Alberta ist auf dem besten Weg zur Supermacht der erneuerbaren Energien. Einst für ihre umweltschädliche Ölsand-Industrie bekannt, steht die westkanadische Provinz inzwischen auf Platz eins der Wachstumsstandorte für Photovoltaik wie auch für Windenergie.
Vergangenes Jahr übertraf Alberta das eigene Ziel, 15 Prozent des Stroms aus Wind- und Solarenergie zu erzeugen. Weitere 15 Projekte für erneuerbare Energien sind in Planung.
Die Regionalverwaltungen sind zu Recht stolz auf das Potenzial ihrer Provinz. Ende August kam Albertas Umweltministerin Rebecca Schulz nach Deutschland zur feierlichen Eröffnung des unter kanadischer Leitung stehenden Geothermieprojekts Eavor-Loop im oberbayerischen Geretsried, gemeinsam mit Bundeskanzler Scholz und Ministerpräsident Söder.
Trotz des internationalen Erfolgs ist die Regierung in Alberta jetzt dabei, dieses Potenzial zunichtezumachen. Milliardeninvestitionen für Erneuerbare-Energie-Projekte, die sich in Planung befinden, stehen auf der Kippe.
Verzweifelt versucht die Administration, die Zeit zurückzudrehen, und konzentriert die Förderung rigoros auf die Öl- und Gasbranche. Ohne Rücksprache mit den betroffenen Unternehmen hat die Provinzregierung einen Genehmigungsstopp für Erneuerbare-Energien-Projekte über einem Megawatt für die nächsten sechs Monate angekündigt.
Die Kritik an diesem Moratorium ließ nicht auf sich warten und hält an. Denn neben den kanadischen Unternehmen sind auch internationale Anleger betroffen, besonders in den USA.
Der texanische Entwickler Proteus Power hat bereits Millionen in die Planung von drei Solarparks in Alberta investiert. Doch selbst der Firmenchef erfuhr nichts von dem Moratorium – genauso wenig wie andere etablierte Unternehmen der Branche. "Wir wurden gelinkt", so sein Kommentar gegenüber der Presse.
Auch eine Tochtergesellschaft der in Florida ansässigen Next Era Energy Resources sowie die EDP Renováveis mit Sitz in Madrid sehen ihre Projekte gefährdet.
Kurios und heuchlerisch
Nach Angaben von Albertas Energieminister Nathan Neudorf geht das Moratorium auf Beschwerden ländlicher Gemeinden und auf die Notwendigkeit der Netzstabilisierung sowie der "Landrückgewinnung" zurück. Zukünftig könnten auf die Projektentwickler verpflichtende Sicherheitsgarantien sowie die Kostenübernahme für den Rückbau von Anlagen am Ende des Lebenszyklus zukommen.
Albertas Premierministerin Danielle Smith macht unterdessen die Energieregulierungsbehörden verantwortlich. Von diesen sei sie schriftlich um das Moratorium ersucht worden. Im entsprechenden Schriftwechsel kommt ein solcher Passus jedoch nicht vor.
Tzeporah Berman
ist Programmdirektorin der nordamerikanischen Umweltorganisation Stand Earth und Vorsitzende der zivilgesellschaftlichen Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty Initiative. Seit 30 Jahren entwirft sie Kampagnen für Umwelt- und Klimaschutz. Sie lebt und arbeitet in Kanada. Ihr Beitrag erschien auf Englisch im gemeinnützigen Politikmagazin Common Dreams.
Das plötzliche Interesse der Provinzregierung an verstärkten Kontrollen für den Energiesektor erscheint nicht nur kurios, es ist schlichtweg heuchlerisch. Denn strengere Auflagen wären tatsächlich dringend erforderlich gewesen, als Chemikalien aus Ölsandabsetzbecken in nahe gelegene First-Nations-Gebiete austraten. Das war nicht nur schädlich für die Gesundheit der Menschen, sondern auch für Böden, Luft und Gewässer.
Dringend angesagt wäre auch Besorgnis angesichts des massiven Preisdumpings der Ölsandunternehmen, wenn es um die Beseitigung ihrer Altlasten geht – obwohl Ölverschmutzungen regelmäßig vorkommen. Aus internen Dokumenten der Energieaufsicht von Alberta geht hervor, dass allein die Dekontamination der Absetzteiche 130 Milliarden kanadische Dollar (90 Milliarden Euro) kostet. Doch die Aufsichtsbehörde nahm die Unternehmen mit nur wenig mehr als einem Prozent der Summe in die Pflicht.
