Waldnutzer und Naturschützer streiten auch über den Waldumbau zum Mischwald: Soll er natürlichen Prozessen überlassen bleiben oder auf dem Reißbrett entworfen werden? (Bild: László Maráz)

In Deutschland gibt es Flächen, auf denen kein einziger Baum steht, die aber als Wald gelten, zumindest laut dem Bundeswaldgesetz von 1975. Dazu zählen Waldwege, Holzlagerplätze, Lückenstellen, Blößen und vieles andere mehr. Für Susanne Winter summiert sich dieser baumlose Wald bundesweit auf Hunderttausende Hektar.

Die Uralt-Regel will die Waldexpertin der Naturschutzstiftung WWF abschaffen. Es komme in erster Linie auf das jeweilige Waldökosystem an, auf die Qualität des Waldes, nicht nur auf die Fläche, erläutert Winter am Mittwoch bei der Präsentation eines neuen Waldgesetzes. Den alternativen Entwurf haben insgesamt vier Umweltorganisationen in den letzten beiden Jahren erarbeitet.

Auch die Ampel-Koalition will das fast ein halbes Jahrhundert alte Waldgesetz novellieren. So steht es im Koalitionsvertrag. Denn die Zeiten haben sich gründlich geändert: Die Klima- und Biodiversitätskrise setzt dem Wald zu, zugleich soll er eigentlich noch mehr CO2 als bisher schon speichern und natürliche Lebensräume bieten.

Auch für die Umweltverbände hat sich die Rolle des Waldes völlig gewandelt und sie plädieren dafür, einen neuen Blick auf die Baumversammlungen zu werfen. "Es geht darum, den Wald in erster Linie als Ökosystem zu betrachten. Das muss im Vordergrund der waldpolitischen Debatte stehen", betont Florian Schöne vom Dachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) am Mittwoch.

Für Susanne Winter ist der Wald sogar eine der wichtigsten Antworten auf die Erderhitzung – und das weit mehr, als im Alltag zu bemerken ist. Auch die Bundesregierung hält den Wald zum Erreichen der Klimaziele für unerlässlich, wie im Koalitionsvertrag nachzulesen ist.

Senkenleistung des Waldes nimmt ab

Der Hintergrund: Laut Bundes-Klimaschutzgesetz soll die sogenannte Landnutzung bis 2030 mit 25 Millionen Tonnen jährlich zur CO2-Minderung in Deutschland beitragen. Den größten Teil davon sollen die hiesigen Wälder mit einer wachsenden Biomasse leisten, die den Kohlenstoff aus dem Klimagas dauerhaft speichert.

Tatsächlich aber verkehrt sich die Klimawirkung des Waldes gerade ins Gegenteil. In den letzten beiden Jahren habe die noch bestehende Senkenleistung des Waldes so abgenommen, dass er in gewisser Weise zu einer CO2-Quelle geworden sei, erläutert Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe am Mittwoch. Das sei überraschend gekommen, sozusagen über Nacht, meint Müller-Kraenner. Hier sei ein Umsteuern dringend notwendig.

Den Wald vor allem als Ökosystem zu sehen, zieht handfeste Veränderungen nach sich. So setzen sich die Umweltverbände für eine zeitliche Begrenzung des Holzeinschlags ein, solange der Wald dauerhaft übernutzt ist, seine Leistungsfähigkeit als CO2-Senke gefährdet ist oder ein überregional bedeutsames Aussterben von Arten droht.

Grundpflichten statt "guter fachlicher Praxis"

Zudem verabschieden sich die Verbände in ihrem Entwurf von dem seit Jahrzehnten im Waldgesetz festgeschriebenen Konzept der "guten fachlichen Praxis". Diese Praxis ist nach Ansicht vieler Beobachter für die heutigen Probleme des Waldes mitverantwortlich.

Selbst europäisch geschützte Natura-2000-Flächen sind in Deutschland vielfach geschädigt. Im norddeutschen Tiefland seien 55 Prozent dieser so geschützten Wälder in einem schlechten Erhaltungszustand, gibt Jörg-Andreas Krüger, Chef des Naturschutzbundes Nabu, am Mittwoch an. Im Süden und Osten liege der geschädigte Anteil bei 40 Prozent.

Statt der "guten fachlichen Praxis" sieht der Gesetzentwurf der Umweltleute Grundpflichten für die Waldbewirtschaftung vor. Damit sollen Kahlschläge begrenzt oder eine bestimmte Zahl sogenannter Habitatbäume pro Hektar vorgeschrieben werden.

Für eine weitgehende Herausnahme des Waldes aus der wirtschaftlichen Nutzung sprechen sich die Umweltverbände aber nicht aus. "Eine vollständige Nichtnutzung ist in keinster Weise das Ziel unseres Gesetzentwurfs", betont WWF-Expertin Susanne Winter auf Nachfrage.

Grundsätzlich sei aber anzuerkennen, dass jede Form von Holznutzung Stress für ein Waldökosystem bedeute. Also müsse geschaut werden, wie der Wald durch die Nutzung möglichst wenig Schaden nimmt, erläutert Winter das Herangehen. Die Expertin beziffert den ökologisch möglichen Nutzungsumfang auf etwa 50 Prozent des jährlichen Zuwachses an Waldbiomasse.

Großtechnische Holzverbrennung ist kein Klimaschutz

Klar ist für die Umweltschützer auch: Ein weitgehender Ersatz bisheriger Verbräuche von Beton, Stahl und anderen Stoffen durch Holz ist nicht möglich. Letztlich gehe es um eine Art Dematerialisierung, auch um den Ersatz einheimischen Holzes durch Importe zu verhindern, sagt Florian Schöne vom Naturschutzring.

Alle Umweltverbände seien sich zudem einig, dass das Verbrennen von Holz gerade im großtechnischen Bereich schon heute eine sehr schlechte Idee sei, so Schöne weiter. Holz zu verbrennen führe auch weit weg vom Ziel der Klimaneutralität – was die Bundesregierung aber derzeit noch anders sehe, bedauert der DNR-Geschäftsführer.

Die Verbände erwarten, dass die Ampel ihren Gesetzentwurf für ein neues Waldgesetz Anfang 2024 vorlegt. Die Regierung selbst will die Vorlage im ersten Quartal kommenden Jahres im Kabinett verabschieden, wie zu hören ist.

 

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