Über ein Jahr lang stellte jeder Tag einen neuen Meerestemperaturrekord auf. Erst vor wenigen Wochen kroch die Temperaturkurve wieder knapp unter die Kurve des Vorjahres – nach wie vor deutlich über jedem früheren Jahr seit Messbeginn.

Die Wassermassen erwärmen sich langsamer als die Atmosphäre, nehmen aber insgesamt viel mehr Wärme auf. Über 90 Prozent der durch den Klimawandel erzeugten überschüssigen Hitze werden von den Ozeanen absorbiert.

 

Als gigantische Wärmespeicher puffern die Ozeane die Erwärmung der Atmosphäre. Allein die oberen zehn Meter der Weltmeere speichern dieselbe Menge an Wärmeenergie wie die gesamte Atmosphäre.

Und noch etwas speichern die Ozeane bisher fleißig: CO2. Indem sie rund 30 Prozent der menschengemachten Treibhausgase aufnehmen, mildern sie den Klimawandel weiter ab.

Ganz besonders effizient ist dabei der Arktische Ozean – je kälter das Wasser, desto höher die CO2-Aufnahmekapazität. Gleichzeitig reagiert keine Region der Erde so empfindlich auf den Klimawandel wie die Arktis.

Gegenwärtig erwärmt sich die Region viermal so schnell wie der globale Durchschnitt. Das wiederum beeinflusst die CO2-Aufnahmefähigkeit des Ozeans.

Ein Schlüsselprozess dabei – der in aktuellen Erdsystemmodellen nicht abgebildet wird – ist das Auftauen und Erodieren von Permafrostböden an den arktischen Küsten. Dabei spülen Wellen große Mengen aufgetautes Material, darunter auch organischen Kohlenstoff, ins Meer.

Wie eine jüngst in dem Fachjournal Nature Climate Change veröffentlichten Studie des Exzellenzclusters Cliccs der Universität Hamburg zeigt, könnte der Arktische Ozean dadurch bis 2100 zwischen fünf und 13 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr weniger aufnehmen als bisher angenommen.

Das entspricht etwa sieben bis 14 Prozent der gesamten CO2-Aufnahme des arktischen Meeres.

In Ostsibirien ist das Meer schon eine CO2-Quelle

Der abgetragene organische Kohlenstoff kann im Meer verschiedenen Pfaden folgen, die die CO2-Aufnahmekapazität des Wassers unterschiedlich beeinflussen.

Zum einen kann der Kohlenstoff direkt im Wasser abgebaut werden, wobei CO2 entsteht. Damit erhöht sich der CO2-Gehalt, dementsprechend steigt der Partialdruck des Gases im Meer – und die Fähigkeit des Ozeans, CO2 aus der Atmosphäre aufzunehmen, sinkt.

Wenn genügend Nährstoffe im Wasser vorhanden sind, kann der organische Kohlenstoff die Produktivität mariner Ökosysteme ankurbeln – dadurch sinkt der Partialdruck von CO2.

Luftaufnahme von Meereis mit Schmelzwassertümpeln, weiße und graue Flecken wechseln sich ab.
Schneebedecktes arktisches Meereis mit Schmelzwasser im Spätsommer. (Bild: Stefan Hendricks/AWI)

Oder das organische Material ist dicht genug, um direkt zum Meeresboden zu sinken und unter Sedimenten begraben zu werden. Dort finden zwar dieselben Abbauprozesse statt wie im Wasser – es entsteht also CO2 –, aber der Prozess läuft wesentlich langsamer ab.

Grundsätzlich gilt: Ist der CO2-Partialdruck im Meer unwesentlich niedriger oder sogar höher als der Partialdruck in der Atmosphäre, nimmt der Ozean kaum CO2 auf oder gibt sogar welches an die Atmosphäre ab.

Verschiedene Annahmen über den Nährstoffgehalt des Wassers, die Dichte des abgetragenen organischen Materials und nicht zuletzt die Emissionsszenarien beeinflussen dementsprechend das Ergebnis.

In jedem Fall aber erhöht der Prozess den Kohlenstoffanteil im Wasser und senkt damit die CO2-Aufnahmefähigkeit. Wie groß die Wirkung der Küstenerosion ist, sei noch nicht bekannt, aber die grundsätzliche Tendenz des Prozesses sei klar, erläutert der Leitautor der Studie, David Nielsen vom Institut für Meereskunde der Uni Hamburg, im Gespräch im Klimareporter°.

"Wir können den Meeren dankbar sein, dass sie einen großen Teil unserer Treibhausgase aufnehmen", so der Klimaforscher. "Doch vielleicht setzt sich diese Dienstleistung der Meere nicht unbegrenzt fort."

Dieser Punkt scheint in einigen Regionen schon erreicht. Die Ostsibirische See und die Laptewsee stoßen in dem verwendeten Modell selbst unter heutigen Klimabedingungen mehr CO2 aus, als sie aufnehmen.

Der Eintrag von organischem Material ist in diesem Gebiet nicht nur durch ausgeprägte Küstenerosion, sondern auch durch die Sedimentfracht von arktischen Flüssen besonders hoch. Beobachtungsdaten belegen diese Entwicklung bereits seit 25 Jahren.

Phytoplankton leidet unter Versauerung

"Der Prozess ist schon seit vielen Jahren bekannt", erklärt Klimaforscher Nielsen. Allerdings habe die Studie den Prozess nun zum ersten Mal in einem Klimamodell abgebildet. "Damit kann der Mechanismus in künftige Klimaprojektionen integriert werden."

Das ist auch deshalb wichtig, weil sich die Küstenerosion in der Arktis bis zum Ende des Jahrhunderts um den Faktor zwei bis drei beschleunigen könnte, wie Projektionen zeigen.

Auch marine Ökosysteme leiden unter der zunehmenden Versauerung. Je mehr CO2 der Ozean aufnimmt – egal ob aus der Atmosphäre oder durch Abbauprozesse organischen Kohlenstoffs –, desto niedriger der pH-Wert des Wassers. Darunter leiden zahlreiche Mikroorganismen, wie kalkbildendes Phytoplankton.

Als wichtigster Primärproduzent beeinflusst der Zustand des Phytoplanktons das gesamte marine Ökosystem.

Die Erosion von Permafrostboden an den Küsten ist nicht der einzige Prozess, der in Erdsystemmodellen bisher ungenügend oder gar nicht abgebildet wird. Ein weiteres Beispiel sind Wechselwirkungen und Rückkopplungseffekte zwischen großen Eisschilden und anderen Bestandteilen des Erdsystems.

Nielsen ist überzeugt, dass der Wissenschaft mittlerweile die meisten wichtigen Prozesse des Erdsystems bekannt sind. "Die Schwierigkeit ist vor allem technischer Natur und liegt darin, diese Prozesse auch in die bestehenden Modelle zu integrieren."

Während die Durchschnittstemperaturen schon heute sehr verlässlich modelliert werden können, hilft die Integration derartiger Prozesse, vor allem regionale Veränderungen Jahr für Jahr robuster abbilden zu können.