Ein gutes Dutzend Menschen singt und muisziert auf klassischen Instrumenten, dabei ein Bahngleis blockierend.
Auch so lassen sich Musik und Klima verbinden: Die Gruppe "Lebenslaute" bei einer Protestaktion gegen Braunkohle 2016 in der Lausitz. (Bild: Friederike Meier)

Klimareporter°: Herr König, in Ihrem Buch schreiben Sie, dass der Klimawandel überall auf der Welt Musikkulturen bedroht. Inwiefern macht sich das bemerkbar?

Bernhard König: Viele Musikkulturen haben sich über Jahrhunderte hinweg in bestimmten Regionen der Welt entwickelt. Sie sind unter anderem durch die dort lebenden indigenen Völker geprägt worden. Überall dort, wo bestimmte Gegenden durch den Klimawandel bedroht sind – zum Beispiel durch starke Überschwemmungen, Hitze oder den steigenden Meeresspiegel – sind auch diese traditionellen, ortsansässigen Musikkulturen gefährdet.

Darüber hinaus sind aber auch die Musikkulturen der Industrieländer bedroht. Gemerkt hat man das in der Corona-Pandemie, als das professionelle Musikleben von einem Tag auf den anderen zusammengebrochen oder ins Internet abgewandert ist, während Privatinitiativen weiterhin auf Abstand musiziert haben.

Das Kulturleben ist in einem Land wie Deutschland in ein sehr komplexes Netz eingebunden, bestehend etwa aus Lieferketten und Fremdversorgungen. Wenn dann bestimmte Dinge nicht mehr funktionieren, sind auch solche Musikkulturen sehr anfällig.

Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen treten auch in Industriestaaten auf. Macht das den Besuch von Musikveranstaltungen im Freien riskanter?

Das Onlinemagazin Billboard hat dazu vor einiger Zeit eine Liste von Konzerten und Festivals veröffentlicht, die 2023 aus Klimagründen ausgefallen sind. Letztes Jahr war das heißeste Jahr seit Menschengedenken. Das hat sich entsprechend auf Kulturevents ausgewirkt.

So sagte zum Beispiel Elton John ein Konzert in Neuseeland wegen heftiger Überschwemmungen ab. Auch Taylor Swift tat dies, nachdem bei einem ihrer Auftritte ein Fan an Hitzeerschöpfung gestorben war. Das sind zwar Einzelfälle, die nicht ausschließlich in der Musikbranche vorkommen. Leider steht es aber für eine steigende Tendenz.

Was kann man tun, um Menschen bei solchen Veranstaltungen besser vor Extremwetterereignissen zu schützen?

Es ist zum Beispiel möglich, die Veranstaltungen in anderen Monaten oder nachts stattfinden zu lassen. In einigen Ländern ist das schon passiert. Das ist dann zwar eine Anpassung, aber keine Lösung.

Der Konzerttourismus verursacht selbst viele Emissionen: Musiker:innen fliegen um die Welt, Fans reisen ihren Idolen zum Teil über weite Strecken nach, dazu kommt ein hoher Strombedarf und viel Müll durch Catering und Camping. Was haben Sie dazu herausgefunden?

Porträtaufnahme von Bernhard König.
Bild: Trimum

Bernhard König

ist Komponist, Konzert­pädagoge und Autor. Er organisierte unter anderem Projekte mit geflüchteten Musiker:innen und Menschen mit Behinderung. Seit 2019 befasst er sich intensiv mit den Zusammen­hängen von Musik und Klima.

An sich ist Musik klimaneutral. Wenn man davon ausgeht und dann sieht, dass wir binnen einer Generation etwa durch Tourismus und Streaming mehr Energie für den Genuss von Musik verbraucht haben als in 10.000 Jahren davor, ist das schon ziemlich atemberaubend.

Es gibt keine exakten Zahlen über Musikstreaming oder speziell Musiktourismus. Einige Statistiken zeigen aber natürlich, dass Tourismus ein Riesenproblem ist.

