Drei Gurkenscheiben
Ist es wichtiger, wie das Gemüse produziert oder wie es verpackt ist? Oder lenkt die Frage bloß ab? (Foto: Bianca Mentil/​Pixabay)

So unbequem es sein mag: Der Klimawandel, das sind nicht nur RWE und Trump. Wir stecken alle mit drin, durch Flüge und Autofahrten, Heizung und Strom, unseren Konsum.

Mit 11,6 Tonnen im Jahr beziffert das Umweltbundesamt die durchschnittlichen Treibhausgas-Emissionen eines Menschen in diesem Land, jedes Jahr. Angemessen für einen Erdenbewohner wären eher zwei Tonnen, wenn der Maßstab ist, die globale Erwärmung auf ein erträgliches Maß zu beschränken.

Und 2050 soll Deutschland weitgehend klimaneutral sein, heißt: Der private CO2-Fußabdruck müsste bis dahin unter eine Tonne sinken. So weit, so schlecht die Bilanz also.

Aber wie bekommt man den eigenen Wert nach unten? In Berlin ging gerade ein Experiment zu Ende, das ein Jahr lang genau dieser Frage nachgegangen ist. Und zwar im Alltag, wie er nun einmal ist.

"Eine Art Feldversuch unter realen Lebensbedingungen" nennt es Projektleiter Fritz Reusswig. Der Soziologe arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, er hat schon untersucht, wie ganz Berlin CO2-neutral werden könnte.

Aber ein solches Medieninteresse wie bei "Klimaneutral leben in Berlin" (Klib), so der Titel des Versuchs, sei ihm noch nicht begegnet, sagt Reusswig. Selbst das chinesische Staatsfernsehen war schon bei einem Haushalt zu Besuch.

147 Berliner Haushalte waren zum Start dabei, von knapp unter 100 liegen verwertbare Daten vor. Einmal die Woche mussten die Teilnehmer in einen sogenannten CO2-Tracker, eine App für Smartphone oder PC, eintragen, wie viel sie verbraucht, welche Wege sie auf welche Weise zurückgelegt, ob sie eher fleischlastig oder vegan gegessen haben.

Das zu Beginn gesetzte Ziel lautete, die Emissionen um 40 Prozent zu senken – analog zum deutschen Klimaziel für 2020, das die Bundesregierung allerdings mittlerweile aufgegeben hat.

In der Zwischenbilanz Mitte November lagen die Klib-Haushalte pro Person im Schnitt bei 7,9 Tonnen. Das wären beachtliche minus 32 Prozent, allerdings waren sie mit 9,1 Tonnen gleich niedriger eingestiegen als die Durchschnittsdeutschen.

Das Ziel sei eigentlich gewesen, ein repräsentatives Bild der deutschen Gesellschaft zu bekommen, sagt Reusswig. Letztlich seien die Teilnehmer aber vor allem über die Projektpartner gekommen, über Biosupermärkte und Ökostromanbieter. "Das bedeutet, dass wir natürlich Haushalte gefunden haben, die schon affin zum Thema waren. Dadurch war der Ausgangsfußabdruck etwas geringer."

Abgesehen von der Öko-Schlagseite sei die Mischung aber gut: Familien wie Alleinstehende, viele Mieter, aber auch Eigentümer, Doppelverdiener genauso wie Studenten oder Rentner.

Im Schnitt erzeugten sie immerhin 13 Prozent weniger CO2 als zuvor, wobei ein Drittel der Teilnehmer ihre Emissionen überhaupt nicht gesenkt bekamen. Die Gründe sind vielfältig, einer Familie etwa verhagelte ein Schüleraustausch nach Neuseeland die Bilanz. Dazu kommt, dass Sparen immer schwieriger wird, je weniger man hat.

"Durch das Feedback haben wir bewusster gelebt"

Das hat auch Ulrich Kleinwechter erlebt, der gemeinsam mit seiner Frau und ihrem zehn Jahre alten Kind teilnahm. Es gibt ein paar einfache Dinge, die schnell und ohne Komforteinbußen gemacht sind – Kleinwechter nennt sie die "tiefhängenden Früchte": auf Ökostrom umstellen, Energiesparlampen einschrauben.

"Das hatten wir aber alles schon hinter uns. Und dann muss man wirklich schauen, dass man sein Verhalten anpasst." Im Sommer ging es etwa mit dem Zug in den Urlaub, Teile ihres Arbeitsweges legt die Familie jetzt mit dem Fahrrad statt der Bahn zurück, kaufte weniger Dinge ein.

