Florencia Saravia und Jens Grimmer vom Karlsruher Institut für Technologie.
Florencia Saravia und Jens Grimmer vom Karlsruher Institut für Technologie. (Foto: KIT)

Man nennt Lithium auch "weißes Gold". Ohne das Alkalimetall funktioniert kein Handy und kein Laptop, und kein Elektroauto, ob Tesla oder E-Golf, kommt vom Fleck.

Lithium wird für Produktion der Speicherzellen benötigt, die Elektrizität für mobile Anwendungen verfügbar machen, aber auch für Großakkus zum Netzausgleich für Solar- und Windenergie. Es ist damit ein Schlüsselelement der modernen Techno-Welt und entsprechend begehrt.

Doch das silberweiße, weiche Leichtmetall hat einen großen Nachteil. Es wird bisher meist nur im fernen Ausland, mit hohem Energieaufwand und mit großen Umweltschäden gewonnen. Aber das kann sich bald ändern.

Einer, der die Alternative maßgeblich vorantreibt, ist Jens Grimmer. Der Geowissenschaftler hat zusammen mit seiner Kollegin, der Chemieingenieurin Florencia Saravia, ein neues Verfahren zur Lithium-Gewinnung entwickelt, das – gemessen an den bisherigen Nachteilen – fast revolutionär klingt.

"Lithium kann in Deutschland, mit minimalen Umweltbelastungen und sogar klimaneutral produziert werden", sagt der Mitarbeiter des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Zumindest im Labor funktioniert alles schon, und bis Jahresende soll eine Testanlage stehen, um die Praxistauglichkeit des neuen Ansatzes zu demonstrieren.

Bisher kommt der Stoff, der in Lithium-Ionen-Akkus verbaut wird, aus Förderländern wie China, Australien oder dem Dreieck Argentinien/​Bolivien/​Chile. In Australien wird das Lithium mit hohem Energieaufwand aus Festgesteinen gewonnen, wobei große Mengen Abraum entstehen.

In Südamerika stammt es aus Salzseen, aus denen Lithium-reiche Sole zur Anreicherung in quadratkilometergroße Teiche gepumpt wird. Die indigene Bevölkerung dort leidet unter dem Abbau, unter anderem weil der Grundwasserspiegel sinkt.

Verfahren könnte erheblichen Teil des hiesigen Bedarfs decken

Das Verfahren, auf das Grimmer und seine Kollegin setzen, hat all diese Nachteile nicht. Der Clou dabei: Es müssen gar keine neuen Anlagen gebaut werden, um den begehrten Stoff an die Erdoberfläche zu bringen. Sie existieren nämlich schon.

Es geht um Geothermie-Anlagen, die im Oberrheingraben stehen und dort bis zu 200 Grad heißes Wasser aus tiefen Erdschichten nutzen, um Wärme und Strom zu gewinnen. Beim Weg durch die Gesteinsschichten nimmt es lösliche Stoffe auf, darunter eben Lithium.

In dem salzigen Thermalwasser befinden sich davon bis zu 200 Milligramm pro Liter, rund 1.000-mal mehr als im Meerwasser, erläutert Grimmer. Da pro Jahr bis zu zwei Milliarden Liter an die Erdoberfläche (und wieder nach unten) gepumpt werden, ergibt das eine Größenordnung, die kommerziell interessant ist.

Es könne "ein nicht unerheblicher Teil des deutschen Lithium-Bedarfs gedeckt werden", sagt der 51-jährige Geologe, der nach seinem Studium in Karlsruhe, Promotion in Freiberg und Habilitation in Karlsruhe bereits in China und Skandinavien, im Schwarzwald und zuletzt eben im Oberrheingraben geforscht hat. "Ich bin zwar kein Ökofreak, aber dass man den Rohstoff hier so umweltfreundlich gewinnen kann, fasziniert mich sehr."

Der Oberrheingraben ist die geothermisch heißeste Region in Deutschland, hier lohnt sich die Nutzung der Wärme aus der Tiefe besonders – man muss nicht so tief bohren, um hohe Temperaturen zu erreichen. Derzeit werden dort fünf Anlagen betrieben, die das Wasser aus drei bis fünf Kilometern Tiefe nach oben bringen.

