Garzweiler
Mehrere RWE-Braunkohleblöcke im Rheinland – hier am Tagebau Garzweiler – könnten bald ein großes Problem mit den neuen Schadstoffgrenzen bekommen. (Foto: Bert Kaufmann/​Flickr)

Wie konnte das passieren? Das fragt sich jetzt schon mancher Experte. Im gedruckten Bericht der Kohlekommission widmet sich auf Seite 25 ein Kapitel den "Europäischen Emissionsgrenzwerten für Kraftwerke".

Zwar habe die EU-Kommission, ist dort zu lesen, im Juli 2017 neue europaweite Bandbreiten für Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen erlassen. Für Stickoxide und Quecksilber seien die neuen Grenzwerte aber "fehlerhaft", weswegen die Bundesregierung diese auch abgelehnt habe. Zurzeit seien gegen die EU-Regelung auch Klagen anhängig, führt der Bericht mit Datum vom 26. Januar 2019 schwarz auf weiß auf.

Tatsächlich aber war zu dem Zeitpunkt zumindest die Klage der deutschen Kohlebranche schon eine ganze Weile gescheitert.

Bereits am 13. Dezember 2018 hatte das Gericht der Europäischen Union die Klage der Branchenverbände Euracoal und Debriv sowie der Kohleverstromer Leag, Mibrag und Eins Energie gegen die von der EU-Kommission beschlossenen Emissionsbandbreiten bei Stickoxiden und Quecksilber als "unzulässig" zurückgewiesen.

Die EU, begründet das Gericht die Abweisung, gibt keine unverrückbaren Grenzwerte vor, die die Unternehmen quasi direkt knebeln, sondern es gelten sogenannte Emissionsbandbreiten. Entsprechend verfügen die EU-Staaten über einen Ermessensspielraum, mit welchen Techniken die Emissionen verringert werden können. Die Länder können auch strengere Auflagen erlassen, führt das Gericht aus.

Entschädigung für Kraftwerke, die Obergrenzen reißen?

Dass sich die Kohlekommission der EU-Vorgabe annahm, hatte handfeste Gründe. Derzeit können – wie das Kapitel auf Seite 25 ebenfalls anführt – nur vier der hiesigen Braunkohleblöcke den oberen EU-Stickoxidwert von 175 Milligramm je Kubikmeter sicher einhalten.

Dabei sind drei der vier Blöcke im Osten des Landes zu finden, in Schwarze Pumpe und Boxberg. Ältere Blöcke wie die in den RWE-Kraftwerken Neurath und Niederaußem müssten aufwendig nachgerüstet werden oder, wenn sich das nicht mehr lohnt, vom Netz gehen.

Für die Stilllegung auch solch alter Blöcke sollen nach den Empfehlungen der Kohlekommission hohe Entschädigungen gezahlt werden. Die würden natürlich nicht nötig sein, wenn Anlagen ihren Betrieb einstellen müssen, weil sie die in der EU – und also auch in Deutschland – geltenden Schadstoff-Grenzwerte nicht einhalten können.

So liegt die Vermutung nahe, dass die Kohlebranche hierzulande kein großes Interesse daran hatte, dass das Scheitern ihrer Klage allzu bekannt wird und die Kohlekommission ihre Empfehlungen zur Entschädigung möglicherweise vor der Zeit überdenkt. Der fragliche Abschnitt für den Bericht soll übrigens, wie zu hören war, von der Bundesregierung verfasst worden sein. Dass die Regierung aber nicht weiß, was vor EU-Gerichten so vor sich geht, ist kaum vorstellbar.

Branche ohne Plan B

So oder so traf die Niederlage vor Gericht die Branche sichtlich unvorbereitet. Anderthalb Monate nach dem Entscheid teilt ein Debriv-Sprecher auf Nachfrage nur mit, der Braunkohle-Verband werde bis zum 25. Februar "keine öffentlichen Bewertungen" abgeben.

An dem Tag läuft die Frist ab, in der die Kläger Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen können. Der Verband erklärt allerdings auch, es sei Sache der nationalen Gesetzgebung, eventuelle Spielräume oder Ausnahmeregelungen zu prüfen.

Die nationale Umsetzung, auf die der Braunkohleverband nun hofft, lag jedoch auf Betreiben der Kohlebranche und auch des Bundeswirtschaftsministeriums seit dem Inkrafttreten der EU-Vorgabe im August 2017 faktisch auf Eis. Die Frist, nach der die Anlagen die neuen Emissionswerte einzuhalten haben, beträgt aber nur vier Jahre und endet im August 2021. Davon sind nun schon anderthalb Jahre verstrichen.

Ermessensspielraum nur innerhalb der geltenden Bandbreite

Zumindest das Umweltministerium scheint nun gewillt, das Gesetzesverfahren voranzutreiben. Gegenwärtig führe man auf der Fachebene Gespräche mit den Betreibern von Großfeuerungsanlagen, teilt ein Sprecher auf Nachfrage mit. Ziel sei es, bis zum Sommer einen ersten Entwurf zur nationalen Umsetzung zu erarbeiten.

Auf eine Abschwächung der Emissionswerte dürfen die Unternehmen dabei nicht hoffen, stellt das Ministerium klar. "Außerhalb" der von der EU festgeschriebenen Bandbreiten für die Luftschadstoff-Emissionen von Kraftwerken gebe es keine Ermessensspielräume.

Eine Ausnahmeregelung könne ein Kraftwerksbetreiber beantragen, wenn er meine, Gründe vorbringen zu können, die eine Nachrüstung als nicht vertretbar erscheinen ließen. Solche Ausnahmen könnten erfahrungsgemäß nur in wenigen Fällen erteilt werden, heißt es weiter aus dem Umweltministerium.

Das juristische Vabanque-Spiel könnte für die Unternehmen also noch in einem ziemlichen Desaster enden.

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