Am LNG-Terminal im belgischen Zeebrugge kommt nach wie vor russisches Flüssigerdgas an. (Bild: Claudine Van Massenhove/​Shutterstock)

Dieser Tage jährt sich der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zum zweiten Mal. Am 24. Februar 2022 startete die groß angelegte russische Invasion, wenige Tage, nachdem Russland die Unabhängigkeit der "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk anerkannt hatte.

Seit über einem Jahr fließt kein russisches Gas mehr über Pipelines nach Deutschland. Unabhängig von russischen Gas-Importen sind einem Briefing der Umweltorganisation Urgewald zufolge aber weder die EU noch Deutschland.

In Belgien und den Niederlanden kommt nach wie vor russisches Flüssigerdgas (LNG) an. 2023 sind die russischen LNG-Importe nach Belgien sogar um 41 Prozent gestiegen, wie der belgische Umweltverband Bond Beter Leefmilieu mitteilte.

In den beiden Ländern wird das Flüssigerdgas wieder in Gasform umgewandelt und über Pipelines auch nach Deutschland geliefert. Insgesamt stammten 2023 etwa 26 Prozent der deutschen Pipeline-Importe aus den Niederlanden und 22 Prozent aus Belgien.

Die belgische Umwelt-NGO schätzt den Anteil des russischen LNG an den Gaslieferungen von Belgien nach Deutschland für 2022 auf sechs bis elf Prozent. Vergangenes Jahr dürfte der Anteil noch einmal deutlich gestiegen sein.

"Damit wir Putins Kriegskasse nicht immer weiter mit Geld füllen, muss die Bundesregierung Russlands Gaslieferwege nach Deutschland endlich konsequent versperren", forderte Moritz Leiner, Energie-Campaigner bei Urgewald. Deutschland müsse sich dafür einsetzen, dass russisches Gas nicht mehr in die EU eingeführt und dort über innereuropäische Pipelines weiterexportiert wird.

Der Anteil des über heimische Terminals eingeführten LNG an den gesamten deutschen Gas-Importen ist vergangenes Jahr laut Urgewald sprunghaft auf sieben Prozent gestiegen. Hauptlieferant waren mit knapp 80 Prozent die USA, mit großem Abstand gefolgt von Angola (neun Prozent). Je vier Prozent kamen aus Trinidad und Tobago sowie aus Norwegen.

Es bestand nie die Gefahr einer Gasknappheit

Urgewald hat in dem Briefing offizielle Daten der Bundesnetzagentur ausgewertet. Diese lassen allerdings keine Rückschlüsse auf die Herkunft des importieren Flüssigerdgases zu. Deshalb wertete die Organisation zusätzlich Schiffsdaten des Analyseunternehmens Kpler aus.

Mit dem Bedrohungsszenario einer möglichen Gasmangellage als Folge des Ukrainekrieges rechtfertigt die Bundesregierung seit 2022 den Ausbau der Flüssigerdgas-Infrastruktur. Mithilfe des LNG-Beschleunigungsgesetzes werden etwa reguläre Umweltprüfungen für neue Projekte ausgesetzt.

Doch eine Gasmangellage trat zu keinem Zeitpunkt ein. Für den jetzigen Winter bestand laut einer Analyse der Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin "zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Gasknappheit".

Gegenwärtig sind die Gasspeicher zu etwa 75 Prozent gefüllt. Es sei zu erwarten, heißt es in der Analyse, dass die Speicher vor dem nächsten Winter komplett gefüllt sein werden. Zudem ging in den letzten Jahren der deutsche Gasverbrauch deutlich zurück. Der Trend spricht laut den Autor:innen "auch langfristig für einen strukturellen Nachfragerückgang".

Zudem seien die bestehenden LNG-Importkapazitäten in Deutschland nur zu etwa 50 Prozent ausgelastet worden. Die Bundesregierung solle deshalb vom Bau weiterer LNG-Terminals absehen und stattdessen auf Energieeffizienz und proaktives Gassparen setzen.

Den Wegfall eines Großteils der russischen Gasimporte konnte die EU über neue Lieferverträge unter anderem mit den USA, Aserbaidschan und Katar kompensieren. Dies dürfe allerdings keine dauerhafte Lösung sein, mahnt Urgewald.

Armenischer Botschafter warnt vor Angriffskrieg

Moritz Leiner: "Jeder Gaslieferant schickt uns eine schwere Klimalast, außerdem eine schwere Umwelt- oder Menschenrechtshypothek. Die Antwort darauf muss lauten: europäischer Gasausstieg bis 2035 und ein massiver Ausbau der Erneuerbaren."

Erdgas besteht größtenteils aus Methan. Über eine Dauer von 100 Jahren ist dieses Treibhausgas rund 28-mal so klimaschädlich wie CO2. Über einen Zeitraum von 20 Jahren ist Methan sogar 84-mal so klimaschädlich.

Methan absorbiert langwellige Strahlung effizienter als CO2 und in einem energiereicheren Wellenlängenspektrum. Die Klimawirkung ist deshalb stärker als die von CO2, nimmt allerdings schneller ab. Methan hat eine relativ kurze durchschnittliche Lebensdauer in der Atmosphäre von etwa zwölf Jahren, bevor es sich über verschiedene Abbauprozesse in Wasser und CO2 umwandelt. CO2 wird hingegen über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren abgebaut.

Bei der Förderung und Lieferung von Erdgas entweicht ein beträchtlicher Teil in die Atmosphäre. Der gesamte Energiesektor ist laut der Internationalen Energieagentur für 40 Prozent der menschengemachten Methanemissionen verantwortlich. Erst kürzlich zeigte ein Bericht des britischen Senders BBC, dass in Kasachstan über Monate insgesamt weit über 100.000 Tonnen Gas durch ein Pipeline-Leck in die Atmosphäre getreten waren.

 

Außerdem sind bei genauerem Hinsehen auch einige der neuen europäischen Gas-Partnerländer nicht gerade lupenreine Demokratien. Aserbaidschan, seit über 20 Jahren von Präsident Ilham Alijew diktatorisch regiert, hat letztes Jahr die armenisch bewohnte Region Bergkarabach militärisch unter seine Kontrolle gebracht.

Der Regierung in Baku werden ethnische Säuberungen in dem Gebiet vorgeworfen. Präsident Alijew äußert zudem öffentlich Besitzansprüche an armenischem Staatsgebiet. Der armenische Botschafter in Deutschland warnt vor einem Angriffskrieg gegen sein Land.

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