Die vergangenen zwölf Monate bis zum 31. Oktober dieses Jahres waren die heißesten aufeinanderfolgenden Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das ergab eine Analyse von Climate Central, einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftler:innen und Kommunikator:innen, die Fakten über den Klimawandel und seine Auswirkungen auf das Leben der Menschen erforscht und darüber berichtet.
Die Temperaturen waren demnach im Durchschnitt mehr als 1,3 Grad Celsius höher als vor der Industrialisierung.
"Dieser Zwölf-Monats-Rekord entspricht genau dem, was wir von einem globalen Klima erwarten, das durch Kohlenstoffverschmutzung angeheizt wird", sagte Andrew Pershing, Wissenschaftler bei Climate Central.
Insgesamt nahm die Erwärmung über die letzten Jahre immer schneller zu. In der Analyse von Climate Central heißt es: "Es gibt einen stark ansteigenden Trend bei den globalen Durchschnittstemperaturen. Dieser Trend scheint nicht gleichmäßig zu sein, vielmehr zeigt die Trendlinie eine Aufwärtskurve, was bestätigt, dass sich die Erwärmung beschleunigt. Der jüngste und rekordverdächtige Zwölf-Monats-Zeitraum entspricht in hohem Maße diesem Trend."
Die Forscher:innen gehen deshalb davon aus, dass 2022/2023 zwar jetzt als heißestes Jahr gilt, in Zukunft aber als ein kühles angesehen werden wird, wenn der CO2-Ausstoß nicht schnell gestoppt werden sollte.
Friederike Otto von Climate Central betonte bei der Vorstellung der Analyse: "Wenn wir aufhören, fossile Brennstoffe zu verbrennen, wird auch der Temperaturanstieg aufhören." Entsprechende Erwartungen haben die Expert:innen von Climate Central an die diesjährige Weltklimakonferenz COP 28 im Dezember in Dubai.
Otto ist Physikerin und Klimatologin und beschäftigt sich vor allem mit Extremwetterereignissen wie Hitzewellen und Dürren. Derzeit arbeitet sie am Grantham Centre for Climate Change in London und ist eine der Hauptautor:innen des sechsten IPCC-Reports.
Gefährliches Spiel mit dem 1,5-Grad-Ziel
Die Frage, ob das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen schon verloren sei, verneinen die bei der Pressekonferenz anwesenden Wissenschaftler:innen – Otto und Pershing ebenso wie Joyce Kimutai von der Universität Kapstadt. Die Welt müsse allerdings schnell handeln und aus den fossilen Energieträgern aussteigen.
Alle drei sehen die Annahme, das 1,5-Grad-Ziel sei nicht mehr zu schaffen, sogar als gefährlich an. Dadurch werde ein schneller Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas womöglich verhindert – nach dem Motto: Wenn das Ziel sowieso verfehlt wird, braucht man sich auch nicht mehr zu bemühen. Dabei kommt es auf jedes Zehntelgrad Erwärmung an, das vermieden werden kann.
Außerdem sind die 1,5 Grad keine Frage des Könnens. "Wir haben die Technologien und wir haben das Wissen, um das 1,5-Grad-Limit einhalten zu können", sagt Friederike Otto. "Wenn wir wollen, dass es erreichbar ist, dann ist es das auch."
Allerdings befindet sich die Welt zurzeit in einer El-Niño-Phase, sodass die nächsten zwölf Monate sehr wahrscheinlich noch heißer werden – vermutlich im Schnitt rund 1,4 Grad höher als in vorindustrieller Zeit, so die Analyse von Climate Central.
El Niño ist ein natürliches Wetterphänomen, das etwa alle zwei bis sieben Jahre auftritt und ungefähr ein Jahr andauert. Dabei steigen weltweit die Temperaturen an. Anfang Juli haben sich wieder El-Niño-Bedingungen im östlichen Pazifik gebildet. Die Studie geht davon aus, dass der Höhepunkt erst noch bevorsteht. Nach dem El-Niño-Jahr dürften die Temperaturen dann wieder etwas sinken.
Da Menschen keine weltweiten Durchschnittstemperaturen erleben, sondern nur die Veränderungen der Temperatur an dem Ort, an dem sie leben, hat Climate Central den Climate Shift Index (CSI) entwickelt.
Dieser "Klimaverschiebungsindex" zeigt, wie stark der Klimawandel die Temperaturen an einem bestimmten Tag und Ort beeinflusst. Der Index reicht von minus fünf bis plus fünf. Positive Werte weisen auf Temperaturen hin, die aufgrund des Klimawandels wahrscheinlicher werden. Negative Werte auf Temperaturen, die unwahrscheinlicher werden.
