Leipzig ist unter den deutschen Großstädten eine Vorreiterin für die Verkehrswende. Doch auch hier gibt es Probleme mit städtischem Parkraum. Der Platz ist kostbar, aber die Routinen in Politik und Verwaltung sind hartnäckig und Leipzig traut sich noch nicht richtig, die Idee der lebenswerten Stadt in großem Stil umzusetzen.

Also muss man sich vielleicht selbst helfen. Als Besitzer eines Gründerzeithauses, das ich vor 15 Jahren gekauft habe, habe ich mir überlegt, wie ich konkret zu weniger Autos beitragen kann.

 

Das Haus liegt an Leipzigs längster Magistrale, der Georg-Schumann-Straße, Schumi genannt. Die Straße ist fünf Kilometer lang, weitgehend mit erhaltener Gründerzeit-Bausubstanz, vorbildlich erschlossen per Straßenbahn. Jedoch, wie vielerorts, dauerparkende Autos in großer Anzahl an beiden Straßenrändern.

Als ich das Haus kaufte, bin ich davon ausgegangen, dass sich dies bald ändert. Eine Umgehungsstraße wurde gerade fertiggestellt, ein Quartiersmanagement etabliert, in weiten Teilen der Straße ein Radstreifen markiert. Häuser wurden saniert. In die von massivem Leerstand und Verfall geprägte Straße zogen langsam wieder Geschäfte und Menschen ein.

Doch vor meinem Haus hat sich bis heute nichts geändert, der Straßenraum im Jahr 2025 sieht immer noch aus wie um 1950, als die Bäume des einstigen Prachtboulevards gefällt wurden, um Platz fürs Auto zu schaffen.

Niedrigere Miete bei Verzicht auf ein eigenes Auto

Normalerweise hat ein Vermieter keinen Einfluss darauf, ob seine Mieter ein Auto besitzen. Einen Einblick bekommt man nur, wenn man private Stellplätze oder Garagen vermietet, was bei mir nicht der Fall ist.

Wie könnte ich einen Anreiz setzen, damit Menschen hier, mitten in einer deutschen Großstadt mit perfekten Alternativen zum Privatauto, tatsächlich darauf verzichten?

Georg-Schumann-Straße in Leipzig: Einst ein baumbestandener Boulevard, heute Autostraße, aber mit Tram. (Bild: Johannes Kazah/​Wikimedia Commons)

In Gesprächen mit Juristen wurden verschiedene Ansätze untersucht. Man kann den Autobesitz jedoch weder per Mietvertrag ausschließen noch dafür zusätzliche Gebühren verlangen ohne eine Gegenleistung wie etwa die Vermietung eines Stellplatzes.

Aber es ist möglich, monetäre Anreize anzubieten. So ist die Idee eines freiwilligen Autofreiheitsrabatts entstanden: Autofrei lebenden Mietern erlasse ich als Vermieter einfach 20 Euro von der monatlichen Grundmiete.

Damit wird juristisches Neuland betreten. In der Verkehrswende-Debatte ist der Ansatz neu, wenn auch banal. Denn oft versuchen größere Wohnungsbaugesellschaften, ihre Mieter durch zusätzliche Mobilitätsangebote zu motivieren, kein Privatauto zu besitzen.

Doch ein monetärer Anreiz ist für viele Menschen attraktiver, denn sie können selbst entscheiden, wie sie ihn verwenden. Ob für ein neues Fahrrad oder E‑Bike, für den Umweltverbund oder öfter mal Taxi oder Carsharing? Oder mehr zu Fuß gehen und dafür einmal pro Monat zum Lieblingsitaliener?

XXL-Parklet könnte zum Prototyp werden

Mittlerweile habe ich zehn Mietverträge mit der juristisch geprüften Autofreiheitsrabatt-Mietvertragsklausel (siehe Kasten). Die 20 Euro Mietreduktion orientieren sich an üblichen Kosten für Anwohnerparkvignetten in Städten, die ernsthaft eine Verkehrswende verfolgen. Da in Leipzig die Mietpreisbremse gilt, ist es nicht möglich, den Rabatt von vornherein einzukalkulieren.

Aufs Jahr gerechnet kosten mich die 20 Euro Autofreiheitsrabatt bei zehn Mietern 2.400 Euro. Als Gegenleistung halten meine Mieter die Straße frei von Blech. Mein Haus ist auch dank des Autofreiheitsrabatts mittlerweile zu 100 Prozent autofrei.

