
Die ukrainische NGO "Razom We Stand" (Wir stehen zusammen) hat die Europäische Union aufgefordert, die Lieferung von russischem Flüssigerdgas in die EU komplett zu unterbinden. Sie dringt auf einen "Stopp der Finanzierung von Putins Kriegskasse", während in Brüssel Verhandlungen über ein neues Sanktionspaket gegen Russland laufen.
Beamte der 27 EU-Länder diskutieren seit Mitte Mai über ein 14. Sanktionspaket, in dem es auch um die LNG-Lieferungen geht. Der Import soll nach Plänen der EU-Kommission zwar nicht generell verboten werden, aber es soll ausgeschlossen werden, dass die importierenden Staaten das russische LNG ihrerseits wieder an andere EU-Länder exportieren.
Diese Regelung träfe vor allem Frankreich, Spanien und Belgien, die Hauptumschlagsplätze für das russische LNG sind. Sie liefern das wieder vom flüssigen in den gasförmigen Zustand umgewandelte Erdgas per Pipeline an Länder wie Deutschland und Italien.
Die Sanktionsgespräche hatten am vorigen Freitag abgeschlossen werden sollen, um eine Einigung vor der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz am letzten Wochenende zu erzielen. Sie wurden jedoch vertagt, nach Informationen aus Verhandlungskreisen auch wegen Bedenken Deutschlands zu anderen Teilen des Pakets. Die EU-Beamten treffen sich am heutigen Mittwoch erneut.
Die ukrainische NGO hält einen kompletten Lieferstopp für dringend angezeigt, da Russland zuletzt sogar zum größten LNG-Lieferanten der EU und anderer europäischer Staaten aufgestiegen ist. Russisches LNG machte laut einem Bericht der Financial Times im Mai 15 Prozent der Gesamt-Gaslieferungen an die EU sowie die Schweiz, Großbritannien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien aus, die USA lieferten nur noch 14 Prozent. Weiterer wichtiger Lieferant ist Katar.
Fachleute überrascht
In der Fachwelt zeigte man sich überrascht über den hohen Marktanteil von LNG aus Russland. Es sei erstaunlich, dass er "nach all den Anstrengungen, die unternommen wurden, um die Energieversorgung zu entkoppeln und von Risiken zu befreien, immer weiter ansteigt", sagte der Experte Tom Marzec-Manser von der Londoner Beratungsfirma ICIS der Financial Times.
Marzec-Manser erwartet allerdings, dass die USA mittelfristig wieder Hauptlieferant werden, da Russland ab Sommer nach seiner Prognose vermehrt LNG nach Asien verschiffen und damit die Lieferungen nach Europa reduzieren dürfte. Gleichzeitig steige die zuletzt gesunkene LNG-Produktion in den USA wieder an.
Razom We Stand hatte unlängst zum wiederholten Mal die Bundesrepublik aufgefordert, die Abhängigkeit von russischer Energie auf null zu senken. Obwohl es dabei Fortschritte gebe, stamme ein erheblicher Teil der Einnahmen des Kremls immer noch von hier. So habe Deutschland zwischen Mai 2023 und Mai 2024 Produkte aus russischem Rohöl im Wert von schätzungsweise 182 Millionen Euro bezogen.
"Um Putins Kriegskasse wirklich zu beeinflussen, muss Deutschland ein vollständiges Verbot von russischem LNG unterstützen", fordert die NGO. Russisches LNG gelange weiterhin aus Belgien nach Deutschland, wobei die Einfuhren über den Hafen von Zeebrugge 2023 gegenüber dem Vorjahr um 41 Prozent auf vier Milliarden Kubikmeter gestiegen seien.
Die ukrainische NGO macht sich zudem dafür stark, die Ukraine in den europäischen Energiemarkt zu beschleunigen und gerade die Investitionen in erneuerbare Energien in dem Land schnell zu erhöhen. Thema war das jüngst auch auf der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Berlin.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bat dort unter anderem um Hilfe bei der Dezentralisierung des Energiesystems des Landes mit Generatoren sowie Solar- und Windkraftanlagen. Bisher hängt die Energieversorgung des Landes noch stark von Kohle und Atomkraft ab.