"Durch das wöchentliche Feedback haben wir bewusster gelebt", sagt Kleinwechter. "Man überlegt dann schon, ob man etwas wirklich braucht."

Auch Fritz Reusswig sieht den Tracker als "Bewusstseinsbildungsinstrument". Das passt zu einem anderen Versuch, den Forscher aus Zürich und Bamberg kürzlich in Schweizer Hotels machten. Sie installierten dort in den Duschen Echtzeitzähler, die den Energieverbrauch anzeigen. Ergebnis: Die Hotelgäste verbrauchten elf Prozent weniger Warmwasser.

Das Tracking selbst sei nicht so aufwändig, sagt Ulrich Kleinwechter. "Aber dahinter steht natürlich, dass wir die ganze Zeit unser Verhalten beobachten und überlegen, wie wir unseren Fußabdruck weiter verkleinern können."

Teils kam auch der Zufall ins Spiel: Als der 20 Jahre alte Herd kaputtging, schaffte der Vermieter auf Bitten ein energieeffizienteres Gerät an.

Das Mieter-Dasein schränkt die Möglichkeiten allerdings ein. Zum Start kamen Energieberater vorbei, "die haben ein ernüchterndes Urteil über den energetischen Zustand unserer Wohnung gefällt". Er könne dem Vermieter gut zureden, sie hätten ihm auch das Gutachten geschickt. "Aber das hat man als Mieter nicht mehr in der Hand."

An Grenzen stößt die Familie auch im Supermarkt. Lieber die konventionelle Gurke oder die Bio-Sorte, die allerdings in Plastik eingeschweißt ist? Regionale Butter oder Margarine, in der Palmöl aus Indonesien steckt?

"Das ist wirklich müßig", sagt Kleinwechter. "Wir sind irgendwann zu dem Punkt gekommen, an dem wir gesagt haben: Das ist zu viel verlangt von uns als Verbrauchern, die Informationen sind nicht klar. Und gleichzeitig haben wir gemerkt, dass die Verbesserungen nur noch marginal sind."

Nach den vorläufigen Zahlen haben sie ihren Haushalts-Fußabdruck von rund 22 auf etwa 17 Tonnen CO2 reduziert. Für die Zukunft wird es allerdings aus familiären Gründen schwierig, aufs Fliegen zu verzichten – Kleinwechters Frau kommt aus Südamerika. Zumindest kompensieren wollen sie die Flüge dann aber.

Nicht noch eine Afrika-Reise

Auch Mechtild Lutze ist schon weit gereist in ihrem Leben. In ihrem Wohnzimmer stehen überall Mitbringsel davon, an den Wänden hängen Bilder von den Viktoriafällen und den Azoren. Mehrmals war Lutze in Afrika, 2005 hat sie eine Weltreise gemacht, fuhr mit der Bahn durch die USA, dann weiter in die Südsee und von Australien zurück.

Die CO2-Bilanz der Reise kennt sie nicht, aber als sie kürzlich mal den Wert nach Neuseeland und zurück nachgeschaut habe, sei sie erschrocken gewesen: 14 Tonnen.

Nicht erst durch das Klib-Projekt tue sie sich heute schwer damit, noch Flugreisen zu planen, wegen der Emissionen. "Ich habe durchaus Wünsche, wo ich noch hinmöchte. Aber ich kann nicht so tun, als ob ich nichts davon wüsste." Gerade hat sie sich gegen eine Senegal-Reise entschieden, das sei eher ein gutes Gefühl als ein schmerzhafter Verzicht gewesen.

Dass Lutzes Emissionen im Verkehr gar auf momentan nur noch 0,1 Tonne gesunken sind (der Durchschnitt liegt bei 2,2 Tonnen), war aber eigentlich Pech. Ende Mai hatte sie einen Fahrradunfall, der Wanderurlaub in Portugal fiel aus. Dorthin wäre sie mit Bus und Bahn gefahren.

In Berlin ist sie fast ausschließlich mit dem Fahrrad unterwegs. Es habe sie gereizt zu schauen, welche CO2-Sparideen es noch so gibt, erklärt Lutze ihre Teilnahme am Experiment. "Man ist ja nie perfekt."

