Gute Klimaschutzprojekte können durchaus positive Effekte haben. Nur kompensieren lässt sich damit nichts. (Bild: KRA)

Klimareporter°: Herr Warnecke, der freiwillige Kompensationsmarkt hat große Probleme, unabhängig von der Qualität einzelner Klimaschutzprojekte. So gibt dieses System für Projektländer den Anreiz, möglichst schwache Klimaziele zu formulieren, wie Sie im ersten Teil unseres Interviews erläutert haben. Was kritisieren Sie außerdem an diesem Markt?

Carsten Warnecke: Ein großes Problem ist die Doppelanrechnung: Irgendein Unternehmen kauft CO2-Zertifikate über den Kompensationsmarkt, stellt sich in die Öffentlichkeit und nennt sich oder eines seiner Produkte klimaneutral. Das Projektland dürfte dann diese CO2-Einsparung nicht auch noch auf die eigene Klimabilanz anrechnen.

Aber genau das passiert.

Es kommt zur sogenannten doppelten Inanspruchnahme. Sowohl das Unternehmen, das die Zertifikate gekauft hat, als auch das Projektland beanspruchen die CO2-Einsparung als eigene Leistung.

Der unregulierte freiwillige Markt müsste sich an den Regeln des UN-regulierten Marktes orientieren, um das zu verhindern. Die Notwendigkeit hierfür wurde aber jahrelang von großen Marktteilnehmern geleugnet.

Gibt es keinen Mechanismus, um das zu verhindern?

Doch, den gibt es. Er nennt sich "Corresponding Adjustment". Der ist aber noch nicht im Einsatz.

Wenn Staaten ihre Emissionen an die UN berichten, müssen sie dann zusätzlich mitteilen: "Achtung, diese und jene Menge an Emissionsspeicherung oder -vermeidung wurde fremdfinanziert. Dafür wurden Zertifikate vergeben und deshalb muss das auf unsere Bilanz angerechnet werden."

Das alles existiert bisher aber nur in der Theorie. Es gibt kein Land auf der Erde, das ein Corresponding Adjustment durchgeführt hätte. Da gibt es höchstens mal Absichtserklärungen.

Im Endeffekt gibt das aktuelle System einen Anreiz, das Pariser Klimaabkommen zu unterlaufen, und es gibt falsche Signale an Projektländer, an Unternehmen und Konsumenten. Den Konsumenten wird gesagt: Ihr könnt klimaneutral nach Mallorca fliegen. Das bremst natürlich jede Verhaltensänderung aus und führt nicht dazu, dass die Emissionen sinken.

Bild: New Climate

Carsten Warnecke

ist Mit­gründer des New Climate Institute in Köln und hat langjährige Expertise zu inter­nationalen CO2-Märkten. Schwerpunkte des studierten Umwelt­ingenieurs sind Entwicklung und Bewertung klima­politischer Maßnahmen und Strategien, speziell inter­nationaler CO2-Märkte. Bei New Climate arbeitet er an der Entwicklung eines alternativen Ansatzes zur CO2-Kompensation mit, des "Climate Responsibility Approach".

Muss man davon ausgehen, dass alle Klimaschutzprojekte doppelt gezählt werden?

Heute ja. Der freiwillige Markt verwendet entweder Zertifikate aus der Kyoto-Zeit oder Emissionsminderungen aus jüngerer Vergangenheit, für die technisch noch gar kein Adjustment durchgeführt werden kann.

Es gibt im Paris-Abkommen den Artikel 6. Der soll den UN-regulierten Zertifikatehandel regeln. Darunter fallen auch das Corresponding Adjustment und die geforderte Zusätzlichkeit von Projekten.

Die Umsetzung ist aber, wie gesagt, noch nicht fertig. Das ist alles Zukunftsmusik.

Der Kompensationsmarkt bremst also den Klimaschutz in Projektländern und verhindert Verhaltensänderungen beim Konsum. Wie wirkt sich das System auf den Klimaschutz von Unternehmen aus?

Wenn man erlaubt, dass sich ein deutsches Unternehmen aufgrund billiger und strittiger Kompensationsprojekte klimaneutral nennen kann, dann führt das dazu, dass teurere, aber dringend notwendige Maßnahmen zu Hause unterbleiben. Der Umbau der Produktionsprozesse wird dann weiter in die Zukunft geschoben.

 

Aber auch teure oder technologisch aufwendige, sogenannte High-hanging-fruit-Projekte wird es nie in dem Ausmaß geben und zu den billigen Preisen, wie sich das die großen Unternehmen in ihren langfristigen Nachhaltigkeitsstrategien vorstellen.

Wenn das Kompensieren einer Tonne CO2 sinnvoll bepreist wird und 200 Euro kostet – und nicht fünf Euro wie momentan –, dann ist der nachhaltige Umbau der eigenen Prozessschritte auf einmal doch billiger als der Kauf von CO2-Zertifikaten.

