Rund 60 Kleidungsstücke pro Jahr – so hoch ist der Konsum der Deutschen im Schnitt. Und sie benutzen sie nur halb so lange wie noch vor 15 Jahren.
Jährlich werden etwa 1,3 Millionen Tonnen Kleidung entsorgt. Schon das bedeutet eine hohe Umweltbelastung.
Hinzu kommt, dass kaum noch Kleidung in Deutschland oder den Nachbarländern produziert wird. Billiglohnländer in Asien wurden die neuen Produktionsstätten vieler Unternehmen, mit der Folge langer Transportwege.
Ein Start-up aus Berlin will diese Entwicklung nun umkehren – und setzt dabei auf Automatisierung und Digitalisierung.
Die guten Zeiten der Nähindustrie mit vielen Standorten in Deutschland und Europa liegen schon Jahrzehnte zurück. In der hiesigen Textil- und Bekleidungsproduktion gingen seit dem Zweiten Weltkrieg rund eine Million Jobs verloren.
Deutschland importiert heute laut Umweltbundesamt bis zu 90 Prozent aller angebotenen Textilien, mehr als die Hälfte davon stammt aus China, Indien, Bangladesch und der Türkei. Eine Steigerung der klassischen Textilproduktion in Deutschland ist wegen hoher Personalkosten nur selten rentabel.
Sechsstellige Fördersumme für Schritt in die Praxis
Doch vollautomatisierte Nähroboter könnten einer Wiederansiedlung der Nähindustrie in Europa den Weg ebnen und dabei zugleich Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid einsparen, wie die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) jetzt mitteilte. Die DBU fördert ein entsprechendes Projekt in Berlin.
Dabei geht es um eine digital vernetzte "Roboternähzelle", die sämtliche Textilien vollautomatisch zusammennähen kann. Entwickelt wurde das Konzept dafür von dem Unternehmen Adotc, das von Yves-Simon Gloy und Peter Brunsberg gegründet wurde.

Adotc steht für "Another Dimension of Textile Configuration", die Firma will also in eine neue Dimension der Textilgestaltung vorstoßen. Geplant ist ein Komplettpaket inklusive Robotertechnik, Sensoren und Greifern sowie einer App für die Produktionsüberwachung, das Textilfirmen "schlüsselfertig" erhalten können.
Bislang hat das Unternehmen einen ersten Prototyp des Nähroboters realisiert. Daraus soll ein praxistauglicher "Demonstrator" werden. Dies unterstützt die DBU, die als Deutschlands größte Umweltstiftung gilt, mit 100.000 Euro.
Gloy ist Privatdozent für Digitalisierung und Automatisierung in der Textiltechnik an der RWTH Aachen. Brunsberg hat 1997 den Taschenhersteller Bagjack in Berlin gegründet, der ausschließlich in Deutschland herstellt.
In der herkömmlichen Textilproduktion werden verschiedene Teile eines Produkts maschinell hergestellt, um diese dann per Hand zusammenzunähen. "Eine Herausforderung bei der Automatisierung der Textilherstellung sind die Stoffe und Nähgarne", erläutert Gloy. Diese seien "biegeschlaff", also sehr schwer für die gesamte Dauer der Produktion in eine permanente Form zu bringen. Mit dem Nähroboter soll dieses Problem gelöst werden.
Hersteller wirbt mit Umweltvorteilen
Adotc wirbt mit drei Umweltvorteilen für das Roboter-Konzept und eine Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland und Europa. Neben der CO2-Einsparung durch kürzere Transportwege lasse sich die Zahl der Retouren verringern, weil eine deutlich individuellere Fertigung der Kleidung möglich sei.
Zudem könne die Fertigung künftig stärker an der tatsächlichen Nachfrage orientiert werden, was die im Herstellungsprozess anfallenden Abfallmengen verringere. "Die Produktion wird also deutlich nachhaltiger", sagt Brunsberg.
Die DBU zeigt sich von dem Konzept überzeugt. Ihr Generalsekretär Alexander Bonde rechnete vor: "Wenn mittelfristig zehn bis 15 Prozent der Bekleidungsindustrie wieder bei uns heimisch werden würde, wären Einsparpotenziale von jährlich rund 1,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent möglich – allein für den deutschen Markt."
Der zuständige Referent der Stiftung, Michael Schwake, bekundete, man sei von der "großen Innovationskraft" und dem erreichbaren Umweltvorteil überzeugt. Das Adotc-Team bringe eine gute Mischung aus wissenschaftlicher und praktischer Expertise in die Entwicklung ein.
Die naheliegende Sorge, der Nähroboter könne künftig Fachkräfte in der noch vorhandenen europäischen Nähindustrie durch Automatisierung ersetzen, sucht Adotc-Mitgründer Brunsberg zu zerstreuen. Er sieht die Automatisierung eher als Ergänzung.
"Expertinnen und Experten auf dem Gebiet sind schon jetzt rar und essenziell für die standortnahe Produktion", erläutert er. Durch die Neuentwicklung könne eine zusätzliche Fertigung in Europa stattfinden, die mit dem vorhandenen Personal "überhaupt nicht möglich wäre".