Blick in die strahlende, heiße Sonne am Himmel.
Viel strahlende Sonne über Deutschland schon seit Monaten. (Foto: Sylvain L'Assomption/​Mtl 341/​Pixabay)

Ich bin ein hitzeempfindlicher Mensch. Alles über 25 Grad ist mir zuwider, weil jede kleine Anstrengung zu Schweißausbrüchen führt. Und wenn man dann, nassgeschwitzt, in den Schatten tritt, friert man wieder und holt sich eine Erkältung. Sommergrippe nennt man das.

Im Prinzip ist es das Gleiche wie eine Wintergrippe oder Wintererkältung, nur dass man im Sommer keine Lust hat, sich warm anzuziehen oder ins Bett zu legen, wenn draußen schönstes Ausflugswetter herrscht. Daher hat die Sommergrippe wohl ihren besonders schlechten Ruf.

Es gibt aber auch andere Menschen. Die blühen auf, wenn die Sonne vom makellosen Himmel knallt und das Thermometer steigt und steigt. Ein solcher Mensch ist mein Französischlehrer. Der lebt, wenn er nicht im für ihn viel zu kalten und eigentlich völlig unerträglichen München weilt, in Nîmes, der heißesten Stadt Frankreichs, oder in Sevilla, der heißesten Stadt Europas.

Alles unter 30 Grad fühlt sich für ihn wie Winter an, weswegen in Deutschland, so meint jedenfalls Monsieur, eigentlich immer Winter herrscht. Der deutsche Sommer ist ein grün angestrichener Winter, sagte schon Heinrich Heine, der alte Spötter.

Temperaturempfinden ist also offenbar eine sehr subjektive Angelegenheit. Ich kann mich auch noch gut an meine Eltern erinnern. Mein Vater war wie ich, spätestens ab Mai war er immer schweißgebadet. Dann schmiss er alles von sich und lief halb nackt herum.

Meine Mutter bibberte immer. Wenn es wirklich mal Sommer wurde im grün gestrichenen Deutschland, blühte sie auf. Dann brutzelte sie stundenlang in der Sonne. "Schaut mal, wie viel Farbe ich bekommen habe", sagte sie dann und war selig.

Derzeit hätte meine Mutter ihre helle Freude. Denn wir gehen, so ist ja allenthalben zu lesen, angeblich wieder einem Rekordsommer entgegen. Der könne sogar, wenn er sich ranhält, noch den Jahrtausendsommer 2003 toppen. Alle scheinen zu ächzen unter dem Steppen- oder Tropensommer, der Jahrhundertdürre.

Vor allem die Bauern klagen. Aber das machen sie eigentlich immer. Schließlich sind sie Landwirte, also Geschäftsleute, Unternehmer. Schon mal Unternehmer gesehen, die nicht darüber klagen, dass es besser laufen könnte? Im Zweifelsfall wollen die Bauern nur mehr Zuschüsse von der EU.

In der Wüste ist es heiß

Dass es mit der Ernte mal rauf-, mal runtergeht, darf nicht mehr sein in Zeiten ewigen Wachstums und eines schon ans Absurde grenzenden Athropozentrismus. Ja, wir haben alles im Griff, meinen wir jedenfalls. Derzeit macht das Wetter weiterhin, was es will. Und es macht es keinem recht. Natürlich soll es regnen, von wegen "der Natur". Aber, bitte nur nachts und nicht in den Sommerferien.

Die privaten Online-Wetterdienst schwanken stets zwischen populistischer Panikmache vor einem sich festsetzenden "Wüstenklima" oder ebenso vernichtenden Starkregenereignissen – und ranschmeißerischen Jubelarien über "perfektes Grill- und Badewetter". Irgendwie passt das nicht zusammen.

Zuerst heißt es, dass der erhoffte Regen wieder einmal ausgeblieben ist – und dann zieht endlich ein Kaltlufttropfen mit teils ergiebigen Regenfällen über uns hinweg und schon "schwächelt" der Sommer. Mit Herannahen eines neuen Hochdruckkeils sollen sich die Leute dann wieder über Wetter "fast wie am Mittelmeer" freuen. Oder sich gruseln, ganz nach Gusto.

Es gibt diesen Sommer auch wieder dutzendweise hitzige Meldungen aus anderen Erdteilen. Gerade lese ich bei Wetter Online: "Vorderasien: Extreme Hitze". O weh, Katastrophe! Weiter unten heißt es dann: "Die Hitze ist in Vorderasien nicht ungewöhnlich. Im Sommer ist das Wetter durch extreme Trockenheit und Hitze gekennzeichnet."

Das bestätigt meine Ahnung, dass es in Wüsten generell heißer ist als bei uns. Früher wussten die Beduinen damit umzugehen. Heute, in den versiegelten Megastädten etwa des Nahen Ostens, geht es nur noch mit Klimaanlage.

Der Kolumnist

Der Autor und Journalist Georg Etscheit aus München engagiert sich seit vielen Jahren im Umwelt- und Naturschutz. (Foto: Monika Höfler)

Mein persönlicher Eindruck zählt natürlich nicht. Aber ich finde diesen Sommer in unseren Breiten eigentlich sehr angenehm. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. Tolles Wanderwetter. Bei uns im Süden hat es auch ausreichend geregnet und von unerträglichen 40 Grad waren wir, bisher jedenfalls, weit entfernt.

Natürlich gibt es im Norden und Osten Regionen, die wirklich knochentrocken sind. Aber der Eindruck einer Katastrophe will sich mir nicht vermitteln. Wenn Bauern pleitegehen, dann liegt das sicher nicht am Wetter, sondern etwa daran, dass die meisten Deutschen für ihre Lebensmittel keine angemessenen Preise zahlen möchten.

Ich glaube, dass der warme Sommer vielen Arten mehr nützt als schadet. Die Mauersegler beispielsweise, die oft ihre Brut nicht durchbringen, weil es einfach zu feucht und zu kalt ist, ziehen heuer in besonders großen, kreischenden Trupps am Himmel ihre Kreise. Auch Schmetterlinge soll es mehr geben als sonst. Vielleicht bekommen die arg dezimierten Insekten ja eine unverhoffte und dringend benötigte Atempause. Und so viele Nüsse wie dieses Jahr gab es schon lange nicht mehr. Und die Schattenmorellen für die rote Grütze! Sie sind dieses Jahr fast so süß wie Knackkirschen.

Ich muss sagen, dass das dauernde Katastrophengerede, die Bilder von irgendeinem abgefackelten Feld, einem lokalen Sandsturm oder einem zufällig mit der Handykamera ertappten Tornado, dieses enervierende mediale Wechselbad zwischen zu kalt, zu warm, zu trocken, zu nass, zu irgendwas, mich zunehmend abstumpfen lässt. Und sind drei Tage mit 30 Grad hintereinander schon eine Hitzewelle? Monsieur würde mich auslachen. Oh, gerade kommt wieder ein Trupp Mauersegler angeflogen. Schön!

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