Laut einer Analyse des Thinktanks Clean Energy Canada könnte die Provinz Alberta, sollte Kanada bis 2050 das Netto-Null-Ziel erreichen, eine Zunahme an Arbeitsplätzen im Bereich der sauberen Energien um zehn Prozent pro Jahr erwarten. Dieser Wert läge deutlich über dem Rest des Landes – und auch deutlich über dem erwarteten Rückgang der Arbeitsplätze in der fossilen Industrie.
Schon jetzt liegen der Regulierungsbehörde Alberta Utilities Commission 15 weitere Anträge für Erneuerbaren-Projekte vor – potenzielle Investitionen in Höhe von mehreren hundert Millionen kanadischen Dollar. Überall sonst würde man sich glücklich schätzen angesichts einer Wirtschaft, die sich breiter aufstellt, Alternativen zu fossilen Brennstoffen findet und einen Boom der erneuerbaren Energien auslöst. Das würde man unterstützen, nicht stoppen.
Weniger fossile Energien oder mehr Waldbrände
Dass Albertas Regierung so erpicht darauf ist, den Boom zu beenden, verwundert – steht das Moratorium doch eindeutig im Widerspruch zu den Prinzipien der freien Marktwirtschaft, die in der Region traditionell sehr hochgehalten werden. Sogar die United Conservative Party von Alberta zeigt sich irritiert.
Anstatt die Energiekosten der Wähler:innen zu senken und mit kluger Politik Punkte zu machen, scheint die Provinzregierung auf Biegen und Brechen an ideologischen Positionen festhalten zu wollen. Die Macht des Öl- und Gassektors, der mit unermüdlicher Lobbyarbeit auf die weitere Förderung fossiler Brennstoffe hinwirkt, mag hier auch eine Rolle spielen.
Die enormen Kostenvorteile, die Wind- und Solarenergie durch ihren massiven Ausbau inzwischen gegenüber fossilen Brennstoffen ausspielen, erzeugen einen hohen Wettbewerbsdruck, zumal Sonne und Wind als Ressourcen frei verfügbar sind.
Die langfristige Abhängigkeit des Marktes von fossilen Produkten ist vorbei, damit auch die Möglichkeit der Unternehmen, mit künstlicher Verknappung von Strom und Gas den Preis in die Höhe zu treiben und dabei Rekordgewinne einzufahren. Der Spieß dreht sich nun um – ein Graus für die etablierten Energieriesen im Markt.
Die Erde hat erneut den heißesten Juli seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erlebt. In allen Medien ermahnen Klimaexpert:innen die Regierungen, dass es höchste Zeit ist zu handeln.
Wenn Länder wie Kanada noch nie ein einziges Klimaziel erreicht haben, liegt das in der Regel daran, dass ihr Öl- und Gassektor die größte und am schnellsten wachsende Emissionsquelle ist. Wenn die Welt ihre Emissionen nicht schneller und stärker senkt, so die Wissenschaft, wird Kanada die Auswirkungen des Klimawandels in Zukunft deutlich stärker spüren, vor allem durch häufigere Waldbrände und Überschwemmungen.
Diese Aussichten wirken bedrohlich. Doch es ist noch nicht alle Hoffnung verloren. Laut einer im Juli dieses Jahres durchgeführten Umfrage befürwortet die große Mehrheit der kanadischen Bevölkerung die Einführung nationaler Quoten für Strom aus sauberen Energiequellen. In Alberta sind es 64 Prozent.
Inzwischen fordern knapp 90 Prozent der Kanadier:innen die Regierung dazu auf, erneuerbare Energien mindestens so umfangreich oder sogar stärker zu subventionieren als Öl und Gas.
Statt mit außer Kontrolle geratenen Waldbränden, die den Himmel von Washington bis New York mit Rauchwolken verdunkeln, weltweit Schlagzeilen zu machen, könnte Kanada sich als Vorreiter für saubere Energie profilieren. Auch Alberta könnte eine führende Rolle spielen – doch dafür müsste die Provinzregierung ihre ideologischen Scheuklappen ablegen und sich für die Argumente von Wirtschaftlichkeit und Sicherheit öffnen.
In dieser Rolle auf der Weltbühne glänzen zu können, setzt voraus, dass Umweltverschmutzung überall gleichermaßen hart sanktioniert wird. Nur so können Menschen vor den negativen Folgen aller Energieprojekte geschützt werden. Es ist an der Zeit, Lösungen für die Energieversorgung zu finden, die wirtschaftliche Interessen mit Klimaverträglichkeit verbinden, und diesen Erfolg nicht nur in Deutschland und Kanada, sondern weltweit auszubauen.