Er sieht aus wie ein Legostein in Holz, aber im XXL-Format. Und ähnlich wie mit Legosteinen kann man daraus Häuser und andere Gebäude in ganz verschiedenen Größen und Formen zusammenbauen.
Geht es nach seinen Erfindern, wird der "Triqbriq" das Bauwesen revolutionieren, das bisher vor allem auf Zement und Stahl basiert und dadurch einer der größten CO2-Emittenten ist. Ein Weg, um sich quasi aus der Klimakrise herauszubauen.
Besichtigen kann man die Keimzelle der Revolution in einer Industriehalle in Tübingen. Dort hat das Start‑up-Unternehmen Triqbriq in einer früheren Tischlerei seine Produktion aufgebaut. Industrieroboter, wie man sie aus der Montage in Autowerken kennt, fügen hier die neuartigen Bauelemente zusammen.
"Es geht inzwischen alles vollautomatisch", sagt Geschäftsführer Max Wörner. Die Roboter bekommen lange Holzriegel zugeführt, sägen sie aufs richtige Kurzformat, bohren Löcher in die Teile und fügen sie zu Quadern im Format 30 × 30 × 60 oder 25 × 25 × 50 Zentimeter zusammen.
Zusammengehalten werden die 25 sowie 17 Kilogramm schweren "Steine" mit Dübeln, ebenfalls aus Holz. Inzwischen gibt es zwei Produktionszellen. Alle 18 Sekunden läuft hier ein Bauelement "vom Band".
"Triqbriq" ist ein Kunstwort, das auf brick (Ziegelstein) anspielt. Das signalisiert: Es geht um die Neuerfindung der klassischen Stein-auf-Stein-Bauweise. Die neuartigen Bauelemente können wie herkömmliche Bausteine je nach Wunsch flexibel zu Außenmauern oder Zwischenwänden zusammengefügt werden.
Freilich braucht man dafür weder Mörtel noch Kleber, die Elemente verbinden sich dank Zapfen und ausgesparten Öffnungen, und sie werden auf der Baustelle mit weiteren, besonders starken Buchenholz-Dübeln fest miteinander verbunden.
Der Clou aber ist: Um die "Triqbriqs" herzustellen, braucht man kein hochwertiges, teures Holz, wie es sonst beim Holzbau Voraussetzung ist. Es reicht sogenanntes Schwach- und Schadholz, das bisher zumeist verbrannt oder bestenfalls noch zu Transportkisten oder in geschredderter Form zu Spanplatten verarbeitet wird.
Für Kalamitätsholz geeignet
Holzbau ist in aller Munde. Der Bund und die Länder fördern ihn, ebenso die EU, die die Initiative "Neues Europäisches Bauhaus" aufgelegt hat.
Ein Hauptgrund ist der Klimaschutz: Jeder Kubikmeter verbautes Holz bindet 900 Kilogramm Kohlendioxid, die die Bäume vorher beim Wachsen aus der Atmosphäre entnommen haben. Wird das Gas damit dauerhaft in den Gebäuden gespeichert, kann das den inzwischen durch den Menschen gefährlich erhöhten Treibhauseffekt wieder vermindern.
Angesichts des weltweiten Baubooms liegen darin enorme Potenziale. Doch der Holzbau müsste sich dazu noch viel stärker durchsetzen als bisher. Bei Einfamilienhäusern liegt der Anteil in Deutschland schon immerhin bei einem Fünftel, doch bei Mehrfamilienhäusern, die für viel mehr Wohnfläche stehen, sind es allenfalls zwei bis drei Prozent.
Hier setzt das Triqbriq-Konzept an, weil es die Rohstoffbasis vergrößert und zugleich den Nutzungsdruck auf die vorhandenen Wälder senkt. "Um Gebäude mit unserem System zu bauen, muss man keine tollen, groß gewachsenen Bäume fällen", erklärt Geschäftsführer Wörner, der den Besucher durch die Tübinger Produktionshalle führt.
