Porträtaufnahme von Andreas Knie.
Andreas Knie. (Foto: David Außerhofer)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.

Klimareporter°: Herr Knie, wenig beachtet von der Öffentlichkeit räumte die Polizei in dieser Woche ein Teilstück im Fechenheimer Wald in Frankfurt am Main, um 1.000 Bäume fällen zu können. Die stehen dem Bau von zwei Kilometern Autobahn im Weg, die A66 und A661 verbinden sollen. Was halten Sie von Umwelt-Protesten, bei denen sich Menschen auf Baumhäusern verschanzen?

Andreas Knie: Die Planungen zur Verkehrsinfrastruktur verfolgen im Wesentlichen Ziele der 1950er und 1960er Jahre. Die damaligen Annahmen werden immer nur leicht angepasst und gelten bis heute als Begründung für den Neubau von Straßen.

Vor allem in den Autobahnplanungen kommt gesellschaftlicher Wandel nicht vor. Wir haben beim Wissenschaftszentrum Berlin gemeinsam mit Infas einen stabilen Trend des orts- und zeitflexiblen Arbeitens gemessen. Mehr als 36 Prozent der Beschäftigten arbeitet an rund 2,5 Tagen die Woche nicht mehr im Büro. Dies wird insbesondere einen Rückgang des Fernverkehrs mit dem Pkw bedeuten.

Der gesamte Bundesverkehrswegeplan muss daher auf den Prüfstand und kann nicht mehr einfach so fortgeschrieben werden. Wir müssen zukünftig mit tendenziell abnehmenden Verkehrsleistungen rechnen und daher bereits über den Rückbau der bestehenden Straßen nachdenken.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, ein Grüner, meinte kürzlich in einem Interview, es könne in Einzelfällen sinnvoll sein, bei Autobahnen Lücken zu schließen. Sind Sie dafür, wenigstens noch offene Lückenschlüsse vorzunehmen?

Die veränderte geo- und gesellschaftspolitische Lage kann nur in eine Entscheidung münden: ein sofortiges Moratorium für alle Straßenneubauten. Auch für die berühmten Lücken. Die Aufrechterhaltung des bestehenden Straßennetzes verschlingt bereits jetzt viel mehr als geplant und zwingt darüber hinaus zu einer Fokussierung.

Derzeit bleibt die A45 wegen eines Brückenschadens auf Monate voll gesperrt. Lüdenscheid im Sauerland erstickt so gerade im Blech, weil keine Vorsorge betrieben wurde und – statt Reparaturarbeiten vorzunehmen – doch lieber neu gebaut werden soll.

Im Ergebnis wird mitten im Wald des Sauerlandes eine neue Autobahn entstehen, während wenige Kilometer entfernt die vom Einsturz bedrohte Autobahnbrücke allen den Schlaf raubt.

Will Deutschland seine Klimaziele im Verkehr wirklich einhalten, brauchen wir bereits ab 2025 ein Neuzulassungsverbot für Verbrenner-Autos, sagt Energieexperte Volker Quaschning in seiner Videokolumne. Ist das nicht wirklich zu zeitig für eine auch industriepolitisch so einschneidende Maßnahme?

Ein Stopp für neu zugelassene Verbrennungsfahrzeuge hätte schon gestern erfolgen müssen. Intelligente Industriepolitik würde dann die deutschen Hersteller dazu gezwungen haben, die innovativen Kompetenzen frühzeitig auf die Straße zu bringen, statt wie jetzt hinterherzulaufen.

Die deutsche Autoindustrie träumt immer noch davon, dass der Spuk der Elektrofahrzeuge eines Morgens einfach vorbei ist und alles wieder so ist wie früher. Die Bundesregierung sorgt dafür, dass die verantwortlichen Herren weiterhin schön schlafen können. Das Aufwachen wird grausam.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Im augenblicklichen Berliner Wiederwahlkampf plakatieren CDU und AfD gleichermaßen Slogans, wie: Hände weg vom Auto, keine Parkplatzreduktion oder "Ihr Auto würde uns wählen".

Wenn das Auto in Berlin schon verteidigt werden muss, und das mit Begründungen, die noch aus der Adenauerzeit stammen, dann sind die Tage des automobilen Massenverkehrs in Großstädten wirklich gezählt. Denn solche Hilferufe kommen immer dann, wenn es an der Zeit ist, Abschied zu nehmen und sich auf Neues einzustellen.

Fragen: Jörg Staude