Bauschutt rieselt von einem Förderband auf einen großen Haufen.
Mit Kohlenstoff angereicherte Betonabfälle: Diese Anlage in Berlin-Marzahn entfernt CO2 aus der Atmosphäre. (Bild: Hanno Böck)

Es ist eine Ecke von Berlin, die vermutlich viele Einwohner der Hauptstadt noch nie gesehen haben. In einem unscheinbaren Industriegebiet im nordöstlichen Stadtteil Marzahn betreibt die Baustofffirma Heim einen Recyclingbetrieb für Bauabfälle. Aus den Materialien, die beim Abbruch von alten Gebäuden anfallen, entstehen hier Baustoffe, die erneut eingesetzt werden können.

Seit Kurzem kommt auf dem Gelände auch eine Technologie zum Einsatz, die den Bauschutt in ungewöhnlicher Weise nutzt. Die Schweizer Firma Neustark hat eine Technologie entwickelt, um mithilfe von Abbruchbeton CO2 aus der Atmosphäre zu holen.

Beton enthält Kalziumhydroxid, das mit Kohlendioxid reagiert, wenn man es damit in Kontakt bringt. Was dabei passiert, kehrt genau die chemische Reaktion um, die dafür sorgt, dass Zement extrem klimaschädlich ist.

Bei der Produktion von Klinker, dem Bindemittel in Zement, wird Kalkstein – chemisch Kalziumkarbonat – zu Kalziumoxid umgewandelt. Dabei entstehen gigantische Mengen an Kohlendioxid. Wenn Zement angemischt wird, reagiert das dabei hinzugegebene Wasser mit Kalziumoxid zu Kalziumhydroxid.

Kohlendioxid wird versteinert

Dieses Kalziumhydroxid ist im Beton enthalten. Wenn man es mit CO2 in Kontakt bringt, reagiert es wieder zum Ausgangsprodukt Kalziumkarbonat – und bindet dabei Kohlenstoff. Diese Reaktion findet in langsamer Form auch von selbst statt – allerdings nur an der Oberfläche, wo Beton mit der Luft in Kontakt ist, die geringe Mengen Kohlendioxid enthält.

Neustark beschleunigt diese Reaktion. Zermahlene Betonabfälle werden dabei mit hochkonzentriertem Kohlendioxid in Kontakt gebracht.

"Die Stärke an diesem Ansatz ist, dass es permanent ist", erklärt Valentin Gutknecht, einer der Gründer von Neustark, bei einer Besichtigung der Anlage in Berlin. "Das CO2 ist versteinert, wahrscheinlich für Jahrmillionen."

Das CO2, das Neustark nutzt, stammt aus Biomethananlagen. Biogas, das etwa aus landwirtschaftlichen Abfällen, aus Biomüll, oder – weit umstrittener und nicht besonders klimafreundlich – aus Mais durch Vergärung hergestellt wird, ist zunächst einmal eine Mischung aus Kohlendioxid und Methan.

Dieses Biogas kann man direkt verbrennen, hochwertigere Anwendungen sind allerdings möglich, wenn man das Methan abtrennt. Es kann so beispielsweise direkt ins Gasnetz eingespeist werden und Erdgas ersetzen.

Bei dieser Abtrennung von Biomethan entsteht Kohlendioxid – und zwar in sehr reiner Form. Es ist nicht mit Stickstoff oder anderen Gasen vermischt, daher lässt es sich gut weiternutzen. Trotzdem ist es heute noch oft so, dass dieses Kohlendioxid einfach in die Atmosphäre entlassen wird.

Die Neustark-Anlage in Berlin bezieht ihr Kohlendioxid zurzeit aus einer Biomethananlage bei Dresden. Da das CO2 aus Biomasse stammt, handelt es sich um Kohlenstoff, der von Pflanzen bei ihrem Wachstum aus der Luft aufgenommen wurde. Wenn dieser Kohlenstoff der Atmosphäre dauerhaft entzogen wird, kann man daher von negativen Emissionen sprechen.