Die großen Klimaberatungsfirmen wie South Pole oder Climate Partner werben damit, dass bei ihnen Einsparung immer vor Kompensation kommt. Ist das nur heiße Luft?

Es sollte natürlich so sein, dass die Kompensation immer nur der allerletzte Schritt ist. Diese Reihenfolge ist allerdings weitestgehend zum Mantra der Branche verkommen. Das wird sehr konsequent nach vorne gestellt, aber leider bei vielen nicht besonders konsequent umgesetzt.

Medienberichte und Rückmeldungen, die direkt an uns herangetragen werden, legen nahe, dass Beratung in vielen Fällen kaum stattfindet. Man kann scheinbar irgendwelche Daten in die Berichte schreiben, das wird oft nicht nachgeprüft. Am Ende kriegt man so oder so Zertifikate verkauft. Damit wird das Geld verdient.

Das geht so weit, dass Mitarbeiter von Unternehmen und Beratungsfirmen bei uns anrufen und Argumente von uns wollen, um damit ihre Vorgesetzten zu konfrontieren. Dort arbeiten natürlich auch Menschen, die etwas wirklich Sinnvolles für den Klimaschutz tun wollen und dann ernüchtert sind, wenn sie feststellen, wie es dort eigentlich zugeht.

Allerdings ist es für Unternehmen im Grunde unmöglich, gar keine Treibhausgase zu produzieren. Wie sollten sie mit den verbleibenden Emissionen umgehen?

Auch das New Climate Institute ist natürlich nicht klimaneutral. Es gibt externe Faktoren, die wir nicht oder nur schwer beeinflussen können. Auch unsere internationale Ausrichtung erfordert zum Beispiel weiterhin ein Maß an Flugreisen, für die es keine technologischen Alternativen gibt.

Wir erklären auf unserer Website, wie wir Emissionen berechnen, was wir reduzieren und warum wir weiterhin Restemissionen haben. Wir bepreisen am Ende unsere Restemissionen mit einem internen CO2-Preis. Am Anfang waren das 100 Euro pro Tonne, momentan sind es 120 Euro, und der Preis soll nach und nach auf 200 Euro hochgehen.

Das Geld wird in einem internen Fonds gesammelt und einmal im Jahr werden damit Projekte unterstützt. Das ist dann unser Beitrag, mit dem wir versuchen, unserer Verantwortung so gut es geht gerecht zu werden. Damit kaufen wir uns aber nicht klimaneutral. Die Projekte sind oft experimentell oder haben so hohe Vermeidungskosten, dass der Kompensationsmarkt sie ignoriert.

Das nennt sich dann "Contribution-Claim" im Gegensatz zu "Compensation-Claim". Das heißt, wir unterstützen Projekte, aber kompensieren damit nichts.

Was für Projekte unterstützen Sie?

Projekte, die anspruchsvoll sind und tatsächlich von den Projektländern nicht selbst umgesetzt werden könnten.

Das letzte waren Wärmepumpen in der Mongolei. Im Januar und Februar sind es dort gerne mal minus 40 Grad. Bisher gehen viele davon aus, dass Wärmepumpen bei solchen Temperaturen nicht funktionieren können. Mit dem Geld, das wir zur Verfügung gestellt haben, kann das getestet werden.

Es geht dabei vor allem um transparente Kommunikation. Wenn große Unternehmen ebenso transparent wären, müsste in ihren Berichten so etwas stehen wie: "Wir haben nichts reduziert, aber wir versuchen, mit ein paar Euro pro Tonne CO2 über irgendein strittiges Klimaschutzprojekt unsere Emissionen auszugleichen."

 

Die Quintessenz ist also: Kompensation ist Unsinn, aber Unternehmen sollen Projekte trotzdem unterstützen?

Klar. Das Geld soll weiter in gute Projekte fließen. Wenn die Projekte gut gemacht sind und nicht zur Kompensation genutzt werden, können sie sehr wichtig für Gemeinschaften vor Ort und für das globale Klima sein.

Zwei Dinge sind wichtig: Gelder für Projekte sollen auch wirklich in die Projekte fließen. Das ist heute nicht immer der Fall. Oft bleibt das Geld bei irgendwelchen Zwischenhändlern stecken.

Und zweitens, es gilt zu verhindern, dass Unternehmen und Projektländer durch den Kompensationsmarkt – wie beschrieben – ihren eigenen Klimaschutz verschleppen.

Unternehmen müssen ihre Emissionen seriös berechnen, ernsthaft bepreisen und den Geldfluss transparent machen. Das hat das Potenzial, dass am Ende viel mehr Geld tatsächlich bei den Projekten ankommt und für wirklichen Klimaschutz sorgt.

Lesen Sie hier Teil 1 des Interviews: "Ich weiß nicht, ob der Kompensationsmarkt tot ist, aber ich würde es mir wünschen"