Lange blieb Portugal vor einem Rechtsruck verschont. Das ist spätestens mit der Parlamentswahl am 10. März vorbei. Mit rund 18 Prozent ist die rechtspopulistische bis ‑extreme Partei Chega ("Es reicht") drittstärkste Kraft geworden.

Der ehemalige Sportkommentator und jetzige Chef der fünf Jahre jungen Partei, André Ventura, hat damit das etablierte Zwei-Parteien-System des kleinen Landes am Atlantik gesprengt. Chega besetzte im Wahlkampf klassische rechte Themen.

 

Ihre Mitglieder wollen Migration und Flucht aus islamischen Ländern beschränken und drakonische Haftstrafen einführen, sie vertreten antifeministische Standpunkte und stehen der Europäischen Union kritisch gegenüber.

Die Partei gilt als Sammelbecken vieler rechter Kleingruppen. Die sind sich zwar nicht in allem einig – so gibt es unterschiedliche Haltungen zu dem portugiesischen Diktator António Salazar –, aber pragmatisch genug, um sich die Chance des Bedeutungsgewinns nicht entgehen zu lassen.

Ventura, der dem gemäßigten Teil der Partei zugeordnet wird, fiel in der Vergangenheit immer wieder durch rassistische und frauenfeindliche Forderungen auf. So forderte er 2020, die in Guinea-Bissau geborene Politikerin und Abgeordnete Joacine Moreira in ihr Herkunftsland zurückzuschicken. Im selben Jahr sprach er sich für die Entfernung der Eierstöcke von Frauen aus, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden.

Auch was die Klimapolitik betrifft, hebt sich Chega nicht wesentlich von anderen Parteien des rechten Spektrums ab. Klimaschutz komme in dem gesamten Wahlprogramm im Grunde nicht vor, erklärt Luísa Schmidt, Soziologin an der Universität Lissabon.

Chega sei im Grunde eine "Klimawandelleugner-Partei", so Schmidt. Bei einer Regierungsbeteiligung der Rechtsradikalen drohe "ein gefährlicher klimapolitischer Rückschlag".

Eine Beteiligung von Venturas Partei an der nächsten Regierung zeichnet sich allerdings bisher nicht ab. Tatsächlich macht das Wahlergebnis die Regierungsbildung generell denkbar schwierig.

Koalition zwischen Rechten und Konservativen unwahrscheinlich

Für den regierenden Partido Socialista (PS) waren die Wahlen eine deutliche Schlappe. Von den 41 Prozent, die die sozialdemokratische Partei bei den vergangenen Parlamentswahlen 2022 holten, blieben nur noch knapp 29 Prozent übrig. Fast einen Prozentpunkt mehr erreichte das konservative Parteienbündnis Aliança Democrática (AD).

Blick auf ein Viertel von Lissabon mit vielen Mehrfamilienhäusern, auf einigen wenigen Häusern sind Solaranlagen.
Nicht Klimaschutz und Klimaanpassung, sondern kaum noch bezahlbare Mieten waren ein Thema bei den Wahlen in Portugal. (Bild: Cavan Images/​Shutterstock)

Noch in der Wahlnacht kündigte PS-Spitzenkandidat Nuno Santos den Gang in die Opposition an und schloss damit eine große Koalition aus. AD‑Spitzenkandidat Luís Montenegro hatte bereits mehrfach eine Koalition mit Chega ausgeschlossen und erneuerte seine Absage am Wahlabend.

Aus seiner Partei PSD gibt es dazu zwar auch andere Stimmen, und auf Regionalebene ist es bereits zu Koalitionen der beiden Parteien gekommen, aber die meisten Expert:innen gehen dennoch vorerst von einer Minderheitsregierung unter Montenegro aus. Die Entscheidung obliegt dem Staatspräsidenten Marcelo Rebelo de Sousa. Er ernennt den Ministerpräsidenten.

Aufgrund des knappen Wahlergebnisses halten viele Beobachter:innen eine Übergangsregierung mit Neuwahlen in sechs Monaten für am realistischsten. Doch es dürfte noch ein paar Wochen dauern, bis darüber Gewissheit herrscht. Die Stimmen der vielen Portugies:innen, die im Ausland leben, sind noch nicht einmal fertig ausgezählt.

Portugal hatte sich in den vergangenen Jahren zu einem sozialdemokratischen und auch klimapolitischen Vorzeigeland entwickelt. Acht Jahre lang regierten die Sozialdemokrat:innen, seit zwei Jahren mit absoluter Mehrheit. Statt auf Sparpolitik setzte die Partei auf Sozialpolitik.

Sie erhöhte den Mindestlohn, machte Lohn- und Pensionskürzungen rückgängig und konnte gleichzeitig die Staatsverschuldung senken und Wirtschaftswachstum oberhalb des EU-Durchschnitts erzielen.

Korruptionsvorwürfe um Lithium- und Wasserstoffprojekte

Mehr als 55 Prozent der portugiesischen Stromerzeugung stammen aus erneuerbaren Energiequellen. Bis 2026 soll der Anteil auf 80 Prozent steigen. Ein Ziel, das sich Deutschland erst für 2030 gesetzt hat.