Drei sind es auf deutscher Seite, in Bruchsal, Insheim und Landau, zwei auf französischer, in Soultz-sous-Forêts und Rittershofen. Die Lithium-Gewinnung kann hier direkt angekoppelt werden, ohne dass die Wärme- oder Stromproduktion dafür unterbrochen werden muss.

Das inzwischen zum Patent angemeldete Grimmer-Saravia-Verfahren arbeitet mit einer Membran-Technologie, ähnlich, wie sie bei der Meerwasser-Entsalzung genutzt wird. Es läuft in zwei Stufen. Eins: Die Lithium-Ionen werden aus dem warmen Wasser herausgefiltert. Zwei: Sie werden konzentriert, bis Lithium als Salz ausgefällt werden kann.

Aus den fünf Anlagen am Oberrhein könnten Grimmer zufolge pro Jahr einige tausend Tonnen Lithiumkarbonat gewonnen werden, eine Verbindung, in der das Alkalimetall üblicherweise gehandelt wird. Zum Vergleich: Deutschland importierte 2018 rund 6.000 Tonnen Lithiumkarbonat, zusätzlich werden große Mengen jedoch auch in verarbeiteter Form als fertige Akkus eingeführt.

Regionale Wertschöpfung statt geopolitischer Abhängigkeiten

Theoretisch könnte am Oberrheingraben noch deutlich mehr Lithium gewonnen werden. Dafür wären neue Geothermie-Anlagen nötig, doch gegen entsprechende Projekte regt sich häufig Widerstand in der Bevölkerung.

Grimmer hält das für nicht sachgerecht. "Bei der tiefen Geothermie sind die Risiken minimal, wenn technisch korrekt gearbeitet wird", sagt er, "zudem gibt es ausgefeilte technische Überwachungssysteme, aufwändige Genehmigungsverfahren und eine behördliche Aufsicht."

Florencia Saravia und Jens Grimmer vor Labor-Anlage zur Lithium-Extraktion.
Saravia und Grimmer vor ihrer Laboranlage zur Lithium-Extraktion. (Foto: privat)

Co-Erfinderin Saravia von der Forschungsstelle des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs, ebenfalls am KIT angesiedelt, sagt zu den Chancen: "Wir exportieren bisher viele Umweltprobleme in Drittländer, um unseren Lebensstandard aufrechtzuerhalten und zu verbessern." Anders bei dem neuen Verfahren.

Man könne wichtige Rohstoffe für moderne Technologien umweltverträglich vor der eigenen Haustür gewinnen, regionale Wertschöpfungsketten aufbauen, hier Arbeitsplätze schaffen – und gleichzeitig geopolitische Abhängigkeiten reduzieren.

Punkten kann das neue Verfahren auch mit der günstigen CO2-Bilanz. Da für den Betrieb der Lithium-Abtrennung die Energie genutzt wird, die in den Geothermie-Anlagen anfällt, ist die Gewinnung rechnerisch klimaneutral.

Ein gewichtiges Argument, vor allem in der Debatte zur Elektromobilität. Die Klimabilanz von E-Autos hängt stark von der Herstellung der Batterie ab, und je mehr Komponenten ohne fossile Energien produziert werden, desto günstiger fällt sie aus.

Kein Wunder denn auch, dass das Interesse an dem bisher nicht genutzten Lithium-Schatz im Oberrheingraben riesengroß ist. Nicht nur Grimmer und Saravia bereiten – mit Partnern aus der Industrie – eine Pilotanlage an einem der Geothermie-Standorte vor. Noch zwei weitere Unternehmen verfolgen derzeit ähnliche Projekte.

Der Energiekonzern EnBW plant eine Lithium-Extraktion in Bruchsal nördlich von Karlsruhe und zusammen mit französischen Partnern eine in Frankreich. Das deutsch-australische Start-up Vulcan Energy Resources will gemeinsam mit dem Energieunternehmen Pfalzwerke eine Anlage in Rheinland-Pfalz errichten.

Es wird spannend, wer als Erstes eine kommerzielle Anlage zum Laufen bringt. Zumal auch im Ausland Aufträge winken. Geothermie-Anlagen mit Lithium-Potenzial gibt es unter anderem in den USA und Neuseeland.

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