Einer sehr guten Studie des Musikwissenschaftlers Kyle Devine zufolge ist Streaming auch die mit Abstand umwelt- und klimaschädlichste Form der Musik-Speicherung, die es je gegeben hat – selbst wenn man den ganzen Plastikmüll aus der CD-Ära dagegenrechnet. Grund sind die riesigen Rechenzentren und der pausenlose Energieumsatz, der dort stattfindet.

Einige Künstler:innen und Veranstalter bemühen sich eigenen Angaben zufolge um mehr Nachhaltigkeit – ein Schritt in die richtige Richtung?

Dazu sei zunächst gesagt: Ganz viele Teile unserer Musikkultur waren oder sind noch immer kein Klimaproblem. Damit meine ich zum Beispiel Garagenbands oder auch Chöre.

Das Problem sind vielmehr die hohen Reichweiten. Da gehen die großen Veranstalter und Konzerthäuser nicht so wirklich gern ran. Zwar passiert einiges im Bereich der sogenannten Betriebsökologie, also dort, wo es um das Handeln innerhalb der eigenen Institution geht – sei es zum Beispiel bei der Wärmedämmung eines Konzerthauses oder mit einem Veggie-Angebot auf einem Festival.

Insgesamt ist das aber ein kleiner Prozentsatz verglichen mit dem Massenkonsum oder auch dem Streaming. Jeden Ton wollen wir als Musiker:innen heute immer sofort der Welt verfügbar machen.

In Ihrem Buch fassen Sie das so zusammen, dass die Musikindustrie einem "Wachstumszwang" unterworfen sei. Wie ist dieser entstanden?

Das kann man an der europäischen Expansionsgeschichte festmachen. Mit der Erfindung der Dampfmaschine und ausgehend von Ländern wie England, Frankreich und Deutschland ist die Welt ab dem 18. Jahrhundert von einem Hunger auf fossile Energien erfasst worden.

Diese Entwicklung hat bestimmte Konsummuster in die Welt gebracht, die heute zu einem Problem geworden sind – und sie ist eng mit dem Siegeszug der europäischen Musikkultur verbunden.

Man kann genau nachvollziehen, wie mit dem wachsenden Schienennetz die Musiker:innen zu Weltstars wurden. Gereist sind sie zwar schon immer, aber das Tempo, mit dem das geschah, hat sich durch die neuen Erfindungen beschleunigt.

Auch das Publikum hat sich mit dem Beginn des neuzeitlichen Tourismus erstmals auf den Weg gemacht. Vorher wäre niemand auf die Idee gekommen, zu Konzerten zu reisen.

Wie kann sich die Musikbranche ändern, um weniger klimaschädlich zu werden?

In der Musik ist es nicht schwer, Qualitäten wiederzuentdecken, die es fernab des Wachstums schon immer gegeben hat. Damit meine ich nicht die Rückkehr in ein idealisiertes "Damals". Musik kann in Konflikten der Gegenwart eine hochaktuelle Rolle spielen, zum Beispiel bei der Spaltung der Gesellschaft.

Oft sind Menschen, die an einem Ort leben, einander fremd. Da muss man Brücken schlagen, und ihnen Angst voreinander nehmen, damit sie so einer großen Aufgabe wie dem Klimawandel überhaupt gewappnet sind.

Kultur, Musik und auch Religion können dabei eine große Rolle spielen, damit sich die Menschen wieder mehr begegnen. Das geht an jedem Ort und in jeder Stadt. Dafür muss man nicht um die Welt jetten.

 

Gibt es Orte, an denen das schon passiert?

Unendlich viele. In Kindergärten und Schulen wird Musik zum Beispiel als Mittel für mehr Inklusion eingesetzt. Man kann mit Musik auch Umwelt- und Klimawissen vermitteln.

Ein zugegebenermaßen etwas utopischer Ansatz ist, dass Musik Menschen nicht nur in Bewegung setzen, sondern sie vielleicht auch durch tolle, partizipative Projekte dazu anregen kann, Urlaub in ihrer Heimat zu machen und dort zum Beispiel ein Instrument zu lernen oder in einem Chorprojekt mitzumachen. Das wäre ein wirklich positiver Beitrag der Musik für mehr Klimaschutz.

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