Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Jens Mühlhaus, Vorstand beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Green City AG.
Klimareporter°: Herr Mühlhaus, die Aufregung um den Lobbyismus in der Klima- und Energiepolitik hält an – jetzt sieht sich die Deutsche Energie-Agentur Dena dem Vorwurf ausgesetzt, ihre Studien von fossilen Branchen sponsern zu lassen und das nicht transparent machen zu wollen.
Wie bewerten Sie den Einfluss von Lobbyisten und wie viele davon sitzen jede Woche an Ihrem Schreibtisch oder – pandemiegerecht gefragt – rufen bei Ihnen an?
Jens Mühlhaus: Die Enthüllungen von Lobbycontrol in diesen Wochen dürften doch keinen wirklich überraschen. Der milliardenschwere Deal zum Kohleausstieg hat die Einflussnahme der fossilen Ur-Riesen doch schon eindrucksvoll gezeigt.
Und auch der Abbruch der Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien zur EEG-Novelle in der vergangenen Woche durch die SPD wegen Zweifeln an der Unabhängigkeit der Unions-Vertreter von Wirtschaftsinteressen überrascht niemanden in der Erneuerbaren-Branche.
Gut, dass jetzt endlich offen über die möglichen Gründe der Unions-Blockade gesprochen wird. Da ist die Kritik an der Dena-Studie nur ein weiteres Puzzleteilchen.
Natürlich haben wissenschaftliche Studien, an denen Wirtschaftsunternehmen beteiligt sind, ein Geschmäckle. Vor allem, wenn der Auftraggeber des Ganzen der Bund ist. Aber das Vorgehen bei dieser Studie wirft noch eine ganz andere Frage auf.
Bleibt RWE und Co eigentlich keine andere Wahl mehr – müssen sie sich jetzt schon ihre eigenen "wissenschaftlichen" Erkenntnisse erkaufen, um ihre Geschäfte weiter zu rechtfertigen? Das ist doch das wahre Armutszeugnis!
Seit Jahren liefern renommierte, unabhängige wissenschaftliche Institute Studien und Belege dafür, dass wir mit unserem Engagement für den Ausbau von Wind- und Solarenergie auf dem richtigen Weg sind – ganz ohne Sponsoringverträge.
Wenn Sie also fragen, ob bei uns Lobbyisten Schlange stehen – was sie nicht tun –, dann könnte man zugespitzt antworten: Wer braucht einen Lobbyisten, wenn die renommiertesten Wissenschaftler die eigene Arbeit immer und immer wieder bestätigen?
Und vielleicht ist genau das bei dieser Sache das Signal in unsere Branche: Es ist ein Wachrüttler! Wir brauchen keine erkauften Studien. Alle Belege für die Richtigkeit unseres Vorgehens liegen genau vor unserer Nase. Wir dürfen nur nicht leise und nicht müde werden, Berlin immer wieder darauf zu stoßen.
"Deutschland muss eine Senkenstrategie entwickeln", fordert der bekannte Klimapolitikforscher Oliver Geden im Klimareporter°-Interview. Warum sollen wir uns jetzt schon Gedanken um verbleibende Restemissionen machen, wo wir doch generell beim Klimaschutz nicht vorankommen und Treibhausgase vor allem durch die Pandemie einsparen? Ist das nicht der zweite vor dem ersten Schritt?
Die Frage ist eine andere: Haben wir noch die Zeit, in aller Ruhe einen Schritt nach dem anderen zu machen? Müssen wir nicht vielmehr alles gleichzeitig tun, um die Klimakrise noch in den Griff zu bekommen?
Wenn nur eine Pandemie dafür sorgt, dass Emissionen in unserem Land gespart werden, dann ist es tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis die Werte wieder in die Höhe schnellen. Nein, wir können jetzt nicht mehr einen Schritt nach dem anderen gehen, wir müssen mehrere Märsche parallel anstoßen.
Es mangelt dabei nicht an Technologien und guten Ideen – es mangelt einzig daran, sie alle in einer durchdachten Klimaschutzstrategie bestmöglich zu kombinieren und zum Einsatz zu bringen. Damit der Flickenteppich an Maßnahmen endlich ein Gesamtbild ergibt.
Wir können nicht erst in ein paar Jahren anfangen, uns die Gedanken zu machen, wie das Speichern von CO2 nun funktionieren könnte, und dann im Schneckentempo an die Umsetzung gehen.
Warum dauert es so lange, bis in Deutschland solche Potenziale erkannt und gewinnbringend eingesetzt werden? Wieder mal eine vertane Chance, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
In diesen Wochen beschäftigt uns sehr ein Projekt direkt vor unserer Haustür. Seit rund zehn Jahren engagieren wir uns vor den Toren Münchens, im Ebersberger Forst, für die Errichtung von fünf Windenergieanlagen.
Jetzt hat das Projekt eine neue Dimension bekommen. Der Kreistag fordert die Bevölkerung auf, sich in einem Bürgerentscheid für oder gegen den Windpark auszusprechen, und ruft gleichzeitig für 2030 das Ziel aus, frei von fossilen und anderen endlichen Energieträgern zu werden. Da ist der Ausbau der Windkraft ein entscheidender Baustein.
Nun haben es also die Bürger:innen selbst in der Hand, Mitte Mai über den Fortgang des Vorhabens zu entscheiden. Für uns sind das sehr aufregende Wochen. Denn es geht hier um mehr als nur die Fortführung eines Projekts.
Das Ergebnis dieses Bürgerentscheids wird Strahlkraft für das ganze Bundesland Bayern entwickeln. Wie der Entscheid auch ausgeht, die Symbolik ist elementar.
Ein Nein würde die jetzige bayerische Landesregierung im Ausbremsen der Windkraft bestätigen. Ein Ja hingegen könnte die Windkraft an Land beflügeln und auch andere Kommunen motivieren, trotz vieler Befürchtungen den Weg zu mehr Windkraft zu gehen.
Denn eins darf man nicht vergessen: Die Landesregierung kann zwar Restriktionen wie die 10‑H‑Regel ausrufen. Wenn aber Kommunen und ihre Bürger:innen sich klar zur Energiewende bekennen, können sie Sonderwege definieren und so die Landesregierung unter deutlichen Zugzwang setzen.
Fragen: Jörg Staude