Nordseeschnäpel schwimmen im Schwarm - Zeichnung aus einem Buch.
Nordseeschnäpel: Tafel in einem Buch über die heimische Fischfauna von 1913. (Zeichnung: Heinrich Harder, Quelle: Biodiversity Heritage Library)

Noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zog der Nordseeschnäpel den Rhein, die Elbe, die Ems und die Weser zum Laichen herauf. Doch Überfischung, schlechte Wasserqualität und Flussbegradigungen setzten dem Wanderfisch, der nur im Wattenmeer vorkam, zu. Seit den 1940er Jahren gilt der Nordseeschnäpel als ausgestorben.

Später wurden große Hoffnungen auf die Schnäpel im dänischen Flüsschen Vidå gesetzt: Dort könnte eine Population aus der Nordsee erhalten geblieben sein. Ein Zuchtprogramm sorgte dafür, dass die Fische in Rhein und Treene wieder ausgesetzt werden konnten.

Doch es gibt auch Zweifel, ob diese Fische wirklich Nordseeschnäpel sind – manche Forscher:innen vermuten, dass es sich um den Ostseeschnäpel handeln könnte.

Der Nordseeschnäpel ist mit seinem Schicksal nicht allein. Vögel wie die Wüstengrasmücke und der Waldrapp sind wahrscheinlich in Europa ausgestorben und stehen exemplarisch für eine katastrophale Entwicklung: Europas Biodiversität schwindet in besorgniserregendem Tempo, denn viele Biotope sind schwer beeinträchtigt oder ganz zerstört. 81 Prozent der Lebensräume in der EU sind in einem schlechten Zustand, bilanziert die Europäische Umweltagentur EEA in einem Bericht.

Intensive Landwirtschaft nimmt vielen Arten den Raum – artenreiches Grünland wie Wiesen und Weiden, aber auch Hecken und Feldraine müssen immer häufiger für Ackerland weichen. Auch nicht nachhaltige Forstwirtschaft, Zersiedlung, invasive Arten und der Klimawandel tragen laut dem EEA-Bericht dazu bei, dass die Biodiversität abnimmt und immer mehr Pflanzen- und Tierarten gefährdet oder gar vom Aussterben bedroht sind.

EU soll neues globales 30-Prozent-Ziel aufgreifen

Um das Artensterben aufzuhalten, will die EU mehr Flächen renaturieren – also einen möglichst natürlichen Zustand wiederherstellen. Einfach ist das nicht – die Renaturierung von geschädigten Ökosystemen ist aufwendig und kostet viel Geld. Tausende Hektar Moor müssen wiedervernässt werden, begradigte Flüsse wieder mehr Raum bekommen, verdichtete und degradierte Böden sollen aufbereitet und Wälder mit verschiedenen Arten durchmischt werden.

Mitte Januar hat sich der Umweltausschuss des EU-Parlaments mit dem Bericht des sozialdemokratischen Abgeordneten César Luena zum geplanten Renaturierungsgesetz befasst. Der spanische EU-Parlamentarier will den Vorschlag der EU-Kommission nachschärfen. Das angestrebte Ziel, 20 Prozent der Ökosysteme zu renaturieren, soll nach dem Willen von Luena auf 30 Prozent angehoben werden.

 

Auch Primär- und Urwälder müssten strenger geschützt werden. Beim Weltnaturgipfel in Montreal habe die EU dem neuen UN-Abkommen zugestimmt, mit dem 30 Prozent der Erdoberfläche unter Schutz gestellt werden sollen, sagte Luena in der Ausschusssitzung. Was auf internationaler Ebene vereinbart wurde, müsse sich auch in den Vorgaben der EU wiederfinden.

Besonders wertvolle Ökosysteme an Land und im Meer sollen durch Wiederherstellungsmaßnahmen vollständig in einen "guten Zustand" versetzt werden, fordert der Abgeordnete – also zu 100 statt nur zu 90 Prozent, wie es die EU-Kommission vorschlägt. Auch der Verlust städtischer Grünflächen müsse gebremst werden. Während die Kommission vorschlägt, dass alle Städte bis 2050 auf mindestens zehn Prozent Baumbestand kommen sollen, will Luena 15 Prozent ansetzen.

Im vergangenen Sommer hatte die EU-Kommission ihren Vorschlag für das Renaturierungsgesetz vorgelegt. Es wäre weltweit das erste Gesetz zur Wiederherstellung zerstörter Lebensräume. "Es gibt die Vogelschutzrichtlinie und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, aber dies ist das erste Mal, dass die EU die Natur als Gesamtheit in den Blick nimmt", betonte Luena.

