Klimareporter°: Herr Zattler, um die Klimaerwärmung zu stoppen, müssen alle Länder der Welt massiv investieren, aber in den Entwicklungsländern sind gerade die privaten Investitionen viel zu niedrig. Dorthin fließen nur 15 Prozent der globalen Energiewende-Investitionen. Woran liegt das?

Jürgen Zattler: Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Zum einen sind in diesen Ländern die Kapitalkosten zu hoch. Bei uns bekommt man einen Kredit für drei bis vier Prozent, aber in Entwicklungsländern liegen die Zinsen oft über zehn Prozent.

Und zum anderen stimmen oft die Rahmenbedingungen nicht, um private Investitionen aus dem In- und Ausland anzuziehen.

Zuerst zu den Kapitalkosten. Warum sind sie in ärmeren Ländern so hoch?

Ein wichtiger Aspekt ist, dass private Investoren die Risiken als sehr hoch einschätzen. Dies hat aber oft damit zu tun, dass sie die Marktsituation in ärmeren Ländern nicht kennen. Sie wissen vielleicht, wie es in China aussieht, aber nicht in kleinen afrikanischen Ländern.

Experten gehen deshalb davon aus, dass die realen Risiken in vielen ärmeren Ländern weniger hoch sind als gedacht.

Bild: CGD

Jürgen Zattler

ist Entwicklungs- und Makro­ökonom. Bis August 2023 war er Ministerial­direktor im Bundes­entwicklungs­ministerium. Zuvor vertrat er als Exekutiv­direktor Deutsch­land bei der Welt­bank­gruppe. Er ist jetzt assoziierter Forscher am Center for Global Develop­ment in Washington und beim German Institute of Develop­ment and Sustain­ability in Bonn.

Es handelt sich also um eine Art Marktversagen? Der Markt setzt den Preis für die Risiken zu hoch an?

Genau, Marktversagen aufgrund von Informationsdefiziten. Hinzu kommt, dass es in armen Ländern in vielen Bereichen keine Märkte im volkswirtschaftlichen Sinn gibt. Während man Wechselkursschwankungen zwischen dem Euro und dem Dollar sehr günstig absichern kann, ist das bei kleineren Währungen oft nur zu horrenden Kosten oder gar nicht möglich.

Und wie behebt man dieses Marktversagen?

Hier kommen die Entwicklungsbanken ins Spiel, etwa die Weltbank. Diese kann durch die Abfederung von Risiken, etwa dem Wechselkursrisiko, private Investitionen anregen.

Sie kann auch Garantien abgeben, etwa für den Fall, dass die Regierung wechselt und Verträge nicht eingehalten werden. Dadurch sinkt das Risiko für den Privatinvestor und folglich die Risikoprämie bei den Kapitalkosten. So kann eine ansonsten unrentable Investition rentabel werden.

Dann bekommt man durch den Einsatz von relativ geringen öffentlichen Mitteln im besten Fall ein Vielfaches an privaten Investitionen.

Nun zu den Rahmenbedingungen. Wie können wir, die Industriestaaten, dazu beitragen, dass die Länder diese Bedingungen verbessern?

Die Entwicklungspolitik und auch die Entwicklungsbanken sind immer noch sehr projektorientiert, das heißt, sie fördern typischerweise einzelne Projekte wie etwa einen Solarpark. Die Alternative dazu nennt sich policy-based lending, politikbasierte Kreditvergabe.

Internationale Kreditgeber können zum Beispiel den Kohleausstieg in einem Land unterstützen – also eine politische Strategie statt eines einzelnen Projekts fördern. Bisher gibt es solche Initiativen in Südafrika, Indonesien und Vietnam. So lassen sich strukturelle Änderungen erzielen, die dann auch private Investitionen anziehen.

Idealerweise kann man auch hier mit wenig öffentlichem Geld sehr viel privates Geld "hebeln". Dies ist etwa in Südafrika gelungen, weil wir vor zwei Jahren der Regierung dabei halfen, die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit private Investoren und Haushalte in erneuerbare Energien investieren können.

Auch Kenia hat mehr als genug Sonne und Wind für eine saubere Elektrifizierung. Viele Entwicklungsländer gelten aber in der Finanzwelt als unsicher. (Bild: Sebastian Nöthlichs/​Shutterstock)

Die multilateralen Entwicklungsbanken, die MDBs, sind also entscheidend, um die Energiewende-Investitionen in Entwicklungsländern massiv zu steigern – aber haben diese Banken auch genügend Kapital?

Die MDBs können mehr aus ihrem Kapital herausholen. Die Weltbank etwa hat bereits ihre internen Vorgaben angepasst: Kredite müssen jetzt nur noch mit 18 statt mit 20 Prozent Eigenkapital unterlegt werden. Das bringt Volumen. Die Weltbank kann dadurch Milliarden an zusätzlichen Krediten vergeben.

Außerdem arbeiten die MDBs jetzt enger mit den Ratingagenturen zusammen. Diese sind einerseits sehr konservativ und andererseits haben sie sich in der Vergangenheit nicht wirklich für Entwicklungsbanken interessiert. In den letzten 50 Jahren ist noch nie eine Entwicklungsbank pleitegegangen, ganz im Gegensatz zu kommerziellen Banken. Wenn die Ratingagenturen das mitberücksichtigen, können die MDBs mehr Geld verleihen, ohne ihre AAA-Bewertung zu gefährden.

Und schließlich können die MDBs Kredite weiterverkaufen, statt sie bis zur Fälligkeit in den eigenen Büchern zu halten. Dadurch kann zum einen privates Kapital mobilisiert werden, wenn die Kredite an institutionelle Anleger wie etwa Versicherungen verkauft werden. Und zum anderen können die MDBs mit dem frei gewordenen Geld gleich wieder neue Kredite vergeben.

Heißt das, die MDBs haben genug Kapital?

(Lacht) Nein, das heißt es nicht. Die MDBs brauchen auch mehr Kapital. Der Kuchen muss größer werden. Die Aktionäre dieser Banken, also die Staaten der Welt, müssen zusätzliches Kapital für zusätzliche Aufgaben wie den Klimaschutz bereitstellen.

Wenn dieses Geld dann aber durch die MDBs gehebelt wird, bekommen die Staaten viel Klimaschutz für relativ wenig Geld.

 

Grundsätzlich lässt sich der Mangel an Energiewende-Investitionen in Entwicklungsländern also beheben?

Im Prinzip ja. Weltweit ist mehr als genug privates Kapital dafür vorhanden. Mit den richtigen Rahmenbedingungen und einem attraktiven Risiko-Rendite-Verhältnis kann man dieses Geld durchaus mobilisieren.

Wir sehen aber in Deutschland, wie schwierig es ist, verlässliche Rahmenbedingungen für grüne Investitionen zu schaffen. Erforderlich ist hierfür eine aktive Industriepolitik mit klaren langfristigen Weichenstellungen und eine enge Zusammenarbeit zwischen staatlichen Akteuren und der Privatwirtschaft.