Wer im polnischen Świnoujście (Swinemünde) mit der Fähre von der westlichen zur östlichen Seite der Oder übersetzt und dann mit dem Rad zum historischen Fort Gerhard fährt, umkurvt auf dem Weg ein riesiges Gasterminal.
Seit Ende 2015 wird dort das per Tanker angelieferte Flüssigerdgas (liquefied natural gas, LNG) in normales Erdgas zurückverwandelt. Der fossile Energieträger kommt von der Arabischen Halbinsel und seit einiger Zeit auch aus den USA.
Bis 2023 soll das polnische Terminal noch um einen dritten Tank auf die Kapazität von jährlich 7,5 Milliarden Kubikmetern erweitert werden – ein Siebtel dessen, was die möglicherweise noch fertig werdende neue Ostseepipeline Nord Stream 2 wenige Kilometer weiter westlich anlanden soll.
Zu den wichtigen Versicherern großer europäischer LNG-Terminals wie dem in Świnoujście oder denen in Zeebrugge (Belgien) und Dunkerque (Frankreich) gehören neben Axa und Generali auch deutsche Versicherungskonzerne wie Allianz, Talanx und Munich Re.
Welche Rolle die Versicherer bei Bau und Betrieb der Gas-Infrastruktur spielen, zeigt eine heute veröffentlichte Untersuchung der Umweltorganisation Urgewald, mitherausgegeben von der globalen Kampagne "Insure Our Future".
Zwar gesteht die Studie den Versicherern zu, in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in ihrer Klimapolitik gemacht zu haben – so schließen 26 große Gesellschaften keine Geschäfte mehr mit Kohleprojekten ab –, für die Umweltschützer hat aber jetzt der Abschied vom Gas zu folgen.
"Nehmen Allianz, Talanx, Munich Re und andere ihre Klimapflichten ernst, müssen sie sich auch von LNG und anderen fossilen Geschäften verabschieden", forderte Regine Richter, Energie-Campaignerin bei Urgewald. Investitionen in Gas- und Ölinfrastruktur abzusichern sei mit dem 1,5-Grad-Ziel von Paris unvereinbar.
Zur Klimaschädlichkeit von Flüssigerdgas, das zu 75 bis 99 Prozent aus dem besonders starken Treibhausgas Methan besteht, legt die Studie neue Berechnungen vor. So habe das LNG-Terminal Świnoujście in den bisherigen fünf Jahren seines Betriebs umgerechnet mehr als 55 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen.
Darin sind Leckagen ebenso berücksichtigt wie die Emissionen, die durchs Verbrennen des Gases entstehen. Bei voller Auslastung würden laut Studie die LNG-Terminals in Zeebrugge und Dunkerque in den nächsten 25 Jahren sogar mehr als zwei Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen.
Zu viele schlecht ausgelastete Terminals
Die Studie von Urgewald bescheinigt europäischen LNG-Anlagen auch eine schlechte Rentabilität. Insgesamt sind danach in Europa heute 28 große und sechs kleinere Terminals in Betrieb, allerdings nur mit einem Bruchteil ihrer Kapazität.
Dennoch seien sechs weitere bereits im Bau und noch mehr in Planung. Ein einziges Terminal zu errichten kostet in der Regel mehrere hundert Millionen Euro. Gleichzeitig muss aber in Europa die Erdgasnachfrage bis 2050 in Richtung null sinken, argumentiert Urgewald.
Gasbranche ignoriert Methanproblem
Die Erdgasbranche in Europa hat wenig Kenntnis über den Methanausstoß, der in ihren Lieferketten entsteht, und wendet vorhandene Technologien zur Emissionsminderung selten an. Das ergab eine jetzt veröffentlichte Marktabfrage der Umweltorganisationen Urgewald und Deutsche Umwelthilfe (DUH) unter 19 großen europäischen Erdgasunternehmen.
Nur sieben Unternehmen reagierten demnach auf die Fragen: EDP, EnBW, Enel, Fortum, Oersted, Uniper und Vattenfall. "Wirksame Strategien oder konkrete Maßnahmen zur Reduktion von Methan-Emissionen konnten wir nur vereinzelt entdecken", sagte DUH-Energieexperte Constantin Zerger. Zu einer Antwort nicht bereit oder in der Lage waren unter anderem Engie, OMV, RWE, Trianel und Wintershall DEA. Die Befragung soll nun jährlich wiederholt werden.
Den Marktanteil in Europa für US-Importe von LNG, zumeist aus Fracking-Gas, beziffert die Studie für 2019 auf 16 Prozent. Der Marktanteil von russischem LNG habe bei 20 Prozent gelegen.
Im Fokus der Kritik stehen meist die Umweltfolgen des Frackings, die Studie weist aber darauf hin, dass auch russisches LNG eine verheerende Umweltbilanz habe.
Auf der nordwestsibirischen Halbinsel Jamal, wo das russische Unternehmen Nowatek Gas für den Export nach Europa fördert und verflüssigt, gingen indigenen Gemeinden dadurch Land und Lebensgrundlagen verloren.
Ohne die Absicherung durch große Versicherungen könnten nach Ansicht der Umweltschützer die meisten neuen Pipelines und LNG-Terminals nicht gebaut werden. Selbst vorhandene Anlagen müssten ihren Betrieb einstellen.
Ziel der Kampagne "Insure Our Future" ist denn auch, dass die Versicherer ihr Engagement in neuen Öl- und Gasprojekten beenden und sich verpflichten, bestehende Öl- und Gasversicherungsverträge im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel von Paris auslaufen zu lassen.
Darüber hinaus sollen die Versicherer Beteiligungen in Öl- und Gasunternehmen veräußern – einschließlich der für Dritte verwalteten Vermögen –, die mit dem Paris-Ziel nicht vereinbar sind.