Im aktuellen "Climate Change Performance Index" rangiert Portugal auf Platz 13. Damit verleihen die Expert:innen der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch und des Thinktanks New Climate Institute weltweit nur neun Ländern eine bessere Klimaschutz-Gesamtbewertung als Portugal. Da kein Land gut genug abschneidet, um dem Pariser Klimaabkommen gerecht zu werden, sind die ersten drei Plätze des Rankings leer.

Superwahljahr 2024

In dieser Serie setzt sich Klimareporter° mit den klimapolitischen Implikationen der anstehenden Wahlen auseinander. Welche Tendenzen lassen sich erkennen, welche Rolle spielt das Klima und welche Konsequenzen lassen sich daraus ziehen? Und letztendlich die immer mitschwingende Frage: Sind unsere etablierten Politsysteme fähig, mit der Klimakrise umzugehen?

Die Expert:innen kritisieren die fehlende Verkehrswende in Portugal und dass das Land bis 2030 an fossilen Subventionen festhalten will. Positiv heben sie hervor, dass unter Ministerpräsident António Costa (PS) die Energiegewinnung aus Kohle beendet wurde.

Costa ist vergangenen November von seinem Amt zurückgetreten. Grund waren Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe von Konzessionen zum Lithiumabbau und zur Produktion von grünem Wasserstoff. Die Ermittlungen gegen Costa wurden mittlerweile eingestellt, da sie auf einer fehlerhaften Abschrift eines abgehörten Telefonats beruhten. Wegen des Rücktritts wurden die Wahlen von 2026 auf den 10. März 2024 vorverlegt.

Nahe dem kleinen portugiesischen Dorf Covas do Barroso sollen die größten Lithiumvorkommen Europas liegen. Dort soll deshalb eine große Lithiummine entstehen, um genug Lithium für 500.000 Autobatterien abzubauen. Die Arbeiten an einem ersten Tagebau haben trotz Klagen und Protesten der Dorfgemeinschaft bereits begonnen.

Gemeinsam mit Spanien, Frankreich und Deutschland plant Portugal außerdem das Wasserstoff-Pipeline-Projekt "H2 Med". Damit soll eine durchgängige Wasserstoff-Importstruktur von der Iberischen Halbinsel nach Mitteleuropa entstehen. Über H2 Med sollen nach offiziellen Angaben zwei Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr geliefert werden, was etwa zehn Prozent des gesamten europäischen Bedarfs ausmacht.

Es ging um Wohnen und Gesundheit, nicht um Klimaschutz

Welche Auswirkungen die Parlamentswahlen und die eventuellen Neuwahlen auf diese Projekte und die Klimapolitik im Allgemeinen haben werden, lässt sich schwer vorhersagen. Weder der Klimawandel noch die Energiewende hätten in dem Wahlkampf eine Rolle gespielt, analysiert Soziologin Luísa Schmidt. Eines der größten Probleme Portugals sei damit in den Wahlkampagnen totgeschwiegen worden.

Stattdessen sei es um niedrige Löhne, die Wohnungskrise und den schlechten Zustand des Gesundheitssystems gegangen. Viele dieser sozialen Themen hatten die Sozialdemokraten gerade in den letzten Jahren vernachlässigt.

Der enorme Anstieg der Mietpreise führte immer wieder zu großen Protesten. Im Sommer letzten Jahres war Lissabon die teuerste Stadt der EU. Mittlerweile sind die Mietpreise zwar wieder etwas gefallen, aber nach wie vor viel zu hoch für das allgemeine Lohnniveau.

Laut der Online-Plattform Housing Anywhere lag die Durchschnittsmiete in Lissabon im vergangenen Jahr über dem Niveau von Berlin. Bei einem Durchschnittslohn von 1.300 Euro und einem Mindestlohn von gerade mal 4,85 Euro pro Stunde in Portugal ist der Unmut der Bevölkerung keine Überraschung.

Diese soziale Unsicherheit vieler Menschen sowie die anhaltenden Korruptionsvorwürfe gegen Politiker:innen beider Volksparteien wusste Chega auszunutzen. Eine bedeutende rechte Partei hat sich damit auch in Portugal eingenistet – wie in vielen europäischen Staaten schon Jahre zuvor.

In Frankreich ist mit dem Front National (heute Rassemblement National) bereits in den 1970ern eine rechtsradikale Partei auf der Bildfläche erschienen. In Italien etablierte sich die Lega Nord (heute Lega) als rechte Partei Anfang der 90er und auch in Spanien und Deutschland erzielen die beiden 2013 gegründeten rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien, Vox und AfD, mittlerweile zweistellige Ergebnisse.

Rechte Parteien befinden sich in ganz Europa im Höhenflug. Sollte sich das in den EU‑Parlamentswahlen im Juni widerspiegeln, wäre das eine schlechte Nachricht – auch für die europäische Klimapolitik.

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