Monteure laden Rohre für die Nord-Stream-Pipeline ab.
Klimaneutralität 2050 bedeutet auch Erdgasausstieg – die EU-Kommission hat es damit aber nicht so eilig. (Foto: Nord Stream)

Durch Pipelines, in denen heute noch fossiles Erdgas fließt, sollen künftig grüne Gase strömen. Dass das bald möglich sein wird, versichert jedenfalls die Gasindustrie. Europas Erdgasnetze seien bereit für Wasserstoff.

Ohne größere Eingriffe könnten die Gasverteilnetze zu einer Versorgungsinfrastruktur für klimaneutralen Wasserstoff umgerüstet werden, heißt es bei der Branche. Nur müsse die EU dafür eine Reihe regulatorischer Hindernisse aus dem Weg räumen.

Ein entsprechendes Regelwerk ist nun auf dem Weg. Den Entwurf will die Europäische Kommission heute vorlegen.

Die Hoffnungen der Gasindustrie sind groß, dass dieses "Gas-Paket" einen Rahmen für die weitere Nutzung der bestehenden Gasinfrastruktur in Europa schaffen wird. Groß sind auch die Erwartungen von Umweltorganisationen an das Paket. Es soll den Übergang zu 100 Prozent erneuerbaren Energien erleichtern und den Ausstieg aus fossilen Gasen einläuten.

In der vergangenen Woche schickten 19 europäische Umweltorganisation einen offenen Brief an die EU-Kommission. Darin fordern sie, dass die EU die Weichen für eine grundlegende Reform des Gasmarktes stellt und die Abhängigkeit Europas vom fossilen Gas beendet.

Die Befürchtung der Umweltverbände: Das Paket treibt zwar die Markteinführung sogenannter dekarbonisierter Gase wie Biomethan oder Wasserstoff voran, verhindert aber den Ausstieg aus fossilem Erdgas – so ließen es bekannt gewordene Vorentwürfe erkennen. 

Bisher fehlen in der EU Regularien für Wasserstoff. Die Gasmarktrichtinie soll deshalb den entsprechenden Rechtsrahmen setzen. Die von der Kommission vorgeschlagene Definition für CO2-armen Wasserstoff bleibt allerdings vage und öffnet damit den Markt für Wasserstoff und andere Gase, die eben nicht zu 100 Prozent erneuerbar hergestellt wurden. 

Denn Wasserstoff, der nicht aus erneuerbaren Energien erzeugt wurde, soll nach den EU-Plänen künftig als CO2-arm gelten, wenn er eine Treibhausgasminderung von 70 Prozent erreicht.

Auch Ziele zur Dekarbonisierung des Gassektors und selbst ein Hinweis auf bestehende Klimaziele der EU fehlen. Während der Gasspeicherverband Ines den Vorstoß der Kommission begrüßt, droht die Reform der Richtlinie aus Sicht der Umweltverbände ihr Ziel zu verpassen – die EU auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft zu unterstützen.

Wasserstoff soll im Erdgasnetz beigemischt werden

Den Gas-Einsatz will die EU-Kommission offenbar insgesamt nicht verringern. Stattdessen sollen "CO2-ärmere" Gase durch geringere Entgelte an Ein- und Ausspeisepunkten sowie an Interkonnektoren im Gasnetz bessergestellt werden. So werde die Abhängigkeit der EU von Gas auf lange Zeit zementiert, warnt etwa die Deutsche Umwelthilfe (DUH).

Dabei drohten Lock-in-Effekte beim Erdgas und Fehlsteuerungen beim Aufbau des Wasserstoffmarkts. "Es wird versäumt, eine separate und eher dezentrale Infrastruktur für rein grünen Wasserstoff aufzubauen, um zum Beispiel die Stahlindustrie klimafreundlicher zu machen", sagt Sascha Müller-Kraenner von der DUH. 

Die Kommission will auch die Beimischung von Wasserstoff im Gasnetz ermöglichen. Dies mindert allerdings die Qualität des Wasserstoffs und macht ihn teilweise für die Industrie unbrauchbar. Fachleute empfehlen den Einsatz des eher teuren grünen Wasserstoffs vor allem für energieintensive Industrien wie Stahlherstellung und Schwerindustrie sowie Flug- und Schiffsverkehr. Mit der Beimischung ist dagegen der Einsatz im Wärmesektor vorbestimmt.

"An einigen Stellen liest sich der Entwurf der Gasmarktrichtlinie wie ein frühes Weihnachtsgeschenk an Teile der Gasindustrie, zum Beispiel die fünfprozentige Beimischungsquote für Wasserstoff zu Gas", sagt Nina Katzemich von der Organisation Lobbycontrol. Einen teuren und raren Energieträger wie Wasserstoff einfach in das fossile Erdgas zu mischen, werde von den meisten Energieexpert:innen ebenso abgelehnt wie der Einsatz von Wasserstoff zum Heizen von Gebäuden. 

Beides seien zentrale Forderungen gerade der deutschen Gas-Verteilnetzbetreiber. "Ihnen würde in der Zukunft ihr Geschäftsmodell verloren gehen, wenn Gas nicht länger durch ihre Leitungen bis zu den Verbraucher:innen fließt", sagt Katzemich.

Warnung vor teuren Fehlentscheidungen

Wenn die EU ihre Klimaziele erreichen will, müsste sie den Einsatz von Gasen – auch von CO2-ärmeren – eigentlich herunterfahren und die entsprechenden Infrastrukturen langfristig stilllegen. Denn grüner Wasserstoff, der ausschließlich mit erneuerbaren Energien hergestellt wird, wird in naher Zukunft nicht in großen Mengen zur Verfügung stehen. Die Wasserstoff-Herstellung ist energieintensiv, teuer und Erzeugungskapazitäten fehlen.

Doch geht es nach den aktuellen Plänen, werden noch etliche Jahre Gase durch die Netze strömen, die nicht besonders grün sind. "Die Kommission plant, Wasserstoff zur Beheizung von Gebäuden zu verschwenden, obwohl es hier kostengünstigere Alternativen wie Wärmepumpen gibt", sagt Müller-Kraenner von der DUH.

Zudem will die Kommission den Gasnetzbetreibern die Quersubventionerung von Infrastruktur-Investitionen erlauben und damit den Verbraucher:innen Kosten für Investitionen in Wasserstoffnetze auferlegen. Die Gasnetzbetreiber sollen die Planung der Wasserstoffnetze übernehmen.

"Es wird der Bock zum Gärtner gemacht, wenn die Gaskonzerne selbst über den Ausbau der Gasinfrastruktur entscheiden dürfen", sagt der Umweltpolitiker Michael Bloss von den Grünen. Die Vorschläge der EU-Kommission verlängerten unnötig das fossile Zeitalter.

Bestenfalls würden Anreize für Fehlinvestitionen gesetzt, warnt Bloss. Die Infrastruktur in Europa müsse konsequent auf Klimaneutralität ausgerichtet werden.

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