Im hinteren Teil befindet sich das Holzlager. Es sind zumeist Kanthölzer mit elf mal elf Zentimetern Durchmesser, die von Sägewerken als Ausschuss vergleichsweise günstig abgegeben werden.
Das Holz weist größere Astlöcher auf, es kann blaue Verfärbungen haben, die durch Borkenkäfer-Befall der Bäume entstanden sind, zum Teil ist es auch nicht gradlinig geformt. Gerade sogenanntes Fichten-Kalamitätsholz, das für hochwertige Holzprodukte nicht taugt, gibt es derzeit en masse – als Folge des Waldsterbens, das vor allem seit dem extremen Trockenjahr 2018 grassiert.
Dem Triqbriq-System macht das nichts aus. Es wurde ursprünglich von dem Stuttgarter Architekten Werner Grosse entwickelt. Durch das Konstruktionsprinzip der Elemente mit den kurzen Holzstücken und dem patentierten dreiaxialen Dübel-Verbindungssystem ist es laut Wörner möglich, die Schadstellen auszusparen.
"Wir erhalten so ein enorm tragfähiges System", erläutert er. Es sei möglich, knapp 30 Tonnen auf dem laufenden Meter Triqbriq-Wand abzustellen. "Das ist stabiler als eine Holzständer-Wand, wie sie in vielen anderen Holzhäusern genutzt wird."
Serienfertigung soll Kosten senken
Zuspruch erhält das Tübinger Start‑up vom renommierten Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der den Holzbau generell als zentrales Element einer globalen Strategie zur Sanierung des Klimas ansieht. "Es ist ein vielversprechender und vor allem cleverer Ansatz, weil man versucht, aus der Not, nämlich zunehmender Anfall von Kalamitätsholz, eine Tugend zu machen, nämlich klimapositives und schadstofffreies Bauen", sagt Schellnhuber.
Den Handwerkern auf der Baustelle scheine das "Riesen-Lego" außerdem Spaß zu machen. Allerdings müsse sich noch zeigen, ob das Ganze auch wirtschaftlich konkurrenzfähig ist und ob es sich auch für den Geschossbau mit vier und mehr Stockwerken eignet.
Welches Holz eignet sich?
Als Basismaterial für die Triqbriq-Bausteine wird zurzeit vor allem Schwach- und Schadholz genutzt, das derzeit und in den nächsten Jahren wegen der angestiegenen Waldschäden massenhaft anfällt. Naturschützer kritisieren, dass dieses Holz möglichst im Wald verbleiben solle, da es vielen Tieren, Pflanzen und Pilzen einen Lebensraum biete und weitere ökologische Funktionen erfülle, etwa Wasserspeicherung.
Triqbriq verteidigt die Nutzung jedoch. Bei dem Unternehmen heißt es dazu, Totholz sei in der Tat sehr wichtig für das Ökosystem Wald und müsse dort in ausreichender Menge verbleiben. Allein 2021 seien jedoch 44 Millionen Festmeter Kalamitätsholz angefallen – mehr als die Hälfte des gesamten Holzeinschlags in dem Jahr.
Eine solche Menge Totholz im Wald sei auch aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll. Die Verwendung im Holzbau sei daher die beste Option. Die neuartigen Holzbausteine können aber auch aus Schadstoff-unbelastetem Altholz hergestellt werden, wenn es die nötige Stärke von elf mal elf Zentimetern hat.
Eine weitere Quelle soll allerdings Holz aus Plantagen von schnell wachsenden Bäumen sein, die speziell für diesen Zweck angelegt werden. Dazu soll sich besonders der aus China stammende Kiri- oder Blauglockenbaum eignen, dessen Stämme bereits nach etwa sieben Jahren erntereif sind. Triqbriq plant dazu eigene Kiri-Plantagen in Deutschland.
Teil des nachhaltigen Konzepts bei der neuen Bauweise ist es, dass die Bausteine bei einem zukünftigen Abriss von Gebäuden wieder ohne Qualitätsverlust zurückgewonnen werden sollen. Dazu müssten nur die verbindenden Holzdübel gekappt werden, heißt es. Fachleute halten so eine Nutzungsdauer von mehreren 100 Jahren für möglich, sogar von 1.000 Jahren ist die Rede.