Recyclingbeton wird in Deutschland kaum eingesetzt

Der auffälligste Teil der Neustark-Anlage ist ein großer CO2-Tank. Ein- bis zweimal pro Woche werden etwa 20 Tonnen verflüssigtes Kohlendioxid per Lkw in einem Container angeliefert. Wie Elmar Vatter von Neustark im Gespräch erläutert, ist die Verflüssigung dabei einer der energieaufwändigsten Schritte.

Bevor der eigentliche Prozess starten kann, wird das Kohlendioxid wieder in einen gasförmigen Zustand gebracht. In einem Metallbehälter wird das CO2 anschließend mit zerkleinertem Beton in Kontakt gebracht, der Prozess dauert einige Stunden.

Ein Fließband transportiert anschließend die so mit Kohlenstoff angereicherten Betonreste aus der Anlage. Sie sind bei dem Besuch trotz trockenem Wetters feucht – bei der chemischen Reaktion entsteht neben Kalziumkarbonat auch Wasser.

Die so bearbeiteten Betonreste können dann wieder als Baustoffe eingesetzt werden. Zumindest in Berlin landet ein Großteil davon im Straßenbau als Füllmaterial. Dabei gibt es in der Nutzung kaum einen Unterschied zum bisher unbehandelt verwendeten Material – es dient nur zusätzlich als Kohlenstoffspeicher.

Besser wäre es, die Betonabfälle als Beimischung für neuen Beton zu verwenden. Das hätte mit dem Verfahren von Neustark sogar einen zusätzlichen Vorteil: Die chemische Struktur des behandelten Materials sorgt dafür, dass man anschließend Beton mit etwas weniger Zementklinker herstellen könnte. Man würde also genau das Material einsparen, das so extrem klimaschädlich ist.

Doch solcher Recyclingbeton wird in Deutschland bisher kaum eingesetzt. In der Schweiz ist das anders. Das Land gilt durch entsprechende Anreize und Regulierungen als vorbildlich bei der Nutzung von Recyclingbeton.

Genehmigung dauert in Deutschland "drei- bis viermal länger"

Der eigentliche Prozess von Neustark benötigt keine Energie von außen, aber die Verflüssigung, der Transport und der Betrieb der Anlage benötigen natürlich Energie – und verursachen damit ebenfalls Emissionen.

Doch Valentin Gutknecht versichert, dass Neustark dabei eine Effizienz von 93 Prozent erreiche. Das heißt: Für jede Tonne Kohlendioxid, die der Prozess vermeidet, werden etwa 70 Kilogramm an Emissionen verursacht.

Das gilt allerdings nur für die Anlagen in der Schweiz, für die eine entsprechende Analyse durchgeführt wurde. In Deutschland sorgen die weiten Transportwege und vor allem klimaschädlicher Kohlestrom für eine schlechtere Bilanz. Für den Klimaschutz lohnt es sich offenbar trotzdem, denn die Effizienz liegt immer noch deutlich über 80 Prozent.

In der Schweiz betreibt Neustark bereits mehrere ähnliche Anlagen, die Installation in Berlin ist die erste in Deutschland. Die Firma möchte weitere Anlagen bauen, beklagt jedoch etwas, das man häufiger hört: Die deutsche Bürokratie mache den Bau von Klimaschutztechnologien nicht gerade einfach.

"Im Vergleich zur Schweiz dauert die Bewilligung drei- bis viermal länger hier", sagte Elmar Vatter von Neustark. Auf die Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz für eine Anlage in Westdeutschland warte man bereits seit knapp einem Jahr.

7.000 Tonnen CO2 pro Jahr unschädlich gemacht

Die Anlage in Berlin kann pro Jahr etwa 1.000 Tonnen Kohlendioxid unschädlich machen. Alle Anlagen von Neustark zusammen haben eine Kapazität von etwa 7.000 Tonnen.

Das ist wenig, wenn man es mit den gigantischen Emissionsmengen vergleicht, die zurzeit ausgestoßen werden. Allein Berlin emittiert 16 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Doch Neustark-Gründer Gutknecht weist darauf hin, dass man mit dieser Kapazität bereits einer der größeren Akteure im Bereich der Negativemissionstechnologien sei.

