Im Englischen gibt es zwei Worte für das Gefühl von Verlust: despair und grief. Während das erste eher mit Verzweiflung und Depression übersetzt wird, bedeutet grief im Deutschen Trauer.
Für Chris Jordan ist diese Trauer nicht negativ, sondern mit Hoffnung und Liebe verbunden. Das schmerzliche Gefühl von Verlust durch Umweltverschmutzung, Extremwetter oder durch absterbende Landschaften und aussterbende Tierarten ist das Leitmotiv des US-amerikanischen Fotografen und Filmemachers.
Bevor der Künstler seinen 97-minütigen neuen Film "Albatross" das erste Mal dem deutschen Publikum vorspielt, kündigt er an: "Lasst die Trauer zu, lasst sie in eure Herzen, wehrt euch nicht dagegen. Trauer ist gut und wird zu Unrecht verdrängt."
Viele Menschen würden Trauer negativ besetzen und so das Potenzial des Gefühls gar nicht begreifen, ist der Künstler überzeugt. Sein Film, den er an diesem Tag auf dem Potsdamer Telegrafenberg vorführt, ist dafür eine Art Beleg.
Die Naturdokumentation über wilde Abatrosse im Nordpazifik ist tatsächlich eine Gefühlsreise. Am Anfang steht das Staunen über die wilde Schönheit der pazifischen Insel. Der Filmemacher baut eine fast mythisch-märchenhafte Stimmung auf, die den Eindruck einer nahezu paradiesischen Unschuld hinterlässt.
Dann kommt der Film den Albatrossen so nahe, dass den Zuschauern nichts anderes übrig bleibt, als sich in die schönen und auf ihre Art komischen Vögel zu verlieben.
Veränderung geschieht durch Emotionen
Genau da beginnt der Alptraum. Jordan zeigt schockierende Bilder von verendeten Vögeln, deren Mägen mit Plastik gefüllt sind. Er zeigt, wie Albatrosmütter ihre Jungen mit Plastik füttern.
Verschlussdeckel von Softgetränken, Zahnbürsten und Gummiringe werden zum Killer – und die Mägen der unschuldigen Vögel zum Spiegelbild unserer Konsumwelt: "Sie starben in einer schockierenden Ahnungslosigkeit, während ich wusste, warum sie starben", heißt es in dem Film.
Nach anderthalb Stunden haben die meisten im Saal Tränen in den Augen, niemand klatscht. Viele sind hin- und hergerissen zwischen stiller Trauer und Wut.
Chris Jordan hat sein Publikum genau da, wo er es haben will: "Wir handeln nur so viel, wie wir fühlen, und wenn wir dieses tiefe Gefühl haben, dann wissen wir auch, was zu tun ist", erklärt der Künstler.
Er glaubt, dass Kunst auch beim Thema Klima durch Empathie noch viel mehr erreichen kann. "Trauer ist dabei ein Türöffner und kann auch helfen, abstrakte Prozesse wie den Klimawandel spürbar zu machen." Das Kohlendioxid in der Atmosphäre sei schließlich unvorstellbar – aber die Kunst könne das Unvorstellbare fühlbar machen.
"Der Film ist Dokumentation und Lyrik zugleich", erklärt Margret Boysen, Leiterin des Künstlerprogramms beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Das Forschungsinstitut hatte Jordan in den vergangenen Monaten einen künstlerischen Aufenthalt gesponsert. Auf dem Klimaforschungs-Campus zeigte er seinen Film und diskutierte mit Wissenschaftlern und Besuchern.
"Chris Jordan zeigt nicht nur das auf fatale Weise durch uns Menschen gefährdete Leben der Albatrosse, sondern er hat seine Emotionen wie Respekt, Liebe und Trauer in dem Film mitverarbeitet", sagt Boysen. Genau diese Emotionen würden gebraucht, um Energie für Veränderung aufzubringen.