"Im letzteren Fall wäre Triqbriq sogar ein Gamechanger", meint Schellnhuber, Physikprofessor und Ex-Präsident des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Laut dem Unternehmen ergab eine Statik-Untersuchung, dass zumindest fünf Geschosse möglich sind. An einer Studie für acht Etagen werde gearbeitet.
Über die Kosten des Bauens mit Triqbriq hält sich Wörner noch bedeckt. Ziel sei, das Holzelement als seriengefertigtes Standardprodukt anzubieten, das wie ein Ziegelstein massenhaft und dadurch preiswert hergestellt werden kann.
In der Tübinger Produktionshalle will das Start‑up im nächsten Jahr weitere sechs Produktionszellen aufstellen. Kostenpunkt: zwei Millionen Euro. Eine weitere Produktionsstätte in Nordrhein-Westfalen ist geplant.
Längerfristig sollen die Produktionszellen so verkleinert werden, dass sie jeweils in drei 40‑Fuß-Standardcontainer passen. "Dann können sie per Lkw überallhin transportiert werden, wo es Sägewerke gibt und zum Beispiel gerade viel Kalamitätsholz anfällt."
Erste Bauten stehen
Dass das Triqbriq-Konzept in der Praxis funktioniert, kann man bereits sehen. Das aktuelle Vorzeigeprojekt steht in Frankfurt am Main. Dort wurde im östlichen Stadtteil Bergen-Enkheim ein zweigeschossiges Einfamilienhaus mit dem neuen System errichtet.
Dem Rohbau (Foto ganz oben) sieht man das Lego-Prinzip an den 30 Zentimeter dicken Außenwänden noch an. "Doch wenn zusätzliche Dämmung aus Holzfaserplatten und der Verputz drauf sind, werden Sie keinen Unterschied zu herkömmlichen Gebäuden mehr feststellen", sagt Triqbriq-Mitarbeiter Lewin Fricke bei der Führung durch das Haus.
Der Bauherr Heiko Ammermann hatte ursprünglich ein herkömmliches Holzhaus bauen wollen, Umwelt-, Klima- und Gesundheitsaspekte spielten dabei eine Rolle. Doch dann fand er im Internet einen Hinweis auf das Triqbriq-System. "Es war zwar ein Wagnis, aber dann lief es sogar noch besser, als die Firma versprochen hatte", erzählt der Frankfurter Unternehmensberater, der mit seiner Familie in das Haus einziehen will.
Der Rohbau aus den angelieferten Holzquadern entstand im Turbo-Verfahren. Er war nicht, wie angekündigt, nach zwei Wochen fertig, sondern schon nach einer Woche. Klassisch mit Beton und Kalksandstein zu bauen, hätte schätzungsweise vier Wochen gedauert, sagt Ammermann.
Der von ihm beauftragte Bauunternehmer, der sonst Steinhäuser baut, habe erst von dem neuen System überzeugt werden müssen. "Er war zuerst skeptisch, dann aber begeistert. Man spart enorm Zeit ein, weil Trocknungszeiten wegfallen, die bei der Bauweise mit Stein und Mörtel nötig sind."
Über zu wenig Interesse an weiteren Projekten kann das Tübinger Start‑up nicht klagen, für das inzwischen rund 15 Menschen arbeiten. Das Berliner landeseigene Wohnungsunternehmen Berlinovo hat gerade eine Musterwohnung mit Triqbriqs gebaut, Deutschlands größter Wohnungsbaukonzern Vonovia plant ebenfalls ein Projekt, und ein Lebensmittel-Discounter will einen Testlauf mit einem Supermarkt in der neuen Holzbauweise starten.
Aktuell entsteht mit den Holzbausteinen des Start-ups eine neue Ferienhausanlage am Lago Maggiore in Italien. Und es gibt über 300 Anfragen von Bauherren, die damit bauen wollen. "Wir können uns über mangelnde Nachfrage nicht beschweren", sagt Triqbriq-Chef Wörner.