Zum Vergleich: Die ebenfalls aus der Schweiz stammende Firma Climeworks, die in Island CO2 aus der Luft holt und mit dem natürlichen Gestein dort reagieren lässt – chemisch übrigens ganz ähnlich wie im Verfahren von Neustark –, erreichte dort bisher mit der Anlage "Orca" 5.000 Tonnen pro Jahr.

Inzwischen hat Climeworks allerdings aufgerüstet: Vor Kurzem nahm die Firma eine deutlich größere Anlage mit einer Kapazität von 36.000 Tonnen pro Jahr in Betrieb.

Die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre ist das Geschäftsmodell von Firmen wie Neustark oder Climeworks. Firmen, die klimaneutral werden und damit anderweitig schwer oder gar nicht vermeidbare Emissionen ausgleichen möchten, können entsprechende Zertifikate kaufen.

 

Viele Firmen nutzten in der Vergangenheit Zertifikate, die eine Emissionsreduktion bei Klimaschutzprojekten belegen sollten. Das ist allerdings extrem umstritten: Die Anbieter solcher freiwilligen Ausgleichszertifikate sind in der Vergangenheit dafür in die Schlagzeilen geraten, dass sie Emissionsreduktionen anrechnen, die entweder nie stattgefunden haben – oder die es sowieso gegeben hätte. Die "Zusätzlichkeit" der Emissionsminderungen ist bei derartigen Zertifikaten selten gegeben.

Firmen wie Neustark hoffen darauf, dass sie vertrauenswürdigere Zertifikate anbieten und daher auch höhere Preise verlangen können. Anders als bei Emissionsvermeidungszertifikaten, deren Effekt sich schwer belegen lässt, verkauft Neustark Zertifikate zur CO2-Entfernung. Es ist kaum anzunehmen, dass jemand ohne Geschäftsmodell CO2 aus der Atmosphäre holt. Zudem ist es plausibel, dass Kohlendioxid, das in Gestein gebunden ist, auch dauerhaft dort bleibt.

Neustark sagt öffentlich nicht, was die Zertifikate der Firma kosten. Sie werden zurzeit nur an Firmenkunden verkauft, einer der größeren Abnehmer ist Microsoft. Die Seite CDR.fyi, ein Informationsportal zu Negativemissionstechnologien, listet für Mineralisierungsverfahren einen Preis von etwa 320 US-Dollar pro Tonne CO2 auf – rund 300 Euro.

Das ist viel teurer als übliche CO2-Ausgleichszertifikate, die in der Regel schon für um die fünf Euro zu haben sind. Gleichzeitig liegen die 300 Euro deutlich unter den Preisen von Climeworks: Eine Tonne CO2 direkt aus der Atmosphäre filtern zu lassen, kostet dort, zumindest für Privatpersonen, über 1.000 Euro.

Eine Industrie "in der Größe der heutigen Öl- und Gasindustrie"

Der freiwillige Markt für Negativemissionen ist im Moment eines der wenigen Geschäftsmodelle, das Firmen wie Neustark nutzen können. Langfristig, sagt Neustark-Gründer Gutknecht, sei eine große Industrie nötig, die CO2 wieder aus der Atmosphäre holt. "Das wird einen komplett neuen Wirtschaftszweig in der Größe der heutigen Öl- und Gasindustrie brauchen."

Die Mineralisierung von Bauabfällen wird das nicht allein leisten können. Gutknecht hält für 2050 zehn Milliarden Tonnen an jährlicher CO2-Entfernungskapazität für notwendig. Es ist eine hohe Schätzung, aber durchaus im Bereich dessen, was manche Klimaszenarien vorsehen.

Valentin Gutknecht hofft, dass etwa eine halbe Milliarde Tonnen davon durch die Mineralisierung von Baustoffen und anderen Abfällen geleistet werden können – "wenn wir es gut machen".

Bis zum Jahr 2026 will Neustark selbst Kapazitäten für die jährliche Entfernung von 100.000 Tonnen CO2 bereitstellen. Bis 2030 sollen es eine Million Tonnen sein.