Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.
Klimareporter°: Herr Knie, laut einer Kurzstudie des New Climate Institute würde die Welt auf 3,1 Grad Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts zusteuern, wenn sich alle Staaten und Sektoren ein Beispiel an der Klimapolitik des deutschen Verkehrsministeriums nehmen würden. Haben solche Szenarien eine große Aussagekraft?
Andreas Knie: Nein. Schreckensszenarien gehören zwar dazu, um die Bevölkerung wachzurütteln und aus ihrer Alltagslethargie zu holen. Genauso brauchen wir den zivilen Ungehorsam, um die Routinen immer wieder erneut unter Druck zu setzen. Aber das alles muss dosiert und mit Bedacht gemacht werden.
Entscheidend für den Erfolg einer wirksamen Klimapolitik ist neben Aufklärung, Schreckensszenarien und Protest das Erlernen neuer Praktiken. Allein auf die Wissenschaft zu hören, reicht nicht aus.
Wir brauchen auch eine neue Form von Lebenskunst, die im täglichen Tun den Klimaschutz lebt und eine neue Bescheidenheit als neue Fortschrittsidee einführt.
Ein neues Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen sieht die Politik in der Pflicht, umweltfreundliches Verhalten zu erleichtern. Wie schneidet hier die deutsche Verkehrspolitik ab? Welche Stellschrauben gibt es dort überhaupt?
Volker Wissings Argument ist ja immer, dass er nicht wie seine Kabinettskollegen durch den Einsatz von Technik die Treibhausgase reduzieren kann, sondern auf das Verhalten der Menschen angewiesen ist. Und die fahren nun mal alle Autos.
Was Wissing nicht sehen will, ist, dass die deutsche Verkehrspolitik seit Nazi-Zeiten nur ein Ziel kannte: Fahrt alle Autos!
Die Straßenverkehrsordnung wurde zur Vorfahrtsstraße für den fließenden und ruhenden Autoverkehr, der öffentliche Raum wurde für Parkplätze geopfert, Diesel wurde subventioniert und die Nutzung des Fahrzeugs als Dienstwagen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist heute so günstig, dass fast drei Viertel aller neuen Fahrzeuge gewerblich zugelassen werden.
Wer in Deutschland kein Auto fährt, der ist ökonomisch betrachtet dumm. Eine Verkehrswende muss daher alle Autoförderprogramme und die vielen Privilegien endlich abbauen, um die permanenten Anreize zum Autofahren zurückzuschrauben.
Erst wenn das geschehen ist, können sich neue Lebensmodelle justieren und bewähren.
Bis zum 1. September müssen alle Leih-E-Scooter aus Paris verschwinden. Würden Sie sich so ein Verbot auch für deutsche Städte wünschen? Oder ist der E-Scooter doch eine klimafreundliche Alternative?
E-Scooter sind die beste Erfindung der letzten 20 Jahre. Das Fahren macht Spaß, sie sind praktisch und extrem nützlich, weil man damit endlich schnell zu Bussen und Bahnen gelangt. Sie sind das strategische Element für die Verkehrswende.
Klar, sie stehen häufig im Weg. Aber regen wir uns über die vielen Autos auf? Ja, es gibt schlimme Unfälle. Aber was ist mit 350.000 Schwerverletzten jedes Jahr als Folge von Autounfällen?
Sicherlich kann man die Abstellmöglichkeiten für die Scooter noch verbessern und sicherlich kann man bei Scootern – wie auch bei Autos – über eine 0,0-Promille-Grenze nachdenken, andere Staaten tun das auch und fahren damit sehr gut.
Und natürlich sollte die Disposition nicht mit Dieselfahrzeugen unternommen werden.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Der Satz "Wir machen die Stadt für Menschen und die gehen zu Fuß" vom Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung hat das Potenzial, zum Leitsatz für die Neuausrichtung der Stadtgestaltung im Zeitalter des Klimawandels zu werden.
Der SPD-Politiker Jung war bisher in Sachen Verkehr nicht so offensiv. Aber Leipzig hat das Potenzial, die Stadt der verkehrlichen Umgestaltung zu werden: vergleichsweise wenig zugelassene Autos, sehr hoher Fahrradanteil, kompakte Stadtstruktur mit kurzen Entfernungen und jede Menge innovativer Unternehmen wie beispielsweise der Carsharer Teilauto.
Nach einem solchen Satz kann sich jetzt auch die Verwaltung der Stadt trauen, neue Wege zu gehen und den Umbau voranzutreiben. Es ist ja schon längst an der Zeit.
Fragen: David Zauner