Eine Zunge des Thwaites-Gletschers in der Westantarktis
Der Thwaites-Gletscher in der Westantarktis ist wahrscheinlich bereits instabil. Kollabiert er, könnte das zu einem zusätzlichen Meeresspiegelanstieg beitragen. (Foto: NASA/​Wikimedia Commons)

Einige Gletscher in der Antarktis drohen sich unaufhaltsam zurückzuziehen und dadurch den globalen Meeresspiegel ansteigen zu lassen. Genau die Gletscher, die heute schon schrumpfen, könnten diejenigen sein, die sich aufgrund ihrer Geometrie am schnellsten zurückziehen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die im Fachmagazin The Cryosphere erschienen ist.

"Wir denken oft, dass uns beim Verlust von Eis in der Antarktis das Schlimmste erst noch bevorsteht", sagt Anders Levermann vom PIK, Leitautor der Studie. "Das stimmt auch, aber es scheint, dass dieses 'Schlimmste' durchaus bereits in Gang gesetzt wurde."

Instabilität bedeutet, dass die Gletscher sich von selbst immer schneller zurückziehen. Das Eis fließt aus dem Inneren des Eisschildes auf das Meer; wenn es teilweise auf dem Meer schwimmt, wird es zu Schelfeis. Wenn dieses nun dünner wird, indem es schmilzt, wird die Aufsetzlinie, also der letzte Ort, an dem das Eis noch auf dem Boden aufliegt, ins Landesinnere verschoben.

Weil allerdings in dieser Region der Antarktis der Boden landeinwärts abfällt, wird das Eis dort dicker und fließt dadurch schneller – was die Aufsetzlinie noch weiter nach hinten verschiebt. Kurz: Wenn das Schelfeis sich zurückzieht, sorgt es selbst dafür, dass es sich noch schneller zurückzieht. Deshalb werden einige Teile der Antarktis auch als Kippelemente im Klimasystem bezeichnet.

Zwei Gletscher sind wahrscheinlich schon instabil

Aufgrund von Beobachtungen und Computersimulationen gelten der Thwaites- und der Pine-Island-Gletscher in der Westantarktis bereits heute als instabil. "Die Gletscher werden dünner, schneller und ziehen sich zurück. Es fließt mehr Eis ins Meer", erklärt Johannes Feldmann, Koautor der Studie, gegenüber Klimareporter°.

In den letzten beiden Jahrzehnten habe sich der Rückzug der zwei Gletscher beschleunigt, was auf eine Instabilität hinweise. "Für diese beiden Gletscher ist das ziemlich klar. Ein paar benachbarte, kleinere Gletscher sind auch instabil, jedoch mit geringeren Auswirkungen auf den Meeresspiegel", erläutert Feldmann.

Grafische Darstellung des Antarktis-Schelfeises im Längsschnitt.
Die Grafik zeigt die in der Studie vorkommenden Schelfeis-Elemente in der Antarktis, darunter den Gletscher (ice stream), das Schelfeis (ice shelf) und die Aufsetzlinie (grounding line). (Grafik: Hannes Grobe/​AWI/​Wikimedia Commons)

Die Forscher haben alle Gletscher in der Antarktis, die von dieser Instabilität bedroht sind, miteinander verglichen. Für ihr Modell haben sie hypothetisch angenommen, dass alle diese Gletscher bereits instabil sind. "Wir haben herausgefunden, dass der instabile Rückzug des Pine-Island- und des Thwaites-Gletschers wohl der schnellste ist, verglichen mit einem potenziellen Rückzug der anderen Regionen der Antarktis", so Feldmann.

Die Modell-Berechnungen der Wissenschaftler zeigen, dass  andere Gletscher in der West- und Ostantarktis zehnmal langsamer reagieren als der Pine-Island-Gletscher – zum Beispiel aufgrund der Geometrie der Gletscher. In das Modell sind unter anderem Daten über die Dicke des Eises und das Gefälle des Untergrunds eingeflossen.

Die Forscher weisen aber auch auf Unsicherheiten ihres Computermodells hin. So haben sie den Effekt der Abstützung nicht berücksichtigt – der Eisfluss könnte zum Beispiel durch Felsen auf dem Meeresgrund gebremst werden.

"Das erste Kippelement, das wir kippen sehen, ist das schnellste – zumindest das schnellste der Antarktis", fasst Hauptautor Levermann das Ergebnis zusammen. "Die gute Nachricht ist, dass die Eismassen im Osten des Kontinents langsamer sein könnten, zumindest wenn wir die weitere globale Erwärmung rasch begrenzen", so der Klimaphysiker.

Zusätzlicher drastischer Meeresspiegelanstieg schon in Gang?

Die schlechte Nachricht sei, dass ein drastischer Anstieg des Meeresspiegels bereits im Gange sein könnte. Computersimulationen zeigten, dass die Instabilität der Eismassen in der Westantarktis zu einem zusätzlichen Meeresspiegelanstieg führen könnte.

Ein unaufhaltsamer Rückzug der beiden Gletscher würde sich über die jetzigen Einzugsgebiete auch auf andere Gletscherbecken ausdehnen, ergänzt Koautor Feldmann. "Das würde zu einem Kollaps des Westantarktischen Eisschilds führen, der mehr als drei Meter globalen Meeresspiegelanstieg verursachen würde."

Den Forschern zufolge ist zwar noch unklar, ob die Instabilität des Schelfeises durch den menschengemachten Klimawandel ausgelöst wurde. "Die Gletscher schmelzen durch wärmere Meeresströmungen", erklärt Johannes Feldmann. "Es ist nicht klar, ob diese Strömungen durch den vom Menschen verursachten Klimawandel ausgelöst wurden. Aber wir verstärken mit dem Klimawandel das Schmelzen rund um den antarktischen Kontinent und damit das Risiko, weitere Instabilitäten auszulösen."

Wie viele Jahre es dauert, bis die Gletscher in der Westantarktis sich zurückgezogen haben, können die Forscher ebenfalls nicht sagen, denn mit ihrem Modell haben sie nur die relativen Reaktionszeiten der Gletscher untersucht. Allerdings heißt es in der Mitteilung des PIK zur Studie auch: Obwohl der vergleichsweise schnelle Eisverlust Jahrhunderte andauere, sei die Geschwindigkeit der Eisschmelze in der Antarktis schon heute ein wichtiger Faktor für den weltweiten Anstieg des Meeresspiegels.

Der Beitrag wurde um 17 Uhr aktualisiert.

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