Naturschutzverbände und Grüne fordern wirksame Regeln

Umweltorganisationen wie WWF und Birdlife begrüßen Luenas Vorstoß in einem gemeinsamen Positionspapier. Der Vorschlag sei eine große Chance, die Natur nach Europa zurückzubringen. Es müsse aber noch gewährleistet werden, dass jeder EU-Mitgliedsstaat einen fairen Beitrag zum geplanten 30-Prozent-Ziel erbringe.

Für den Fall, dass Staaten unzureichende Wiederherstellungspläne vorlegen, brauche die EU-Kommission eine Befugnis, diese zurückzuweisen. Außerdem sollten die EU-Staaten verpflichtet werden, 15 Prozent ihrer Flüsse bis 2030 in frei fließende Flüsse zurückzuverwandeln.

Luftbild: Ein Altarm der Havel wird wieder an den Hauptarm angeschlossen.
Bis 2025 soll die Renaturierung der Unteren Havel – ein Projekt des Naturschutzbundes – noch andauern. Fast 40 Millionen Euro kostet die naturnahe Umgestaltung wie das Wiederanbinden von Altarmen. (Foto: IFA/​NABU)

Auch an den Vorgaben zur Renaturierung von Mooren üben Naturschutzorganisationen Kritik. Die Vorgaben würden dazu führen, dass nur ein Teil der Moore wiedervernässt wird – und zwar ausschließlich entwässerte Moore auf Landwirtschaftsflächen.

Alle entwässerten Torfgebiete sollten wiedervernässt werden, fordert dagegen die Organisation Wetlands International. Die Grünen-Abgeordnete Jutta Paulus sieht das ähnlich. "Ein Großteil der Moorflächen in Europa liegt in bewaldeten Gebieten. Deswegen müssen wir diese Flächen auch mit in den Blick nehmen", forderte sie in der Ausschusssitzung.

Die Vorgaben zur Renaturierung von Mooren und Feuchtgebieten müssten gestärkt werden, damit diese Ökosysteme wieder als CO2-Speicher und Schutz gegen Klimawandelfolgen dienen können, so Paulus weiter. Auch bei der Vernetzung von Ökosystemen brauche es genauere Kriterien, um bedrohten Pflanzen- und Tierarten nicht nur isolierte Lebensräume zu bieten, sondern auch langfristige Grundlagen für ihre Erhaltung zu schaffen.

Bauernverband will weiter Pestizide in Schutzgebieten verwenden

Die Abstimmung über den Gesetzesvorschlag ist für Juni geplant. Ob sich César Luena mit seinem Bericht im EU-Parlament durchsetzen kann, ist offen. Aus der christdemokratischen EVP-Fraktion, der größten im EU-Parlament, kommt Kritik. "Ich muss ganz klar sagen, dass der Vorschlag der Kommission von der EVP im Plenum nicht unterstützt werden wird", sagte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese.

Das Verbot von Pflanzenschutzmitteln in geschützten Gebieten sei ein No-Go – als Grund führte Liese Ernährungssicherheit an. Außerdem würde ein solches Verbot die Arbeit von Bauern erheblich erschweren, so der Christdemokrat. Auch der Deutsche Bauernverband stört sich daran. Das Stilllegen von Flächen oder Verbote von Pflanzenschutzmitteln – wie etwa Insektiziden oder Herbiziden – seien keine verantwortbaren Lösungen.

Beim Ratstreffen der EU-Umweltminister:innen im vergangenen Dezember hatten Polen und Ungarn den Kommissionsvorschlag kritisiert. Dagegen sprachen sich Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Dänemark, Slowenien, Estland und Luxemburg für eine zügige Verabschiedung des Gesetzes aus. Die deutsche und die luxemburgische Umweltministerin forderten, die Ziele im Gesetzentwurf der Kommission anzuheben.

Derzeit hat die Europäische Union 18 Prozent ihrer Landfläche und knapp zehn Prozent der Meeresfläche unter Schutz gestellt. Die Wiederherstellung von Ökosystemen wie Wäldern oder Mooren bindet Kohlenstoff aus atmosphärischem CO2 und hilft so, die Klimaziele zu erreichen. Außerdem soll durch die Ausweitung der geschützten Flächen das Artensterben verlangsamt werden.

Anzeige