Flüssigerdgas-Tanker mit vier weißen Behältern im dunklen Meer, genau von oben aufgenommen.
LNG-Tanker sollen bald auch in Wilhelmshaven anlegen können. (Foto: Wladimir Serebrjanski/​Shutterstock)

In dieser Woche soll es in Wilhelmshaven losgehen mit dem Bau des ersten eigenen Flüssigerdgas-Terminals für Deutschland. Am Anfang steht der Bau eines Anlegers für das dort geplante schwimmende LNG-Terminal, das 2023 in Betrieb gehen soll.

Gegen den vorzeitigen Beginn der Arbeiten hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) heute Widerspruch eingelegt, konkret gegen den Bescheid des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz zur Errichtung des Terminals.

Die Genehmigung zum vorgezogenen Baustart sei ergangen, ohne Unterlagen offenzulegen und Umweltverbände zu beteiligen, kritisiert die Umwelthilfe.

Da für den Bau Stahlrohrpfähle in den Meeresgrund gerammt werden müssten, entstünden hohe Schallemissionen, die die Schweinswale in der Jade-Mündung und im Nationalpark Wattenmeer gefährdeten, begründen die Umweltschützer ihren Widerspruch. Zudem sei am Bauplatz ein geschütztes Unterwasser-Biotop nachgewiesen, das durch die Arbeiten teilweise zerstört werde.

Der Bau neuer LNG-Terminals an den Küsten Europas wird derzeit vorangetrieben. Die Bundesregierung hat für zunächst vier schwimmende Flüssigerdgas-Terminals fast drei Milliarden Euro im Haushalt eingestellt. Die Konzerne Uniper und RWE sollen die Anlagen zur LNG-Anlandung und -Regasifizierung betreiben. Insgesamt sollen bis zu sieben Projekte vorgesehen sein, bis zu drei davon sollen in Wilhelmshaven realisiert werden.

Die DUH fordert einen sofortigen Baustopp nicht nur aus Umweltgründen, sie bemängelt auch den fehlenden Bedarfsnachweis für das LNG-Terminal. Die Umweltschützer fragen sich, ob die Terminals wirklich nötig sind, wenn die schon vorhandenen Möglichkeiten zur Energieeinsparung und zum Bezug von Erdgas über Drittländer berücksichtigt werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe dazu bisher keine Zahlen und Daten vorgelegt.

Erste unabhängige Untersuchungen legen für den DUH-Energieexperten Constantin Zerger nahe, dass die Terminals nicht gebraucht werden, wenn Deutschland alle Einsparpotenziale nutzt. "Die Behauptung, die Terminals lägen im öffentlichen Interesse, hält einer Überprüfung damit nicht stand", schlussfolgert Zerger.

Keine Energieunabhängigkeit durch LNG-Projekte

Auch laut einer heute veröffentlichten Studie des französischen Beratungsunternehmens Artelys sind die Terminals für die Versorgungssicherheit in Europa nicht notwendig – und zudem sehr kostspielig. Dagegen würde die vollständige Umsetzung der im EU-Klimaschutzpaket "Fit for 55" vorgeschlagenen Maßnahmen die EU-Staaten in die Lage versetzen, bis 2025 weitgehend aus dem russischen Gas auszusteigen, heißt es in der Studie.

Vorgesehen sind in dem EU-Paket ein stärkerer Ausbau der erneuerbaren Energien, Energieeffizienzmaßnahmen und eine sukzessive Umstellung der Heizungen unter anderem auf Wärmepumpen. Der CO2-Ausstoß soll damit bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Das würde laut Artelys die Gasnachfrage so weit senken, dass das Gas aus Russland nicht mehr gebraucht wird und auch nicht durch anderes ersetzt werden muss.

Probleme mit der Versorgungssicherheit sind nach der Analyse nur in vier nordöstlichen EU-Ländern zu lösen – in Finnland, Estland, Lettland und Litauen. Zudem würde das europäische Fernleitungs-Erdgasnetz durch die Umstellung der Lieferrichtung sehr hoch ausgelastet – zum Beispiel zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland zu über 95 Prozent. Von den dort vorhandenen LNG-Terminals müsste Gas herantransportiert werden.

Artelys-Mitarbeiter Anthony Vautrin sagte, die Pläne für neue LNG-Terminals seien unnötig, da die nötigen Kapazitäten im europäischen Erdgassystem bereits vorhanden sein. "Unsere Analyse zeigt, dass kein einziges der seit 2020 vorgeschlagenen Projekte – einschließlich aller Projekte, die seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine entstanden sind – einen Mehrwert für den Ausstieg aus dem russischen Gas bis 2025 bietet."

Artelys ist ein unabhängiges Beratungs- und Softwareunternehmen zu Energiefragen mit Sitz in Paris. Finanziert wurde der Bericht von der European Climate Foundation.

"Was Katar an uns liefert, fehlt woanders"

Umweltschützer sehen sich durch die Studie in ihrer Kritik an den LNG-Plänen bestärkt. Tara Connolly von der britischen Nichtregierungsorganisation Global Witness kommentierte: "Europa sollte seine Abhängigkeit von russischem Gas beenden, und dieser Bericht zeigt, dass dies viel einfacher und schneller geht, als viele europäische Politiker behaupten." Statt weiter auf Infrastruktur für fossile Brennstoffe zu setzen, müsse der Umstieg auf Ökoenergien beschleunigt werden.

Auch der deutsche Energieexperte Hans-Josef Fell warnt vor der LNG-Strategie. Mit dem Ausbau der Terminals in Europa werde "billigend in Kauf genommen, dass die Nutzung von LNG – ähnlich wie von russischer Energie – politische Verwerfungen mit erheblichen geopolitischen Auswirkungen in vielen anderen Weltregionen hervorruft", schrieb Fell jetzt in seinem Blog.

Er verweist auf knappe Kapazitäten im globalen Erdgasmarkt. Exporteure wie Katar könnten nur dann nach Europa liefern, wenn sie dafür bei ihren anderen Kunden kürzen. Viele Länder, die weniger zahlungskräftig als die EU sind, würden dann vom Erdgas abgehängt. "Aufstände, Krisen, Kriege drohen nun genau jenen Ländern", warnte Fell.

Als aktuelles Beispiel für die sich verschärfenden Konflikte verweist der Experte auf Pakistan. Dessen Regierung habe vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof in London bereits Klage gegen die Konzerne Eni (Italien) und Gunvor (Singapur) erhoben, die Verträge gebrochen und erhebliche Mengen LNG nicht nach Pakistan geliefert, sondern vermutlich ins zahlungskräftigere Europa umgeleitet hätten. Dies habe eine verheerende Energiekrise in Pakistan ausgelöst. Die Preise seien massiv gestiegen und es gebe erhebliche Stromausfälle.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar:

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