Die Klausel: Optionaler freiwilliger Mietrabatt für Autofreiheit

"Der Mieter bestätigt, kein eigenes Auto zu besitzen oder zur persönlichen Nutzung überlassen zu bekommen (zum Beispiel Dienstfahrzeug oder von Verwandten), sogenannte 'Autofreiheit'. Dies gilt für seinen gesamten Haushalt inklusive etwaiger Mitbewohner und Untermieter. Der Vermieter ist an autofrei mobilen Mietern interessiert, da sich dadurch die Chancen für eine lebenswertere Straßengestaltung (Radspuren, breitere Fußwege, Begrünung, Sitzgelegenheiten, weniger Parkplätze, gutes ÖPNV-Angebot) erhöhen. Für das Freihalten des öffentlichen Raums erhält der Mieter einen freiwilligen monatlichen Mietrabatt in Höhe von 20 Euro. Der Mietrabatt entfällt ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Autofreiheit, bei verspäteter Information an den Vermieter rückwirkend."

Für meine Mieter sind die vier Stellplätze vor meinem Haus nun nicht mehr erforderlich. Trotzdem sind diese Flächen meistens zugeparkt, denn derzeit wird mit dem Autofreiheitsrabatt das Parken für die Bewohner der Nachbarhäuser subventioniert. Eine echte Wirkung entfaltet der Autofreiheitsrabatt erst, wenn gleichzeitig die Anzahl der Stellplätze auf der Straße reduziert wird.

Deshalb habe ich bei der Stadt Leipzig einen kleinen Multifunktions- und Grünstreifen vor meinem Haus beantragt. Mein Plan ist es, über die gesamte Hausbreite ein 20 Meter langes XXL-Parklet anzulegen. Mit mittiger Lieferzone und Kiss and Ride vor der Haustür, daneben Fahrradstellplätze, Sitzgelegenheiten und Begrünung. Das sind die Mobilitäts- und Gestaltungselemente, die autofrei lebende Menschen vor ihrer Haustür benötigen anstelle von Dauerparkplätzen für private Pkw.

Porträtaufnahme von Tim Lehmann.
Bild: privat

Tim Lehmann

studierte Architektur und Stadt­planung und promovierte über den "Bahnhof der Zukunft". Bei DB-Unternehmen war er in der Bahnhofs­entwicklung tätig. Er baute Verkehrs­wende-Initiativen und ‑Thinktanks mit auf, darunter den Volks­entscheid Fahrrad, und arbeitete für Verkehrs­politiker:innen der Grünen und Linken im Bundestag. Heute ist er selbst­ständiger Berater zu urbaner Mobilität. Daneben entwickelt und verwaltet er drei gründer­zeit­liche Immobilien, den früheren Bahnhof Fürsten­berg/Havel, das ehemalige Gutshaus Klein­menow und das Haus in Leipzig. 

Die Umsetzung und Pflege soll ehrenamtlich erfolgen. Jeder Passant könnte das XXL-Parklet genießen, sich dort ausruhen. Die Stadt muss nichts tun, außer dem Projekt in Form einer Sondernutzungsgenehmigung zuzustimmen. Als Referenz habe ich ein eigenes Parklet in Berlin, dessen Pate ich seit drei Jahren bin.

Da die Georg-Schumann-Straße eine Hauptstraße mit Tempo 50 ist, tat sich die Stadt Leipzig dort bis vor Kurzem noch schwer mit Parklets. Mittlerweile weht jedoch ein frischer Wind in der Verwaltung, es gibt positive Signale und einige einflussreiche Unterstützer.

Der ursprünglich bereits für 2010 angekündigte lebenswerte Umbau der Georg-Schumann-Straße ist inzwischen auf 2030 verschoben. Planungen und Bürgerbeteiligung starten gerade.

Mein Grünstreifen könnte Schaufenster und Prototyp eines Multifunktionsstreifens werden, in dem vieles Platz findet: Begrünung, Bäume, Aufenthaltsflächen mit Sitzgelegenheiten, Lieferzonen, Kiss and Ride, Parkplätze für Mobilitätseingeschränkte, Kurzzeitparkplätze für die Läden, Fahrradstellplätze, Wartebereiche für Straßenbahnhaltestellen, Mobilitätsstationen.

Der Autofreiheitsrabatt wird sich langfristig auszahlen. Denn Attraktivität vor der Haustür ist ein wichtiger Grund, dass sich Bewohner eines Hauses wohlfühlen und sich damit identifizieren. Es sind engagierte und zuverlässige Mieter, wie man sie sich als Vermieter wünscht.

 

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

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