Der Streit über Atomkraft und Erdgas in der EU-Taxonomie geht in eine neue Runde. Damit ist wieder offen, ob die beiden umstrittenen Energieträger eine Art Gütesiegel als klimafreundliche Technologien erhalten und Investoren damit Anspruch auf milliardenschwere Förderung haben.
Ihren Taxonomie-Vorschlag, der Atom und Gas als nachhaltig labelt, hatte die EU-Kommission Mitte März dem EU-Parlament übermittelt. Diesen Vorschlag hatte ein fraktionsübergreifendes Bündnis – von christdemokratisch bis links – Mitte Mai in einem Entschließungsantrag abgelehnt.
Diese Mehrheit hielt in den letzten Tagen offenbar verschiedenen Einflussnahmen der Kommission und der EU-Staaten stand. Am heutigen Dienstag haben die Ausschüsse für Umwelt und Wirtschaft den Entschließungsantrag jeweils mit Mehrheit angenommen und damit der Taxonomie-Vorschlag der EU-Kommission zurückgewiesen.
Eine "Allianz für Nachhaltigkeit" im EU-Parlament habe heute klargestellt, dass Erdgas und Atomkraft nicht nachhaltig sind, kommentierte kurz nach der Entscheidung der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss. Europas Finanzbranche könne erst einmal aufatmen, weil ihr Ökosiegel "nicht verwaschen" werde.
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bewertet die Ablehnung der Taxonomie als Etappensieg gegen das Greenwashing umweltschädlicher Technologien. "Die Ausschussmitglieder haben erkannt, dass die EU-Taxonomie nicht zu einem Feigenblatt für Atomkraft und fossiles Gas verkommen darf", sagte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.
Für besonders verantwortungslos hält Müller-Kraenner die geplante Öffnung der Taxonomie für Erdgas und Atomkraft angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. "Das Ganze lässt sich nur durch den Druck Deutschlands und Frankreichs erklären, die die Interessen der Erdgas- und Atomlobby durchsetzen wollten", sagte er. Immerhin habe sich die neue Bundesregierung mittlerweile von dem Kuhhandel mit Frankreich distanziert.
Olaf Bandt, Chef des Umweltverbandes BUND, forderte alle EU-Abgeordneten auf, genau zu prüfen, ob sie dem "rein politisch motivierten" Vorschlag der EU-Kommission nachgeben. Stattdessen solle das Parlament die Weichen für einen klimagerechten Umbau des europäischen Energiesystems stellen.
Dagegen zeigt für Ingbert Liebing vom Verband kommunaler Unternehmen (VKU) die heutige Abstimmung, dass die Parlamentarier die Bedeutung von Erdgas als "Brücke" zu den Klimazielen "missverstanden" hätten. Weil es noch keine klimaneutralen Alternativen gebe, müssten jetzt "neue erdgasbetriebene, aber so schnell wie möglich auf Wasserstoff umrüstbare Kraftwerke" gebaut werden, betonte der VKU-Geschäftsführer.
Michael Bloss blickt jetzt optimistisch auf die für Juli angesetzte Plenarabstimmung über die Taxonomie. Der Grünen-Abgeordnete hofft, dass das EU-Parlament dem Greenwashing-Spuk ein Ende bereiten wird. "Alles andere wäre peinlich und eine Katastrophe für Europas Finanzbranche."