Wand mit verschiedenen Recyclingfliesen in angenehmen Tönen, am Rand steht ein Blumentopf mit Lavendel.
Und sie sehen auch einfach sehr schön aus. (Foto: Shards)

"Fliesen aus Bauschutt" nennt das Kasseler Start‑up Shards sein Produkt.

"Wir haben den Namen ganz bewusst so gewählt", sagt Lea Schücking. Auch wenn es manche potenziellen Kunden abschrecken mag. Menschen, die sich nicht vorstellen können, Küche oder Bad mit einem Produkt auszustatten, das von einer Mülldeponie oder einem Recyclinghof stammt.

Doch Schücking, gelernte Tischlerin und Diplom-Designerin, und ihre inzwischen drei Mitstreiter:innen sehen genau darin ihre Mission: eine echte Kreislaufwirtschaft auch im Baubereich zu etablieren. Und zu beweisen, dass das auch ästhetisch kein Nachteil sein muss. Im Gegenteil.

Shards ist das englische Wort für Scherben. Die Fliesen werden aus zwei Rohstoffen hergestellt – Ziegelsteine aus dem Abbruch von Häusern und altes Fensterglas, das auf den Bauschutthöfen in Form von, eben, Scherben anfällt. Sonst gibt es keine Zusätze.

Das Start‑up aus Kassel leistet damit tatsächlich Pionierarbeit in der Baubranche. Es gibt zwar einige wenige Fliesenhersteller, die in Produktlinien bis zu 50 Prozent Recyclingmaterial einsetzen, aber dann nur Produktionsabfälle. "Fliesen, die ganz aus Bauschutt bestehen, hat vorher niemand entwickelt", sagt Schücking.

Anders als sonst müssen bei den Shards-Fliesen für die Herstellung keine Rohstoffe abgebaut werden. Und werden sie irgendwann einmal ersetzt, ist das auch kein Problem, zumindest kein ökologisches. "Sie können nach ihrem Rückbau erneut zu Fliesen verarbeitet werden", sagt die Gründerin.

Bauen ist der Rohstoffkiller 

Hintergrund der Shards-Idee: Der Baubereich ist Ressourcenkiller Nummer eins. In Deutschland stammen rund 60 Prozent der Abfälle aus dem Gebäudesektor, jährlich rund 55 Millionen Tonnen. Zwar werden knapp vier Fünftel davon recycelt, doch die Deponien quellen wegen der zunehmenden Masse über.

Technisch ist es möglich, viel mehr Bauschutt im "Kreislauf" zu führen, etwa Recyclingbeton statt frischen Beton einzusetzen. Doch das wird erst ansatzweise genutzt.

Für den Fliesensektor – Absatz in Deutschland über 120 Millionen Quadratmeter pro Jahr – mussten Schücking und ihre Co-Designerin Leya Bilgiç ein Verfahren erst entwickeln. Es dauerte zwei Jahre, bis die Ergebnisse gut genug waren. Bilgiç ist seit 2019 dabei.

Das Material, Ziegel und Glas, wird zerkleinert, vermischt und in einem Elektroofen zu neuwertigen Fliesen gebrannt. Die beiden Bestandteile verbinden sich dadurch fest.

Ohne Zusatz von Farbpigmenten entstehen Schattierungen von Creme über Grün und Blau bis zu Schwarz, in Abhängigkeit von der Ziegelart, dem Mischungsverhältnis und der Brenntemperatur. Auch die gewünschte Oberflächenstruktur, glatt oder rau, lässt sich auf diese Weise variieren.

Schücking und Co holen sich ihre "Sekundärrohstoffe" von Recyclinghöfen und Bauschuttdeponien aus dem Kasseler Umland. Radius: maximal 30 Kilometer. Gearbeitet wird bisher in einer kleinen Werkstatt an der Kunsthochschule Kassel.

In größeren Mengen verbaut sind die Fliesen in zwei Pilotprojekten, in einem privaten Wohnhaus im münsterländischen Sassenberg und im Neubau des Umweltinstituts Ifeu in Heidelberg. "Die Handwerker waren zufrieden", berichtet Schücking.

"Ressourcenschonendes Wirtschaften wird sich durchsetzen"

Das Start-up hat Preise gewonnen, darunter den Bundespreis Ecodesign, der vom Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt vergeben wird. Dank eines Gründungsstipendiums der Uni Kassel will Shards die Herstellung von größeren Formaten als bisher und die Serienproduktion vorbereiten. Mit einer neuen Werkstatt, einem größeren Brennofen.

Nun ist die kleine Firma für den Hessischen Gründerpreis nominiert. Längerfristig schwebt Schücking vor, die Herstellung auch "klimaneutral" aufzustellen, das heißt, die Brennöfen statt, wie in der Branche üblich, mit Erdgas komplett mit Ökostrom zu betreiben. Doch das ist noch Zukunftsmusik.

Schücking glaubt, mit Shards einen Nerv getroffen zu haben. Es gibt bereits viele Anfragen, nicht nur von Privatleuten, sondern auch von Architekt:innen, die zum Beispiel Gesundheits- und Wellness-Projekte damit ausstatten wollen. Die junge Designerin ist zuversichtlich: "Über kurz oder lang wird sich ein neues Wirtschaften durchsetzen, bei dem es nicht nur um Profit geht, sondern auch darum, keine Ressourcen mehr zu verschwenden."

Die Designerin, die dank des Einflusses ihrer Mutter bereits als Kind und Jugendliche ökobewegt war, ist sicher: Es gebe gar keine andere Wahl, als der Kreislaufwirtschaft, dem "zirkulären Ansatz" statt "ex und hopp", zum Durchbruch zu verhelfen. "Sonst zerstören wir die Lebensgrundlagen", sagt sie.

Bei einer Forschungsreise im Studium nach Indonesien 2013 hat sie das selbst erlebt, bei einem umstrittenen, später gestoppten Natursteinabbau in der Region Molo in Westtimor. Die Berge, wichtig als Wasserspeicher der Region, seien abrasiert worden, so wie Brotschnitten von einem Laib. "Und wir gehen in den Baumarkt. Kaufen die Sachen. Und wissen von nichts."

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