Zwei Fahrradfahrer begegnen sich auf einem Bürgersteig, daneben parkende Autos auf der Straße
Fahrrad statt Auto, bio-regionaler Einkauf, Stromfresser raus: 100 Haushalte in Berlin haben ein Jahr lang versucht, klimaneutral zu leben. (Foto: Sascha Kohlmann/​Flickr)

Klimafreundlich leben in Deutschland – geht das? 100 Berliner Haushalte haben das zumindest für die Hauptstadt gerade ausprobiert. Sie haben an einem Experiment des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung teilgenommen. "Klimaneutral leben in Berlin" (Klib) heißt das Projekt.

Klimaneutral bedeutet, dass man nicht mehr Treibhausgase ausstößt, als die Natur verarbeiten kann. Jeder Mensch dürfte dafür nur etwa eine Tonne Kohlendioxid im Jahr verursachen, alles inbegriffen – essen, Strom verbrauchen, heizen, reisen. Zum Vergleich: Ein deutscher Durchschnittsbürger verursacht zurzeit etwa elf Tonnen.

Die Teilnehmer an dem sogenannten Reallabor haben ihren CO2-Ausstoß über ein Jahr akribisch in einem Online-Rechner dokumentiert. "Dabei führt man sich ganz deutlich vor Augen, was im eigenen Leben besonders klimaschädlich ist und was dagegen besonders gut hilft", erzählt Alexander Obst, einer der Teilnehmer.

Er hat sein Haus im vergangenen Jahr nach einer Energieberatung einer Klimakur unterzogen, alle ineffizienten Stromfresser rausgeschmissen. Die ganze Familie hat auch im Alltag umgesteuert: S-Bahn statt Auto, regional und bio statt beliebig.

Aber dann kam der Schüleraustausch des Sohnes. Einmal nach Neuseeland und wieder zurück, das sind zusammen ungefähr 13 Tonnen Kohlendioxid – und weg waren alle anderen Klimaerfolge in der Gesamtrechnung. "Fliegen verhagelt die Klimabilanz unwiederbringlich, das kriegt man nicht wieder ausgeglichen", sagt Obst.

"Am Ende hilft nur eine andere Politik"

Im Mittel haben die 100 Haushalte ihre Klimabilanz um zehn Prozent verbessert. Das Experiment zeigt: Wer sich anstrengt – den Stromanbieter wechselt, effiziente Elektrogeräte nutzt, Essen regional kauft und anderes möglichst wenig, öffentlichen Verkehr statt Auto nutzt – der kann deutlich klimafreundlicher leben als der deutsche Durchschnitt.

Es zeigt aber auch: Sich selbst Mühe zu geben hat Grenzen. Wie die öffentliche Infrastruktur betrieben wird, kann man schließlich nicht beeinflussen – nutzen muss man sie trotzdem.

"Auf jährlich 7,8 Tonnen CO2 zu reduzieren, das könnte für jeden Haushalt leicht möglich sein – und das wäre bundesweit schon mal eine ganze Menge", sagt Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut. "Selbst ambitionierte Haushalte können ihre Klima-Bilanz maximal halbieren, doch dann ist irgendwann Schluss", erläutert der Soziologe. "Ab einem bestimmten Punkt hilft nur eine andere Politik."

Dass der politische Rahmen noch nicht stimmt, macht es dem Einzelnen auch schwerer, klimafreundliche Entscheidungen zu treffen, wo sie ihm im Prinzip obliegen: Manchmal muss man Mehrkosten in Kauf nehmen, verzichten – oder die Ideale auch mal zähneknirschend links liegen lassen.

"Jetzt soll ich auch noch das Klima retten?"

"Es ist doch absurd, dass im Supermarkt die Bio-Äpfel aus Brandenburg oft teurer ist als Obst aus Neuseeland", meint Karen Beese, die mit ihrem Lebensgefährten und ihren drei Kindern an dem Reallabor teilgenommen hat. Damit mache man vielen Menschen das nachhaltige Leben zu schwer – oder auch schlicht zu teuer. Sie wünscht sich, dass die Politik eingreift, etwa durch einen CO2-Preis.

Sie sei, berichtet Beese, in Phasen durch das Jahr gegangen: "Am Anfang war ich euphorisch mitzumachen, dann setzte die Normalität ein, zwischendurch gab es auch Frustration: Ich hab doch schon genug Stress – und jetzt muss ich auch noch das Klima retten?"

Insgesamt ist sie aber froh, teilgenommen zu haben. Ihren CO2-Ausstoß konnte ihre Familie senken. Und die Camping-Urlaube in Deutschland, die das Fliegen überflüssig gemacht haben, seien sehr schön gewesen.

Ob der CO2-Rechner, mit dem die Teilnehmer ihre Emissionen verfolgt haben, demnächst auch für alle zugänglich und nutzbar sein wird, ist denn auch noch fraglich. Der Verwaltungsaufwand und die Kosten wären hoch. Und der Nutzen ungewiss, meint Michael Bilharz vom Umweltbundesamt schmunzelnd: "Wir wollen die Leute ja auch nicht zu CO2-Buchhaltern machen."

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