten darunter leiden, haben in den Debatten vielleicht ethische Argumente auf ihrer Seite. Die Industrieländer haben das Geld.
Und das spricht oft genug die lautere Sprache. Warum wollte Japan die G20 denn lieber nicht über das Klima reden lassen? Um für gute Stimmung bei den USA zu sorgen, weil das ostasiatische Land mit dem politischen und wirtschaftlichen Schwergewicht ein Handelsabkommen abschließen will. Mal ganz abgesehen davon, dass ein verbales Bekenntnis zum Paris-Abkommen natürlich noch keine Treibhausgase einspart.
Seine offenkundigen Schwächen machen das Paris-Abkommen nicht unnütz. Erstens sollte es im langfristigen Interesse aller Staaten liegen, ein halbwegs stabiles Weltklima zu sichern. Die Klimakrise vernichtet über kurz oder lang weltweit Leben sowie Ressourcen aller Art – und sie wird teuer. Die Hoffnung ist also nicht unbegründet, dass eine kritische Masse an Staaten das irgendwann erkennt, danach handelt und Klimaschutz so zum Standard macht.
Zweitens war ein Abkommen mit festen Vorgaben für jeden Staat schlicht nicht durchsetzbar. Der Klimagipfel in Kopenhagen, wo ein solcher Vertrag zustande kommen sollte, scheiterte fatal.
Darüber den Kopf in den Sand zu stecken hätte nicht viel gebracht: Die Welt braucht internationale Verhandlungen zum Weltklima, schon allein, weil manche Fragen wirklich nur dort besprochen werden können. Ein Beispiel ist die Debatte darum, wie viel Geld von den Industrie- zu den Entwicklungsländern fließen muss, um sie beim Klimaschutz zu unterstützen.
Lokale Antworten auf globale Fragen
Es ist trotzdem Zeit, das Mantra aufzugeben, globale Fragen bräuchten globale Antworten. Internationale Zusammenarbeit ist wichtig – aber nicht der einzige Weg.
Um die Klimakrise zu lösen, muss man in erster Linie aufhören, Treibhausgase in die Atmosphäre zu katapultieren. Das bedeutet: Kohlekraftwerke abschalten, Autos reduzieren, weniger tierische Produkte konsumieren.
Um das zu tun, müssen vor gerade die Industrieländer mit ihren finanziellen und technologischen Ressourcen nicht auf den Rest der Welt warten. Es gibt eben doch lokale Antworten auf globale Fragen.
Die Klimabewegung hat schon vor Jahren ihre Schlüsse daraus gezogen. Sie konzentriert sich nicht mehr vordergründig auf die internationalen Verhandlungen.
In den vergangenen Jahren hat sich die Bewegung zwar weiter über Ländergrenzen hinweg vernetzt, setzt aber immer mehr auf lokale Aktionen. "Ende Gelände" blockiert Tagebaue in Deutschland. "Extinction Rebellion" besetzt Straßen und Brücken in London. "Fridays for Future" demonstriert jeden Freitag vor Rathäusern und Ministerien in aller Welt.
Dort hat der Protest konkrete Adressaten, letztendlich die Regierungen der Staaten, die Gesetze auf den Weg bringen können. Auf Klimakonferenzen gibt es keine Regierung, auf die man Druck ausüben könnte, damit sie Querschläger zur Räson ruft.
Als internationales Vorbild wird gerade Großbritannien gehandelt: In den vergangenen Monaten hat das britische Parlament den Klimanotstand ausgerufen, das Land hat sich zur Klimaneutralität ab 2050 verpflichtet und will eine Bürgerversammlung für den Klimaschutz einsetzen.
Man kommt nicht umhin zu bemerken, dass das alles erstaunliche Ähnlichkeit zu den Forderungen von "Extinction Rebellion" hat.
Voreiliger Jubel
Großbritannien ist trotzdem ein gutes Beispiel für die Schwäche des globalen Klimaschutzes, wie ihn das Paris-Abkommen organisiert. Das Land gilt jetzt als Vorreiter, weil es mehr für den Klimaschutz tut als andere Staaten mit vergleichbarer Wirtschaftskraft.
Den Kohleausstieg wird Großbritannien in wenigen Jahren schaffen – das ist ein riesiger Erfolg. Das Ziel, ab 2050 klimaneutral zu sein, steht bisher aber nur auf dem Papier.
Und selbst wenn Großbritannien das Ziel erreichen sollte, ist umstritten, ob es damit getan wäre. Das Stichjahr 2050 ist der Zeitpunkt, an dem die ganze Welt keine Emissionen mehr verursachen darf, wenn sie eine ernstzunehmende Chance haben will, die Erderhitzung bei 1,5 Grad zu begrenzen.
Aber ist es gerecht, wenn alle Länder bis dahin Zeit bekommen? Oder sind diejenigen zuerst dran, die historisch die meisten Treibhausgase ausgestoßen haben? Vielleicht muss das Land am schnellsten bei null Emissionen sein, das aufgrund seiner Wirtschaftskraft am ehesten dazu in der Lage ist?
Bezieht man das mit ein, müsste Großbritannien lange vor 2050 klimaneutral werden. Das Paris-Abkommen klammert solche Fragen aber aus und setzt auf Inklusion: Jeder soll mitmachen – Staaten, Regionen, Städte, Unternehmen und Organisationen aller Art.
Das wird gefährlich, wenn schon Jubel einsetzt, sobald jemand auch nur irgendetwas liefert – egal, wie wenig es ist. Dabei sein ist nicht alles.