Dazu muss man wissen, dass sie für deutsche Verhältnisse einen Fabelwert aufweist: Schon vor dem Projekt waren es nur 5,6 Tonnen, jetzt liegt sie noch eine Tonne niedriger. Lutze wohnt seit 20 Jahren auf 47 Quadratmetern. Die Wohnung im Bezirk Tempelhof ist saniert und gedämmt, Strom und Gas nutzt sie sparsam, beides bezieht sie zudem seit Langem vom Ökoanbieter EWS Schönau. Neben der Eingangstür hängt ein Anti-Atomkraft-Plakat ("Mal richtig abschalten").

Beim Einkaufen achtet Lutze darauf, alle Arten von Verpackungen zu vermeiden, und nimmt dafür längere Wege in Kauf, etwa zum Wochenmarkt. "Ich habe überhaupt nicht das Gefühl zu verzichten", sagt sie.

Dabei ist klar: Viel weiter runter wird sie ihren CO2-Wert nicht mehr bekommen. Ein paar Punkte gäbe es schon noch, ausschließlich vegan zu leben kann sie sich schwer vorstellen (teilweise tut sie es schon), und auf Theater, Kino oder Konzerte mag sie nicht verzichten – auch das brächte ein paar Gramm für die Emissionsbilanz. "Aber das gehört für mich zur Lebensqualität dazu."

Ab einem bestimmten Punkt hilft nur eine andere Politik

"Irgendwann ist eine Schmerzgrenze erreicht, und für viele Leute liegt die schon weit oberhalb von 4,6 Tonnen“, sagt Fritz Reusswig. Deshalb sei Politik wichtig: "Wir werden natürlich durch noch so viele private Maßnahmen nicht klimaneutral, wenn es keinen Kohleausstieg gibt und es mit der Mobilität so weitergeht. Aber umgekehrt ist es auch wichtig, dass die Leute nicht bei 19 Tonnen sitzen und sagen: Politik, jetzt mach mal."

Auf sieben Tonnen zu kommen hält er für möglich, ohne dass es brutal werde. "Und das wäre ja bundesweit schon mal eine ganze Menge."

Ohnehin beobachtet Reusswig bei seinen Haushalten: Wer gut einspart, will auch eine anspruchsvolle Klimapolitik.

Mechtild Lutze hat da einen klaren Wunsch: "Dass Politiker, und an erster Stelle wer auch immer Kanzlerin oder Kanzler ist, sagen: Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, so geht’s nicht mehr, wir müssen uns verändern, und ich fange an und mache das und das. Und dass Forderungen wie der Veggie Day nicht belächelt und in die Tonne getreten werden, sondern dass gesagt wird: Jawohl, nicht nur ein Tag, fünf Tage in der Woche. Erst einmal anzuerkennen und auszusprechen, dass die Lebensbedingungen, die wir hier aufrechterhalten, niemandem gut tun."

Ab einem gewissen Punkt sei politisches Handeln gefragt, findet auch Ulrich Kleinwechter, etwa um die Emissionen von Konsumgütern zu senken.

Möglichkeiten zum CO2-Sparen gebe es trotzdem jede Menge, gerade für Haushalte, die überdurchschnittlich viel davon erzeugen. "Ich denke, es ist die Verantwortung von uns allen, das zu machen, was möglich ist. Und man sollte auch bereit sein, dafür einen gewissen Aufwand zu betreiben."

Hin und wieder habe er sich bei dem Experiment gefragt: Mit welchem Recht tun andere das nicht? "Wenn die Nachbarn mit dem SUV durch die Gegend fahren, während man selber sich Gedanken um die Gurkenfolie macht, dann fühlt sich das schon ein bisschen seltsam an."

Auf positive Resonanz sei sie mit ihren Einsparbemühungen kaum gestoßen, berichtet Mechtild Lutze, Hitzesommer hin oder her. Wenn sie das Wort Klima in den Mund genommen habe, sei sie gleich auf eine Abwehrhaltung gestoßen und auf wenig Bereitschaft, sich mit der Frage auseinanderzusetzen: Was heißt das eigentlich für mich persönlich?

Früher habe sie vielleicht so etwas wie missioniert, auch wenn sie das nie wollte. "Das habe ich versucht mir abzugewöhnen. Ich hatte dann auch keinen Nerv mehr auf diese sich ewig im Kreis drehenden Diskussionen und habe mir gesagt: Ich mache es einfach. Und wenn ich darauf angesprochen werde, dann erzähle ich gerne."

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