Reifenabrieb gilt als größte Quelle von Mikroplastik. (Bild: Olegri/​Shutterstock)

Der Abrieb von Auto- und Lkw-Reifen ist ein Umwelt- und Gesundheitsproblem, das nur wenig Aufmerksamkeit erzeugt – anders als die Abgase der Motoren. Dabei tragen die Reifen besonders in Städten erheblich zur Belastung der Luft mit Feinstaub bei, der unter anderem für Atemwegs- sowie Herz- und Kreislauferkrankungen verantwortlich gemacht wird.

Eine neue Studie lenkt den Blick nun auf eine weitere negative Folge des giftigen Partikelgemisches, das beim Abrieb der Reifen auf den Straßen entsteht: Es schädigt, wenn es durch Wind und Regen in Bäche, Flüsse und Seen gelangt, dort auch wichtige Wasserorganismen.

Es geht um erhebliche Mengen: Mehr als 20.000 Tonnen Abrieb von Reifen und Straßen gelangen nach Schätzungen jährlich hierzulande in Gewässer, vor allem, wenn Regen sie von den Straßen weggespült.

Es handelt sich dabei um winzig kleine Partikel, nano- bis mikrometergroß, die eine komplexe Mischung aus Komponenten wie Reifengummi, polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAKs), Mineralölen, Metallen und synthetischen Chemikalien darstellt, darunter Weichmachern. Insgesamt wird die Menge an Reifenabrieb in Deutschland auf rund 133.000 Tonnen jährlich geschätzt (siehe Kasten unten).

Ein Forschungsteam aus Frankfurt am Main hat nun die Auswirkungen dieser Partikel auf Süßwasser-Ökosysteme untersucht und kam dabei "zu alarmierenden Ergebnissen". Konkret analysiert wurden die Folgen für Larven von Chironomus riparius. Die Zuckmückenart ist eines der häufigsten Lebewesen in Gewässern und ein viel genutzter Organismus bei Umweltverträglichkeitsprüfungen.

Fortpflanzung wird gestört

Es zeigte sich: Der Reifenabrieb beeinträchtigt das Überleben, die Entwicklung und die Fortpflanzung dieser Organismen. Zu der Gruppe gehörten unter anderem Forschende der Universität Frankfurt und des Loewe-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG), Leiter war Markus Pfenninger, Professor am Senckenberg-Forschungszentrum für Biodiversität und Klima.

Das Team analysierte Sedimente aus Regen-Rückhaltebecken, um die Mengen und die Zusammensetzung des darin enthaltenen Reifenabriebs zu bestimmen. Die Mückenlarven wurden dann in Tests unterschiedlichen Konzentrationen der Sedimente ausgesetzt. Untersucht wurden die Folgen für Sterblichkeit, Entwicklung, Geschlechterverhältnis, Fruchtbarkeit und Größe.

Tonnenweise Abrieb

Die Reifen von Autos und Lkw verlieren mit der Zeit an Substanz. Durch Reifenabrieb gelangen Kleinstpartikel in Form von Feinstaub oder Mikroplastik in die Umwelt.

Ein gängiger Pkw-Reifen wiegt am Ende seiner Nutzungsdauer, also nach rund 50.000 Kilometern oder vier Jahren, ein bis 1,5 Kilogramm weniger als zu Beginn, so das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht). Laut dem Institut entstehen in Deutschland schätzungsweise 133.000 Tonnen Abrieb pro Jahr, in Europa seien es insgesamt 1,32 Millionen Tonnen.

Die Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) gibt eine Abriebsrate je nach von Fahrweise und Straßenart von bis zu 0,2 Gramm pro Kilometer für Pkw an. Sattelzüge kommen auf bis zu 1,5 Gramm.

Es zeigte sich, dass das belastete Sediment die Sterblichkeit um fast 30 Prozent erhöhte. Auch die Fruchtbarkeit nahm sichtbar ab, und es kam zu einer Verringerung der Zahl fruchtbarer Eier pro Weibchen.

"Unsere Studie zeigt deutlich, dass Reifenabriebpartikel eine unterschätzte Gefahr für unsere Gewässer darstellen", resümierte der Hauptautor der Studie, Lorenzo Rigano, Doktorand am Loewe-Zentrum. Die in den Partikeln enthaltenen Schadstoffe hätten sich zusammen giftiger auf Wasserorganismen ausgewirkt, als es jede einzelne Komponente alleine tun würde.

Laut der Studie reichern sich die Schadstoffe aus dem Reifenabrieb im Körpergewebe der Wasserorganismen an. Über die Nahrungskette könne das "kaskadenartige Auswirkungen auf Süßwasserökosysteme haben", schreibt die Forschungsgruppe. Als besonders besorgniserregend stellt sie heraus, dass die beobachteten Fortpflanzungsstörungen möglicherweise über mehrere Generationen hinweg bestehen bleiben können.

Für Markus Pfenninger unterstreichen die Ergebnisse die Notwendigkeit, die giftige Wirkung von Schadstoffgemischen genau zu untersuchen, da deren Zusammenwirken unerwartete Auswirkungen haben könne. Und: "Konkret müssen wir die Belastung unserer Umwelt durch den toxischen Reifenabrieb reduzieren, um unsere Gewässer zu schützen und die biologische Vielfalt zu erhalten."

"Was ist gesunder Abrieb?"

Auch andere Fachleute halten die Belastung durch Reifenabrieb für bedenklich. Laut dem Umweltchemiker Michael Braungart stammt rund die Hälfte des Mikroplastiks in europäischen Flüssen aus dieser Quelle.

Der Professor an der Universität Lüneburg verweist darauf, dass Autoreifen heute doppelt so lange halten wie früher, allerdings setzten die Hersteller zu diesem Zweck fast 500 verschiedenen Chemikalien ein, die zum Teil toxisch wirkten, so Braungart gegenüber Klimareporter°.

Verbesserungen soll hier die neue Euro-7-Abgasnorm bringen, die erstmals neben Motorabgasen auch Partikel aus Reifenabrieb limitiert. Allerdings müssen die Grenzwerte erst noch festgeschrieben werden. Sie sollen für neue Pkw-Reifen ab 2028 gelten, für Lkw je nach Gewicht ab 2030 oder 2032.

 

Braungart kritisiert, dass die Reifenhersteller generell noch zu wenig täten, um das Problem durch Entwicklungen für eine möglichst völlige Schadstofffreiheit zu lösen. Es werde nicht gefragt: "Was ist gesunder Abrieb für die Umwelt?"

Vergleichsweise ambitioniert sei hier der deutsche Hersteller Continental, und besonders lobt der Experte den Fahrradreifen-Produzenten Schwalbe. Dieser hat zum Beispiel nach eigenen Angaben bei seinem Reifen "Green Marathon" eine Schadstofffreiheit von 98 Prozent erreicht. Solche Konzepte ließen sich auch auf Pkw- und Lkw-Reifen übertragen, meint Braungart.