Ein CSI der Stufe fünf bedeutet beispielsweise, dass eine Temperatur fünfmal häufiger auftritt. Das wäre in einer Welt ohne Klimawandel nur sehr schwer zu erreichen – nicht unbedingt unmöglich, nur höchst unwahrscheinlich.
Ein CSI-Wert von null bedeutet, dass kein Einfluss des vom Menschen verursachten Klimawandels erkennbar ist. Mit anderen Worten: Die Temperatur dieses Tages ist sowohl im modernen Klima als auch in einem Klima ohne globale Erwärmung gleichermaßen wahrscheinlich.
Weltweit müssen Menschen höhere Temperaturen aushalten
Climate Central bietet eine Karte an, auf der tägliche CSI-Daten für die ganze Welt abrufbar sind. Die Daten zeigen, dass weltweit Menschen von höheren Temperaturen betroffen sind, die durch den Klimawandel sehr viel wahrscheinlicher werden.
So erlebten 90 Prozent aller Menschen auf der Erde im Verlauf der letzten zwölf Monate mindestens zehn Tage mit sehr stark vom menschengemachten Klimawandel beeinflussten Temperaturen. Diese Tage hatten einen CSI von drei oder höher. Damit waren die höheren Temperaturen mindestens dreimal wahrscheinlicher durch den Klimawandel.
Außerdem erlebte jeder vierte Mensch eine mindestens fünftägige Hitzewelle. Der Klimawandel hat die Wahrscheinlichkeit für diese Temperaturen mindestens verdoppelt. Hitze wird besonders gefährlich, wenn sie über mehrere Tage anhält. Dann gibt es keine Möglichkeit zur Kühlung und somit auch keine Erholung von den hohen Temperaturen.
Der CSI unterscheidet sich dabei je nach Region. Hierbei wird eine ungleiche Verteilung von Verantwortung und Gefährdung sichtbar: Die zehn Länder mit den höchsten Treibhausgasemissionen hatten einen durchschnittlichen CSI von 0,7 und die zehn Länder mit den niedrigsten Emissionen einen CSI von 2,7.
Das bestätigt einmal mehr, dass der Klimawandel besonders die Länder trifft, die wenig zu seinem Entstehen beitragen. Besonders betroffen von höheren Temperaturen sind die tropischen Regionen und damit die Entwicklungsländer.
Allerdings erlebte fast jedes Land auf der Welt irgendwann klimawandelbedingte Hitze. In 170 Ländern überstiegen die Durchschnittstemperaturen das Mittel der vorangegangenen 30 Jahre und setzten 7,8 Milliarden Menschen – 99 Prozent der Menschheit – überdurchschnittlicher Wärme aus. Die einzigen Ausnahmen sind Island und Lesotho, wo kühlere Temperaturen verzeichnet wurden.
Auch die USA, Indien, Japan und Europa waren von Phasen extremer Hitze betroffen. In Deutschland sind die Temperaturen in den vergangenen zwölf Monaten gegenüber dem 30‑jährigen Mittel um 1,2 Grad höher gewesen.
"Fossile Energien verletzen Menschenrechte"
Friederike Otto brachte es in der Pressekonferenz so auf den Punkt: "Wenn wir weiterhin fossile Brennstoffe auf die gleiche Art und Weise wie bisher verbrennen, stellt dies eine massive Verletzung der Menschenrechte der überwiegenden Mehrheit der Welt dar."
Eines der Menschenrechte, die hier gemeint sind, ist das Recht auf Leben und Sicherheit der Person. Durch den Klimawandel sei dieses Grundrecht jetzt schon für viele eingeschränkt, sagte Otto. Das Paris-Abkommen mit seinem Ziel, die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad oder möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei dazu da, diese Rechte zu schützen, und müsse eingehalten werden.
Das würde Menschen weltweit schützen und die tödlichen Auswirkungen von Hitzewellen ebenso beschränken wie die erwärmungsbedingte Häufung von Extremwetter wie Dürren, Stürmen und Überschwemmungen.
Doch solange die Menschheit weiter Kohle, Erdöl und Erdgas verbrenne, betonte Friederike Otto noch einmal, würden die Temperaturen global steigen und die negativen Folgen zunehmen.
Redaktioneller Hinweis: Friederike Otto gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.