Hier ist schmelzendes Eis in der Antarktis zu sehen
Auch das Antarktiseis schmilzt. (Foto: Nathan Kurtz/​NASA/​Flickr)

Dass die Polkappen und Gebirgsgletscher schmelzen, lässt sich seit Langem beobachten. Bereits mit der Industrialisierung Mitte des 18. Jahrhunderts begann die Eisschmelze zuzulegen.

In den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten hat sich dieser Prozess sehr stark beschleunigt. Er hebt sich nun deutlich von der natürlichen Variabilität ab. Die jüngsten Schmelzraten liegen im historischen Kontext auf Rekordhöhe.

Das große Schmelzen bedeutet nicht nur den Verlust von außergewöhnlichen Landschaften und großer Naturschönheit. Es hat auch weitreichende Folgen. Die bekannteste Folge ist der Anstieg des Meeresspiegels. Je mehr Schmelzwasser sich in die Ozeane ergießt, desto mehr steigen die Pegel.

Mittlerweile liegt der jährliche Anstieg bei durchschnittlich 3,5 Millimetern. Noch vor einigen Jahren waren es 2,5 Millimeter. Der Weltklimarat IPCC musste seine Prognosen mehrfach erhöhen, bei welchen Pegelständen wir Ende des Jahrhunderts liegen werden. Derzeit wird von einem Plus von gut einem Meter ausgegangen.

Weniger bekannt ist der Albedo-Effekt, benannt nach dem lateinischen Wort für "das Weiße". Eis wirkt wie ein großer Reflektor. Es spiegelt sehr viel Sonneneinstrahlung wieder ins All zurück. Schwindet die Eisbedeckung, dann nimmt der dunkle Ozean die Wärme auf. Der Eisverlust beschleunigt so die Erderwärmung.

Und es gibt Folgen für die Trinkwasserversorgung. Die Eismassen des Planeten sind der wichtigste Süßwasserspeicher. Nur 2,5 Prozent der Wassermengen der Erde sind überhaupt Süßwasser. Zwei Drittel davon sind in den Eismassen gespeichert. Für viele Regionen, deren Wasserversorgung von Gletschern abhängt, bedeutet das eine sehr ungewisse Zukunft.

Vieles deutet außerdem darauf hin, dass der Eisverlust sich auf die Wettermuster in den mittleren Breiten auswirkt, zu denen auch Europa gehört.

Globale Überblicksstudie

Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigen, wie enorm sich das Schmelzen beschleunigt hat: Antarktis – eine Versechsfachung seit Ende der 1970er Jahre, Grönland-Eis – jährlicher Eisverlust im letzten Jahrzehnt teilweise viermal so hoch wie 2003, Alpen-Gletscher – minus 17 Prozent zwischen 2000 und 2014.

Das ganze Bild hat nun ein britisches Wissenschaftsteam in den Blick genommen. Für ihre Überblicksstudie untersuchten die Forschenden um Thomas Slater von der Universität Leeds sämtliche Eisflächen des Planeten, einschließlich der 215.000 Gebirgsgletscher, die es weltweit gibt. Dazu kombinierten sie Satellitenbeobachtungen mit Vor-Ort-Messungen.

Das Ergebnis: Zwischen 1994 und 2017 beschleunigte sich der globale Eisverlust um 57 Prozent. Lag die jährliche Schmelzrate in den 1990er Jahren noch bei 0,76 Billionen Tonnen Eis, waren es keine 25 Jahre später schon 1,2 Billionen Tonnen.

Insgesamt verlor die Erde in diesem Zeitraum die kaum vorstellbare Menge von 28 Billionen Tonnen Eis. Damit könnte man ganz Großbritannien, das eine Fläche von knapp 250.000 Quadratkilometern hat, mit einer 100 Meter dicken Eisschicht bedecken. Die Ergebnisse erschienen diese Woche in der Zeitschrift The Cryosphere der European Geosciences Union.

Besonders stark sind die Verluste beim arktischen Meereis (7,6 Billionen Tonnen) und beim antarktischen Schelfeis (6,5 Billionen Tonnen). Schelfeis sind riesige Eisplatten, die auf dem Meer schwimmen, aber noch mit dem Inland-Eisschild verbunden sind und diesen abstützen. Schwindet das Schelfeis, verliert auch der Eisschild an Stabilität.

"Jede Region, die wir untersuchten, hat Eis verloren"

Sehr groß sind auch die Verluste bei den Gebirgsgletschern: 6,1 Billionen Tonnen. Das ist fast ein Viertel des Gesamtverlustes – obwohl die Gletscher nur ein Prozent des gesamten Eisvolumens der Erde speichern.

Auch der Grönländische Eisschild (3,8 Billionen Tonnen), der Antarktische Eisschild (2,5 Billionen Tonnen) und das Meereis im Südpolarmeer (0,9 Billionen Tonnen) haben alle an Masse verloren.

"Jede Region, die wir untersucht haben, hat Eis verloren", sagt Hauptautor Thomas Slater. "Am meisten beschleunigt haben sich aber die Verluste der Eisschilde in der Antarktis und in Grönland." Also die Eisflächen, die an den Polen auf Land liegen.

Dabei sind die steigenden Temperaturen in der Luft für mehr als zwei Drittel des Schmelzens verantwortlich. Wärmere Ozeane verursachen 32 Prozent der Verluste, durch Eisschildabfluss und Schelfeisausdünnung.

Für den renommierten Klimaforscher Hartmut Graßl sind die Ergebnisse nicht überraschend. "Meereis und Landeis schwinden mit erhöhter Geschwindigkeit hauptsächlich als Folge der Lufttemperaturzunahme", sagt Graßl, der nicht an der Studie beteiligt war, gegenüber Klimareporter°. "Die Meeresspiegelanstiegsrate durch Landeisverluste nimmt zu, überwiegend durch das raschere Schmelzen der beiden großen Eisschilde."

Stoppen oder wenigstens verlangsamen lassen sich die Eisverluste wohl nur, wenn weniger Klimagase in die Atmosphäre gepumpt werden.

Redaktioneller Hinweis: Hartmut Graßl ist Mitglied des Herausgeberrates von Klimareporter°.

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