Verkehrsberuhigung an der Kreuzung von Graefe- und Böckhstraße durch eine Diagonalsperre aus Pollern. (Bild: Uli Herrmann/​Wikimedia Commons)

Der Graefekiez in Berlin-Kreuzberg, besonders die Umgebung rund um die Kreuzung Graefe-/Böckhstraße, ist ein Ort mit einer Grundschule, drei weiterführenden Schulen, zahlreichen Kitas, sozialen Einrichtungen und vielen weiteren Begegnungsstätten wie Cafés, Eisdielen, kleinen Läden oder Restaurants.

Der Graefekiez ist ein lebendiger Ort der Vielfalt, wo Kinder und Jugendliche unterschiedlichster Kulturen und sozialer Hintergründe aufwachsen und zusammenfinden. Wo Arm und Reich zusammenleben.

"Wir sind Graefe" ist das Schulmotto unserer Sekundarschule, der Albrecht-von-Graefe-Schule. Doch wem gehört der öffentliche Raum derzeit?

Die Antwort ist ernüchternd. Bis auf schmale Gehwege und wenige Spielflächen gehört "die Straße" den parkenden Autos, die selten kurze und häufig längere Zeit den ohnehin hoch verdichteten öffentlichen Raum belegen.

Exemplarisch dafür steht der von Eltern geschaffene kleine Spielplatz für Kleinkinder auf der Höhe Böckhstraße 40: Auf wenigen Quadratmetern können dort Kleinkinder mit von Eltern organisierten Spielsachen spielen – eingequetscht zwischen Autos, Hauswänden, Straße und leider oftmals Müll.

Demgegenüber haben Autos freie Fahrt, Platz zum Parken und Raum, sich zu entfalten. Da, wo sich Kinder und Jugendliche begegnen wollen, Freiraum benötigen und schlichtweg leben, wird öffentlicher Raum den oftmals tage- bis wochenlang an gleicher Stelle parkenden Autos zur Verfügung gestellt.

Es stellt sich also durchaus die Frage, wem dieser öffentliche Raum gehört.

Tägliche Gefahr für Schüler:innen

Das "Wir sind Graefe" darf sich nicht nur auf unsere Schulgemeinschaft beschränken. Das Motto soll für alle im Kiez gelten. Eine Bevorteilung der Auto fahrenden Mitglieder dieser Kiezgemeinschaft ist nicht fair – gerade den Kindern und Jugendlichen gegenüber.

Es gibt durchaus gute Ansätze für Fairness: das "grüne Klassenzimmer" in der Böckhstraße, ein Lernort für mehrere Schulen auf ehemaligen Parkplätzen, oder die teilweise Entsiegelung in der Graefestraße. Und jeden Mittwoch der kleine Abschnitt der Böckhstraße, der zur Spielstraße wird.

Porträtaufnahme von Fabian Metzger.
Bild: AVGS

Fabian Metzger

stammt aus Mannheim und hat bis 2010 an der RWTH Aachen Mathematik und Physik auf Lehramt studiert. Seit 2020 ist er Schulleiter der Albrecht-von-Graefe-Schule in Berlin-Kreuzberg. Zudem setzte er sich durch zahlreiche Auslands­aufenthalte intensiv mit dem Nahen und Mittleren Osten auseinander und engagiert sich für Bildungs­gerechtigkeit.

Aber das genügt nicht. Alle, die gerade diese wöchentliche Spielstraße erleben, merken schnell, was es bedeutet und wie frei sich Kinder und Jugendliche fühlen, wenn ihnen die Straße gehört und es vernünftige Angebote für sie gibt.

Ein wichtiger Aspekt ist dabei das Thema Sicherheit. Sowohl an der Albrecht-von-Graefe-Schule als auch am Hermann-Hesse-Gymnasium finden derzeit umfassende Baumaßnahmen an den straßenseitigen Turnhallen statt, sodass die Gehwege für längere Zeit gesperrt sind und die Straßenseite gewechselt werden muss. In der Praxis macht das aber niemand.

Dazu kommt, dass sehr viele Schüler:innen während eines Schultages zwischen den beiden gegenüberliegenden und durch die Böckhstraße auf Höhe der Baustelle getrennten Gebäuden des Gymnasiums hin und her wechseln müssen. Auch Schüler:innen der Graefe-Schule müssen wegen der Kernsanierung der Turnhalle einen Ausweichstandort aufsuchen.

Die Folge sind viele Schüler:innenbewegungen im Kiez, oftmals baustellenbedingt unmittelbar auf der Straße. Dabei sind die Schüler:innen wegen der unzureichenden Straßenüberquerungsmöglichkeiten und parkenden Autos besonders gefährdet. Es gibt also ein konkretes Sicherheitsrisiko im Kiez durch die unzähligen Autos.

Gebt den Kindern und Jugendlichen die Straße zurück

Auch im Alltag werden schulische Abläufe gestört: Durch die vielen wild parkenden Autos können Anlieferungen und Baustellenfahrzeuge ihr Ziel nicht erreichen, was schon zu teilweise erheblichen Bauverzögerungen geführt hat. Oder die Müllabfuhr kann den Hof nicht befahren, sodass der Müll nicht abgeholt wird.

Was wäre unser Vorschlag? Wir würden uns wünschen, dass die Kreuzung Böckhstraße/Graefestraße vollständig gesperrt und zu einem Begegnungsort umgestaltet wird.

Zudem sollten Graefe- und Böckhstraße von dort aus bis zur jeweils nächsten Kreuzung beidseitig gesperrt werden. Mit versenkbaren Pollern versehen und mit Parkmöglichkeiten für auf ein Auto nachweislich angewiesene Menschen sowie mit Be- und Entladezonen fürs Gewerbe könnten diese Bereiche allerdings weiter befahrbar sein.

Dadurch würde ein Bereich rund um die Schulen, Kitas und anderen Einrichtungen entstehen, wo sich Menschen und gerade Kinder und Jugendliche begegnen können, während die Bedürfnisse der auf Autos angewiesenen Menschen sowie des Gewerbes berücksichtigt werden. Die Sicherheit wäre in diesen sensiblen Bereichen wesentlich erhöht und zugleich der öffentliche Raum gerechter verteilt.

Daher lautet unser Appell: Gebt den Kindern und Jugendlichen die Straße zurück! Gebt ihnen den Raum, sich zu entfalten! Gebt ihnen die Möglichkeiten, zusammenzufinden!

 

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Beiträge erscheinen zugleich im WZB-Blog der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität.